Die Presse

„Wir haben 27 bürokratis­che Monster in der EU“

Interview. EU-Kommissari­n El˙zbieta Bienkowska´ fordert von Österreich mehr Elan bei Reformen. Wirtschaft­sminister Harald Mahrer will liefern – durchaus auch mit den Freiheitli­chen, die ihn bisher „positiv überrascht“haben.

- VON KARL GAULHOFER UND MATTHIAS AUER

Die EU-Kommission fordert von Österreich seit Jahren dieselben Reformen – von Pensionen bis Bürokratie. Sind wir reformunwi­lliger als andere Staaten? Elz˙bieta Bien´kowska: Nein, viele EU-Mitglieder stehen viel schlechter da als Österreich. Europa ist jetzt wieder zurück in der Spur zu stabilem Wachstum. Das müssen wir jetzt nutzen. Auch in Österreich gibt es noch Regeln, die Wachstum und Wettbewerb behindern. Darum wiederhole­n wir unsere Kritik immer wieder gerne.

Im Oktober wird gewählt. Mit welcher Partei könnten Sie die notwendige­n Reformen am besten umsetzen, Herr Mahrer? Harald Mahrer: Das kommt darauf an, wie die übrigen Parteien das Land nach den Wahlen regieren wollen. Um eine Koalition zu formen, sind Kompromiss­e notwendig. Aber noch wissen wir nicht, wie die aussehen könnten. Das Wirtschaft­sprogramm der SPÖ kennen wir ein wenig. Jenes der Freiheitli­chen sollte in den nächsten Wochen kommen. Das werden wir uns in Ruhe ansehen.

Ist eine Zusammenar­beit mit der FPÖ aus Ihrer Sicht wahrschein­licher als eine neue Große Koalition? Mahrer: Wir können und wollen heute niemanden ausschließ­en. Das hängt von den Programmen ab – und von den Personen, die nach dem 15. Oktober noch da sein werden. Mal sehen, was die Grünen vorlegen: Da gibt es Ansätze, sich in Richtung ökosoziale Marktwirts­chaft zu entwickeln. Im Programm der Freiheitli­chen werden wohl einige protektion­istische Punkte drinnen sein, das ist logisch. Wie im Bereich Wissenscha­ft, dass man keine ausländisc­hen Studierend­en reinlassen soll – das ist nicht gerade der europäisch­e Ansatz. Aber sonst war ich von der Zusammenar­beit mit den FP-Parlamenta­riern bisher durchaus positiv überrascht. Und in den Ausschüsse­n haben wir sehr sachlich zusammenge­arbeitet.

Wollen Sie auch in der nächsten Regierung noch Wirtschaft­sminister bleiben? Mahrer: Mit gefällt das Ressort sehr gut. Als die FPÖ 2000 in die Regierung kam, setzte es von der EU harte Kritik bis hin zu Sanktionen gegen Österreich. Wäre das heute wieder so? Bien´kowska: Ich kann nicht vorhersage­n, wie die Wahlen in Österreich ausgehen und will das daher auch nicht kommentier­en. Die EUKommissi­on wird aber reagieren, wenn etwas den Grundregel­n der EU zuwiderläu­ft.

Die geplante Reform der Gewerbeord­nung gilt vielen als halbherzig. Schaden solche Gesetze Wettbewerb und Wachstum? Bien´kowska: Jede Zugangsbes­chränkung zu einem Beruf behindert das Wachstum. Aber natürlich gibt es Gründe, warum manche Jobs dennoch nicht von jedem gemacht werden sollten. Aber in der EU gibt es in Summe 4000 regulierte Berufe – und das ist zu viel.

Braucht man überhaupt Zugangsbes­chränkunge­n, um Qualität zu halten, oder erledigt der Markt den Job? Bien´kowska: Der Markt macht den Job nicht immer. Darum zwingen wir die Mitgliedst­aaten auch nicht, diese Regeln zu ändern. Aber wenn Friseure reguliert sind, dann ist nicht gerechtfer­tigt. Das schadet der ganzen Gesellscha­ft. Kanzler Kern drängt nun auf eine liberalere Novelle (konkret will er den einheitlic­hen Gewerbesch­ein für freie Gewerbe). Bisher hat sich die Volksparte­i dagegen gesperrt. Ist das unter Kurz anders? Mahrer: Kern will, dass ein Unternehme­n nicht mehr als einen Gewerbesch­ein lösen muss. Das haben wir – über die Ausweitung der Nebenrecht­e – für 99,9 Prozent der Fälle gelöst. Ich sehe also den Vorteil nicht, den der einheitlic­he Gewerbesch­ein bringen soll. Denn deklariere­n muss sich der Unternehme­r ohnedies, damit klar ist, nach welchem Kollektivv­ertrag die Angestellt­en bezahlt werden. Das war übrigens eine Forderung der Gewerkscha­ften. Aber das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist eine tragfähige Lösung. Die Novelle der Gewerbeord­nung ist ein ordentlich­er Liberalisi­erungsschr­itt und es wäre schade, wenn sie nicht kommt.

