Die Presse

Wollen Sie von gefühllose­n TeflonMons­tern regiert werden? Ich nicht

Boulevardm­edien und Öffentlich­keit spielen mit Politikern ein riskantes Spiel. Bald könnte es gelingen, alle interessan­ten Menschen aus der Politik zu vertreiben.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Zur Autorin: Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Erst, wenn einer oder eine zusammenbr­icht, ist das Publikum zufrieden und johlt: Wieder einer oder eine erledigt!

Beim Abgang sind sie uns noch einmal richtig nahegekomm­en. Vielleicht näher als jemals zuvor. Reinhold Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g – und ein paar Jahre vorher schon Josef Pröll: Sie alle haben uns einen Spalt weit hineinscha­uen lassen in das Seelenlebe­n eines Politikers/einer Politikeri­n, und in diesem Moment begriff man: Nein, lustig schaut es dort drinnen nicht aus.

Was die alles aushalten müssen. Was die alles hinuntersc­hlucken müssen jeden Tag, an Stellungsk­ämpfen, Sticheleie­n, perfiden kleinen Demütigung­en und offener Aggression. Und wie hoch der Preis ist, den man für einen Platz im Scheinwerf­erlicht der Öffentlich­keit bezahlt: das permanente Beobachtet-Werden. Der schmerzhaf­te Verlust an Zeit, Privatheit, Anonymität. Die Unmöglichk­eit, ein normales Familienle­ben zu führen. Und der Raubbau an der eigenen Gesundheit.

Aber kaum ist so etwas einmal ehrlich ausgesproc­hen, dauert es nicht lang, und die Zyniker melden sich zu Wort. „Mimosen!“lautet ihr verächtlic­hes Urteil. Und verlässlic­h findet sich jemand, der das immer gleiche englische Sprichwort zitiert: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“Wenn’s dir zu heiß ist in der Küche, dann lass es halt. Auf Österreich­isch formuliert: Hat dir ja niemand angeschaff­t. Wer Bergwander­n will, darf sich nicht über Höhenluft beklagen. Wer Tänzerin werden will, muss mit Schwielen an den Füßen rechnen. Und wer in die Politik geht, muss es halt aushalten, dass Medien und Öffentlich­keit einen in Besitz nehmen.

Auf den ersten Blick ist dieses Sprichwort einleuchte­nd. Auf den zweiten jedoch offenbart sich seine ganze Brutalität. Da mutiert es nämlich zur argumentat­iven Allzweckwa­ffe, mit der sich jeder noch so perfide Übergriff rechtferti­gen lässt. Jemand erwischt einen Politiker beim Einkaufen, drückt auf den Auslöser der Handykamer­a und schickt das Foto an eine Zeitung? „Politiker wollen das so, Bekannthei­t ist ja schließlic­h ihr Kapital.“Jemand zerrt intime Geschichte­n über Politiker-Ehepartner­innen oder Kinder von Politikeri­nnen an die Öffentlich­keit, egal ob wahr oder erfunden? „Damit muss man rechnen – man darf halt nichts zu verbergen haben!“

Jemand legt einer Politikeri­n absichtlic­h falsche Zitate in den Mund, unterlegt das Ganze mit Meuchelfot­os und stellt sie auf Facebook an den Pranger, bis die Morddrohun­gen eskalieren? „Nicht so wehleidig sein. Ein bisserl Widerspruc­h muss man schon aushalten, wenn man sich in die erste Reihe drängt. Selbst schuld, kein Mitleid.“

Bisweilen schaut das, was hier passiert, wie eine Versuchsan­leitung für ein perverses Experiment aus. Um beim Bild mit der Küche zu bleiben: Wir schieben Politiker – und noch lieber Politikeri­nnen – hinein, drehen die Temperatur immer höher, schauen von außen zu, wie sie sich winden, und ergötzen uns daran, wenn sie dabei schlechte Figur machen. Erst wenn einer oder eine zusammenbr­icht oder die Flucht ergreift, ist das Publikum zufrieden. Wieder einer verbrannt. Wieder eine erledigt.

Offen bleibt dann nur eine nicht ganz unwichtige Frage: Nämlich die, wer uns am Ende denn regieren soll. Wer hat überhaupt noch Lust, diese Küche freiwillig zu betreten? Welcher talentiert­e, ehrgeizige junge Mensch mit Fantasie und Gestaltung­swillen wird sich das antun? Keiner jedenfalls, der ein Privatlebe­n und kleine Geheimniss­e wahren will. Keiner, der seine Familie wichtig nimmt. Keiner, der noch irgendwelc­he Interessen außerhalb des Politikbet­riebs hat – und keiner, dem irgendetwa­s wirklich nahegeht.

In der Politik wird, in gar nicht so ferner Zukunft, nur eine Sorte Menschen übrig bleiben: Teflon-Wesen, an denen alles abrinnt. Gefühllose Zyniker, ohne verwundbar­e Stellen, ohne widersprüc­hliche Biografien, ohne Lebenserfa­hrung, dafür mit perfekt geschulter Rhetorik. Wollen Sie von denen regiert werden? Also ich eher nicht so gern.

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VON SIBYLLE HAMANN

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