ÖH-Wahlen: Gründe für das Debakel
Gastkommentar. Wenn den Studierenden ihr Mitspracherecht zurückgegeben würde, würden sie sich auch wieder engagieren.
Die öffentlich zur Schau getragene Freude der Siegerinnen der ÖH-Wahl vergangene Woche wird überschattet von einer Vielzahl von Ereignissen und Umständen, die diese Wahlen als Debakel für alle Beteiligten, insbesondere aber für die Studierenden und für die Universitäten, erscheinen lassen.
Da wäre einmal die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 24,5 Prozent zu erwähnen, die als Desinteresse der Studierenden an diesem Vorgang, als Delegitimierung der Wahlen, als Aberkennung einer Vertretungsbefugnis durch die Studierenden interpretiert wurde. Hinzu kam das weitgehende Fehlen von Sachthemen im Wahlkampf, der zu einem „Wähl mich“-Wettkampf verflachte.
Noch weniger war irgendeine Analyse des Ist-Standes oder die Entwicklung einer Zukunftsperspektive zu erkennen. Vielleicht, weil ohnehin bereits alles heile Welt ist? Das ist kaum anzunehmen, wenn man sich die unsäglichen Entgleisungen am Wiener Juridicum mit antisemitischen, frauen- und behindertenfeindlichen Postings von Studierendenvertretern vor Augen führt.
Erste Analysen dieser Situation endeten vielfach in kulturpessimistischen Resümees: Allerdings sind – sieht man von den Wiener Ereignissen ab – insgesamt weniger die Studierenden als die systematischen Schwächen des Universitätsgesetzes 2002 zu tadeln.
Mitbestimmung eliminiert
Mit diesem Gesetz wurde die studentische Mitbestimmung weitgehend aus der österreichischen Universitätsrealität eliminiert. Die Regelung zur Drittelparität hatte den Studierenden zuvor eine enorme Machtposition eingeräumt. Diese Position hat den Professoren, dem Mittelbau und den Leitungsinstanzen einiges an Aufwand und Diskussionsbereitschaft abverlangt, doch am Ende wurde mehrheitlich konzediert, dass die Studierenden die neutralste Gruppierung waren und gute, objektive Sachentscheidungen häufig gerade die Handschrift der Studierendenvertreter trugen. Studierende, die sich in solche Prozesse einbrachten, verdienten sich auch tatsächlich die Sporen für eine spätere Politikerkarriere. Der Entdemokratisierung, die mit dem UG 2002 in die Wege geleitet wurde, fiel auch die studentische Mitbestimmung zum Opfer.
Rechtsfreier Raum
Besonders dramatische Auswirkungen haben sich bei Habilitations- und Berufungsverfahren gezeigt, die nun von den lokalen Machthabern unabhängig von inhaltlicher Qualität nach Belieben steuerbar sind. Da das UG 2002 auch noch die Frage offen lässt, wer bei Rechtsverstößen in Berufungsverfahren zuständig ist, liegt gegenwärtig ein völlig rechtsfreier Raum in diesem Bereich vor – ein Umstand, der einzigartig ist und der gerade auch in einer am letzten Freitag veröffentlichten Stellungnahme der Volksanwaltschaft gerügt worden ist.
Konkreter politischer Funktionen entkleidet, hat sich auch das Selbstverständnis der Studierendenvertreter völlig verändert. Sie werden in den Fachschaften noch als Serviceleister wahrgenommen, aber mit zentralen ÖHInstanzen hat kaum mehr ein Studierender etwas zu tun. Damit fehlt den Studierenden jeder Übungsboden für eine praktische Politikausbildung, den Universitäten eine wichtige verhältnismäßig objektive Kontrollinstanz.
Gebe man den Studierenden das Mitspracherecht zurück, so würde wohl auch das Interesse an einer politischen Mitwirkung in der Studentenschaft ansteigen. Das würde zwar manches strategische Spielchen gut vernetzter Interessengruppen durchkreuzen. Die Universitäten – und der Rechtsstaat insgesamt – würden davon aber enorm profitieren.