In jedem Fall umgesetzt wird der Beschäftig­ungsbonus für neue Jobs. Das gilt aber nur dann, wenn die neuen Mitarbeite­r nicht aus dem Ausland kommen. Bayern und Ungarn protestier­en heftig und halten das für EU-rechtswidr­ig. Wie sieht Brüssel das? Bien´kowska: Wenn es so ist, wie sie sagen, dann könnten wir ein Problem damit haben. Aber ich habe das Gesetz noch nicht gesehen und kann daher nicht sagen, ob es gegen EU-Recht verstößt. Grundsätzl­ich begrüßen wir alles, was neue Arbeitsplä­tze schafft.

Die Hoffnungen ruhen oft auf Start-ups. Sie bekommen in Europa allerdings nicht genug Geld, um ihr Wachstum zu finanziere­n. Was wollen Sie dagegen tun? Bien´kowska: Es geht nicht nur um Geld, das kleinen Firmen fehlt. Sie quält auch die Tatsache, dass wir 27 bürokratis­che Monster in den Mitgliedss­taaten haben. Wir haben zu wenig Wagniskapi­tal in Europa und die wenigen Geldgeber, die da sind, wollen oft nicht mehr als eine Finanzieru­ngsrunde investiere­n, wie es in den USA üblich ist. Sie wollen einmal Geld geben – und dann kassieren. So geht das aber nicht.

Wo muss man ansetzen? Mahrer: Das Arbeitsrec­ht in Frankreich zum Beispiel ist so dick wie die Bibel. Die Regulierun­g ist eine große Belastung für Firmen. Viele sind fortgezoge­n, um in Asien groß zu werden. Dort haben sie es viel leichter. Das ist natürlich ein Drama. Auch die Börsengäng­e gehen in Europa zurück, während sie sich in Asien im ersten Quartal verdoppelt haben. Bien´kowska: Wir haben kein Problem mit der Zahl der jungen Leute, die Firmen gründen wollen. Die sind schon recht innovativ. Und es fehlt auch nicht an Startkapit­al, das kommt von Förderprog­rammen und von Unis. Aber das Problem beginnt nach ein, zwei Jahren. Dann gehen sie zu den Banken, und die sind sehr konservati­v. Mahrer: Das gilt nicht nur bei Start-ups. Wenn traditione­lle kleinere Unternehme­n ihr Geschäftsm­odell digitalisi­eren, ist das ein riskantes Projekt. Da sagen die Banken: Das ist nichts für uns, geht zu Wagniskapi­talgebern. Die sind aber in Europa nur auf Start-ups und Spin-Offs konzentrie­rt, nicht auf normale KMU. Das ist ein riesiges Problem, denn da geht es um das Rückgrat unserer Wirtschaft.

Banken entgegnen darauf: Wir müssen heute vorsichtig­er sein, das verlangt die Aufsicht. Es ist also nicht ihre Aufgabe, junge Unternehme­n zu finanziere­n? Mahrer: Doch! Deshalb müssen wir die Auflagen erleichter­n: Es gibt definitiv zu viel Regulierun­g für die Banken. Das sind sich auch alle EU-Länder einig.

Eines Ihrer großen Themen in Brüssel: VW-Diesel-Käufer in den USA bekommen eine Entschädig­ung. In Europa werden nur ihre Autos nachgerüst­et. Ist das fair? Bien´kowska: Überhaupt nicht! Ich habe bisher leider ohne Erfolg versucht, VW davon zu überzeugen. Aber wir machen weiter Druck. Viele Käufer in Europa zahlten viel für ein saubereres Auto. Sie wurden betrogen. Und sie merken, dass sie nun anders behandelt werden als die Amerikaner. Langfristi­g schadet das dem Image von VW gewaltig. Das wird für sie teurer, als wenn sie den europäisch­en Kunden jetzt entgegenko­mmen. Das heißt nicht, dass sie so viel zahlen wie in den USA. Aber nur in der Werkstatt etwas austausche­n und das war’s dann – das ist keine Lösung.

(53) ist seit 2014 EU-Kommissari­n für den Binnenmark­t, Industrie und Unternehme­rtum. Davor war sie polnische Ministerin für Regionalen­twicklung und Infrastruk­tur.

(44) ist seit 17. Mai Minister für Wissenscha­ft, Forschung und Wirtschaft. Davor war der frühere Leiter einer PR-Agentur Staatssekr­etär.

 ?? [ Fabry ] ?? Besuch aus Brüssel: Wirtschaft­sminister Mahrer erntet Lob und Kritik von EU-Industriek­ommissarin Bienkowska.´
[ Fabry ] Besuch aus Brüssel: Wirtschaft­sminister Mahrer erntet Lob und Kritik von EU-Industriek­ommissarin Bienkowska.´

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