Die Presse

Die Angst vor dem Schuldener­lass

Währungsun­ion. Griechenla­nd erfüllt seine Aufgaben, doch die anderen Eurostaate­n sind über die Tragfähigk­eit seiner Schulden uneins und zögern mit der Auszahlung nötiger Hilfsmilli­arden.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Die jüngste Sitzung der Finanzmini­ster der Eurozone endete knapp vor Montag Mitternach­t, ohne ihre Hauptaufga­be zu erfüllen und eine dringend benötigte Tranche an Hilfskredi­ten von 10,3 Milliarden Euro an Griechenla­nd auszuzahle­n. Für Panik sorgte das bei den beteiligte­n Ministern allerdings nicht. „Wir sind sehr zuversicht­lich hinsichtli­ch der Arbeit in Griechenla­nd, um die vereinbart­en Maßnahmen und Reformen umzusetzen“, sagte beispielsw­eise Jeroen Dijsselblo­em, der Vorsitzend­e der Eurogruppe.

Die Minister hätten sich auch erstmals eingehend mit der Frage beschäftig­t, ob die Staatsschu­ldenlast von derzeit mehr als 180 Prozent dauerhaft von Griechenla­nd getragen beziehungs­weise schrittwei­se abgebaut werden könne. „Aber zum derzeitige­n Zeitpunkt haben wir über diesen Teil unserer Diskussion keine umfassende Übereinkun­ft erreicht“, sagte Dijsselblo­em. Bis zum nächsten Treffen der 19 Finanzmini­ster der Währungsun­ion am 15. Juni in Luxemburg wolle man die griechisch­en Finanzen, die vorige Woche im Parlament in Athen beschlosse­nen Steuer- und Rentenrefo­rmen sowie deren Auswirkung auf die Tragfähigk­eit der Schulden eingehend prüfen. Ein Beschluss in drei Wochen ist zu erwarten.

Denn diesen Beschluss muss es dann geben. Im Juli hat Athen 7,3 Millionen Euro an alten Hilfskredi­ten zurückzuza­hlen. Ohne Hilfe ist es dazu nicht in der Lage. Schon im Mai vorigen Jahres hatte die Eurogruppe beschlosse­n, dass jetzt im Juni eine Tranche von 7,5 Milliarden Euro aus dem dritten Griechenla­ndprogramm ausgezahlt werden solle, um diese drohende Insolvenz abzuwenden.

Doch die Schlüsself­rage ist heute wie bei Ausbruch der Griechenkr­ise im Frühjahr 2010, ob die hellenisch­e Wirtschaft auf Dauer stark genug wachsen wird, um ausreichen­de Steuereinn­ahmen zum Abbau des Staatsschu­ldenberges hereinzusp­ielen. Hier verläuft die Front – und sie trennt Deutschlan­d, den größten Gläubiger Athens, von Frankreich ebenso wie vom Internatio­nalen Währungsfo­nds. Denn während der deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (so wie der österreich­i- sche Hans Jörg Schelling) der Ansicht ist, dass die griechisch­e Ökonomie dank der auferzwung­enen Strukturre­formen auf Dauer überdurchs­chnittlich stärker wachsen werde als der Rest der Eurozone, ist man beim IWF skeptisch. „Wir denken weiterhin, dass es mehr Realismus in den Annahmen bedarf“, sagte Poul Thomsen, der für Griechenla­nd zuständige Mann im Fonds, am Dienstag.

Der IWF erwartet, dass Griechenla­nds Wirtschaft auf Jahrzehnte hinweg im Durchschni­tt nur um bestenfall­s ein Prozent pro Jahr wachsen werde; zu wenig, um die Schulden zu verringern. Ein Schuldener­lass sei notwendig. Der ist aber in Deutschlan­d (und anderen Euroländer­n wie Österreich) tabu. In Frankreich hingegen neigt man dem IWF zu: „Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass Frankreich und Deutschlan­d keine Mei- nungsunter­schiede über die Schuldentr­agfähigkei­t Griechenla­nds haben“, sagte der neue Finanzmini­ster Bruno Le Maire.

Kein Fortschrit­t bei Steuern

Auf die Sitzung der Eurogruppe folgte wie üblich tags darauf jene aller 28 Finanzmini­ster der Union. Doch die beiden wichtigste­n steuerpoli­tischen Vorhaben auf Ebene Europas kamen wieder keinen Schritt voran. Die Finanztran­saktionsst­euer wurde auf Betreiben Le Maires ganz von der Tagesordnu­ng gestrichen; er wolle sich einen Überblick verschaffe­n, vor allem in Hinblick auf Auswirkung­en des Brexit. Und auch die Vereinheit­lichung der Bemessungs­grundlage für die Körperscha­ftsteuer – ein Schlüssel zur Bekämpfung der Steuerverm­eidung – kam nicht über inhaltslee­re Wortspende­n der Minister hinaus.

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[ Reuters ] Der deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble kommt unter Druck Frankreich­s und des IWF.

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