Thielemann, fast uneinholbar
Musikverein. Daniil Trifonov, die Dresdner und Christian Thielemann definierten die Interpretations-Kriterien für Ravel und Schönberg neu.
Das waren Maßstäbe, die da gesetzt wurden. Einerseits Ravels G-Dur-Konzert, ein echtes Virtuosen-Stück, andererseits die Tondichtung „Pelleas und Melisande“, die wegen ihrer gepanzerten Instrumentation als fast unrealisierbar gilt: Nun kam die Staatskapelle Dresden mit ihrem Chefdirigenten nach Wien, den jungen Meisterpianisten Daniil Trifonov im Schlepptau – und ab sofort haben sich alle Pianisten, die das beidhändige Ravel-Konzert spielen möchten, und sämtliche Orchester, die selbige dabei „begleiten“möchten, an dem zu messen, was am Montagabend im Musikvereinssaal erklang.
Für hellhörige Musikfreunde war diese Wiederbegegnung mit Ravels höchst artifiziellem Amalgam aus Innovationen der musikalischen Moderne, Jazz-Elementen, romantischer Melodik und klassi(zisti)scher Formgebung wie die Betrachtung eines feinmechanischen Kunstwerks, dessen schützender Glassturz vom Museumsdiener gerade blitzblank geputzt wurde: So viele kleine Details in den tausendfältigen Verästelungen der formalen Konstruktion und der koloristischen Feinabstufung hat man wahrscheinlich noch nie hören können. Nicht von ungefähr hat Strawinsky seinen französi- schen Kollegen einmal einen „schweizerischen Uhrmacher“genannt. Trifonov, Thielemann und die solistisch wie im harmonischen Ensemblespiel ungemein wachen Dresdner Musiker ließen das Räderwerk in aberwitzigem Tempo schnurren und kein Stäubchen hemmte den Gang. Während sich der Mittelsatz tatsächlich so ruhig ausnahm, wie die Vortragsbezeichnung „Adagio assai“suggeriert – ohne dass die Spannung auch nur für einen Moment nachzulassen drohte.
Der größte aller Geschichtenerzähler
„Pelleas“dann: An dem scheinbar undurchdringlichen Partitur-Dickicht scheitern berühmteste Maestri. Doch Thielemann bringt Sonnenstrahlen noch in den finstersten Winkel von Maeterlincks Szenarium, lässt die romantische Melodik des frühen Schönberg strömen, zaubert impressionistische Vignetten wie die Szene am Springbrunnen oder Melisandes Spiel mit der Haarpracht, kostet als klangsprachgewaltiger Geschichtenerzähler auch sinistre Aspekte wie die „schmutzigen“Farben des Katakomben-Bildes aus und verliert, obwohl er seine Dresdner immer wieder auch in Kompanie-Stärke ins äußerste Pianissimo zwingt, über aller Detailmalerei nie den dramaturgischen Faden. Ob man das Werk je wieder so hören wird?