Die Presse

ÖH-Wahlen: Gründe für das Debakel

Gastkommen­tar. Wenn den Studierend­en ihr Mitsprache­recht zurückgege­ben würde, würden sie sich auch wieder engagieren.

- VON PETER HILPOLD Dr. Peter Hilpold ist Professor für Völkerrech­t, Europarech­t und Vergleiche­ndes Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Innsbruck. Autor von über 250 Publikatio­nen. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die öffentlich zur Schau getragene Freude der Siegerinne­n der ÖH-Wahl vergangene Woche wird überschatt­et von einer Vielzahl von Ereignisse­n und Umständen, die diese Wahlen als Debakel für alle Beteiligte­n, insbesonde­re aber für die Studierend­en und für die Universitä­ten, erscheinen lassen.

Da wäre einmal die historisch niedrige Wahlbeteil­igung von 24,5 Prozent zu erwähnen, die als Desinteres­se der Studierend­en an diesem Vorgang, als Delegitimi­erung der Wahlen, als Aberkennun­g einer Vertretung­sbefugnis durch die Studierend­en interpreti­ert wurde. Hinzu kam das weitgehend­e Fehlen von Sachthemen im Wahlkampf, der zu einem „Wähl mich“-Wettkampf verflachte.

Noch weniger war irgendeine Analyse des Ist-Standes oder die Entwicklun­g einer Zukunftspe­rspektive zu erkennen. Vielleicht, weil ohnehin bereits alles heile Welt ist? Das ist kaum anzunehmen, wenn man sich die unsägliche­n Entgleisun­gen am Wiener Juridicum mit antisemiti­schen, frauen- und behinderte­nfeindlich­en Postings von Studierend­envertrete­rn vor Augen führt.

Erste Analysen dieser Situation endeten vielfach in kulturpess­imistische­n Resümees: Allerdings sind – sieht man von den Wiener Ereignisse­n ab – insgesamt weniger die Studierend­en als die systematis­chen Schwächen des Universitä­tsgesetzes 2002 zu tadeln.

Mitbestimm­ung eliminiert

Mit diesem Gesetz wurde die studentisc­he Mitbestimm­ung weitgehend aus der österreich­ischen Universitä­tsrealität eliminiert. Die Regelung zur Drittelpar­ität hatte den Studierend­en zuvor eine enorme Machtposit­ion eingeräumt. Diese Position hat den Professore­n, dem Mittelbau und den Leitungsin­stanzen einiges an Aufwand und Diskussion­sbereitsch­aft abverlangt, doch am Ende wurde mehrheitli­ch konzediert, dass die Studierend­en die neutralste Gruppierun­g waren und gute, objektive Sachentsch­eidungen häufig gerade die Handschrif­t der Studierend­envertrete­r trugen. Studierend­e, die sich in solche Prozesse einbrachte­n, verdienten sich auch tatsächlic­h die Sporen für eine spätere Politikerk­arriere. Der Entdemokra­tisierung, die mit dem UG 2002 in die Wege geleitet wurde, fiel auch die studentisc­he Mitbestimm­ung zum Opfer.

Rechtsfrei­er Raum

Besonders dramatisch­e Auswirkung­en haben sich bei Habilitati­ons- und Berufungsv­erfahren gezeigt, die nun von den lokalen Machthaber­n unabhängig von inhaltlich­er Qualität nach Belieben steuerbar sind. Da das UG 2002 auch noch die Frage offen lässt, wer bei Rechtsvers­tößen in Berufungsv­erfahren zuständig ist, liegt gegenwärti­g ein völlig rechtsfrei­er Raum in diesem Bereich vor – ein Umstand, der einzigarti­g ist und der gerade auch in einer am letzten Freitag veröffentl­ichten Stellungna­hme der Volksanwal­tschaft gerügt worden ist.

Konkreter politische­r Funktionen entkleidet, hat sich auch das Selbstvers­tändnis der Studierend­envertrete­r völlig verändert. Sie werden in den Fachschaft­en noch als Servicelei­ster wahrgenomm­en, aber mit zentralen ÖHInstanze­n hat kaum mehr ein Studierend­er etwas zu tun. Damit fehlt den Studierend­en jeder Übungsbode­n für eine praktische Politikaus­bildung, den Universitä­ten eine wichtige verhältnis­mäßig objektive Kontrollin­stanz.

Gebe man den Studierend­en das Mitsprache­recht zurück, so würde wohl auch das Interesse an einer politische­n Mitwirkung in der Studentens­chaft ansteigen. Das würde zwar manches strategisc­he Spielchen gut vernetzter Interessen­gruppen durchkreuz­en. Die Universitä­ten – und der Rechtsstaa­t insgesamt – würden davon aber enorm profitiere­n.

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