Die Angst vor dem Schuldenerlass
Währungsunion. Griechenland erfüllt seine Aufgaben, doch die anderen Eurostaaten sind über die Tragfähigkeit seiner Schulden uneins und zögern mit der Auszahlung nötiger Hilfsmilliarden.
Brüssel. Die jüngste Sitzung der Finanzminister der Eurozone endete knapp vor Montag Mitternacht, ohne ihre Hauptaufgabe zu erfüllen und eine dringend benötigte Tranche an Hilfskrediten von 10,3 Milliarden Euro an Griechenland auszuzahlen. Für Panik sorgte das bei den beteiligten Ministern allerdings nicht. „Wir sind sehr zuversichtlich hinsichtlich der Arbeit in Griechenland, um die vereinbarten Maßnahmen und Reformen umzusetzen“, sagte beispielsweise Jeroen Dijsselbloem, der Vorsitzende der Eurogruppe.
Die Minister hätten sich auch erstmals eingehend mit der Frage beschäftigt, ob die Staatsschuldenlast von derzeit mehr als 180 Prozent dauerhaft von Griechenland getragen beziehungsweise schrittweise abgebaut werden könne. „Aber zum derzeitigen Zeitpunkt haben wir über diesen Teil unserer Diskussion keine umfassende Übereinkunft erreicht“, sagte Dijsselbloem. Bis zum nächsten Treffen der 19 Finanzminister der Währungsunion am 15. Juni in Luxemburg wolle man die griechischen Finanzen, die vorige Woche im Parlament in Athen beschlossenen Steuer- und Rentenreformen sowie deren Auswirkung auf die Tragfähigkeit der Schulden eingehend prüfen. Ein Beschluss in drei Wochen ist zu erwarten.
Denn diesen Beschluss muss es dann geben. Im Juli hat Athen 7,3 Millionen Euro an alten Hilfskrediten zurückzuzahlen. Ohne Hilfe ist es dazu nicht in der Lage. Schon im Mai vorigen Jahres hatte die Eurogruppe beschlossen, dass jetzt im Juni eine Tranche von 7,5 Milliarden Euro aus dem dritten Griechenlandprogramm ausgezahlt werden solle, um diese drohende Insolvenz abzuwenden.
Doch die Schlüsselfrage ist heute wie bei Ausbruch der Griechenkrise im Frühjahr 2010, ob die hellenische Wirtschaft auf Dauer stark genug wachsen wird, um ausreichende Steuereinnahmen zum Abbau des Staatsschuldenberges hereinzuspielen. Hier verläuft die Front – und sie trennt Deutschland, den größten Gläubiger Athens, von Frankreich ebenso wie vom Internationalen Währungsfonds. Denn während der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (so wie der österreichi- sche Hans Jörg Schelling) der Ansicht ist, dass die griechische Ökonomie dank der auferzwungenen Strukturreformen auf Dauer überdurchschnittlich stärker wachsen werde als der Rest der Eurozone, ist man beim IWF skeptisch. „Wir denken weiterhin, dass es mehr Realismus in den Annahmen bedarf“, sagte Poul Thomsen, der für Griechenland zuständige Mann im Fonds, am Dienstag.
Der IWF erwartet, dass Griechenlands Wirtschaft auf Jahrzehnte hinweg im Durchschnitt nur um bestenfalls ein Prozent pro Jahr wachsen werde; zu wenig, um die Schulden zu verringern. Ein Schuldenerlass sei notwendig. Der ist aber in Deutschland (und anderen Euroländern wie Österreich) tabu. In Frankreich hingegen neigt man dem IWF zu: „Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass Frankreich und Deutschland keine Mei- nungsunterschiede über die Schuldentragfähigkeit Griechenlands haben“, sagte der neue Finanzminister Bruno Le Maire.
Kein Fortschritt bei Steuern
Auf die Sitzung der Eurogruppe folgte wie üblich tags darauf jene aller 28 Finanzminister der Union. Doch die beiden wichtigsten steuerpolitischen Vorhaben auf Ebene Europas kamen wieder keinen Schritt voran. Die Finanztransaktionssteuer wurde auf Betreiben Le Maires ganz von der Tagesordnung gestrichen; er wolle sich einen Überblick verschaffen, vor allem in Hinblick auf Auswirkungen des Brexit. Und auch die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer – ein Schlüssel zur Bekämpfung der Steuervermeidung – kam nicht über inhaltsleere Wortspenden der Minister hinaus.