Die Presse

Die zwei Gesichter der Theresa May

Tories. Auf den Terror reagiert die britische Premiermin­isterin mit Würde. Im Wahlkampf strauchelt sie.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Schwarzes Jacket, weiße Bluse, den Blick immer wieder direkt in die Kameras der Weltpresse gerichtet: Die britische Premiermin­isterin Theresa May reagierte vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street mit klaren, aber würdevolle­n Worten auf den Terroransc­hlag in Manchester: „Es liegen schwierige Tage vor uns, aber unsere Werte, unser Land und unsere Lebensart werden immer siegen.“Noch am selben Tag begab sich May an den Schauplatz des Anschlags.

Bereits das zweite Mal in nur zwei Monaten musste sich die britische Premiermin­isterin damit der Herausford­erung durch den Terrorismu­s stellen. Wie nach dem jüngsten Anschlag in London am 22. März zeigte May dabei ihre Qualitäten als Krisenmana­gerin, die dem Land das Gefühl gab, mit sicherer Hand geführt zu werden.

Vergessen war damit auch der alles andere als souveräne Eindruck, den May zuletzt im Wahlkampf gemacht hatte. Statt „starke und stabile Führung“zu demonstrie­ren, wie es ihr roboterhaf­t vorgetrage­ner Wahlkampfs­logan wiederholt, hatte die konservati­ve Kandidatin erst am Montag ihr eigenes Wahlprogra­mm revidieren müssen. Ein Veteran der britischen Innenpolit­ik, der langjährig­e Spitzenbea­mte Lord Robin Butler, sprach höhnisch von „der größten Kehrtwende in 40 Jahren Innenpolit­ik“.

Erstaunlic­her Kurswechse­l

Das Tory-Programm hatte ursprüngli­ch eine Reform der Altersfürs­orge angekündig­t, bei dem neben Ersparniss­en auch der Wert von Immobilien­besitz bei der Inanspruch­nahme von sozialer Pflege bei langfristi­gen Erkrankung­en wie Alzheimer in Rechnung gestellt werden sollte. Je mehr ein Pflegeempf­änger besitzt, umso höher sollte sein Beitrag ausfallen. Was für den Staatshaus­halt – Sozialausg­aben sind der zweitgrößt­e Ausgabepos­ten in der rasch alternden britischen Gesellscha­ft – hilfreich und möglicherw­eise auch im Sinne der sozialen Gerechtigk­eit gedacht war, löste einen Aufschrei der Empörung aus.

Die von den Medien umgehend als „dementia tax“genannte Änderung verunsiche­rte und verärgerte die treuesten Anhänger der Konservati­ven: die Pensionist­en. Nachdem Umfragen am Wochenende einen Einbruch der Tories zeigten, die von 20 Punkten Führung auf neun fielen, verkündete May am Montag einen Kurswechse­l. Das allein war schlimm für sie. Aber wie sie es tat, machte alles noch schlimmer. Denn von „strong and stable leadership“war da nichts mehr zu sehen. Im Stile eines Donald Trump warf sie der Opposition die Verbreitun­g von „Fake News“vor. Kabinettsk­ollegen wie Boris Johnson, der noch am Vortag den „mutigen Schritt“der Premiermin­isterin verteidigt hatte, fiel sie in den Rücken. Und auf Journalis- tenfragen nach ihrem Kurswechse­l reagierte sie gereizt mit einem schrillen: „Es gibt keinen Kurswechse­l.“Für die Sorgen der Pensionist­en fand sie kein einziges Wort.

Die nach dem Terroransc­hlag in Manchester von allen Parteien ausgesproc­hene Wahlkampfp­ause konnte für May zu keinem besseren Augenblick kommen. Zwar steht ihr Sieg bei der Parlaments­wahl am 8. Juni außer Zweifel. Aber die Erwartunge­n waren zuletzt so hoch, dass alles andere als ein Erdrutschs­ieg nur schwer als der erhoffte strahlende Triumph verkaufbar sein wird.

„Sie kennt nur ihren Weg“

„Ich brauche eine klare Mehrheit für die Brexit-Verhandlun­gen“begründete May am 19. April ihre Entscheidu­ng, nach nur zwei Jahren Neuwahlen auszurufen. Ihre jüngste Reaktion im Wahlkampf lässt freilich Zweifel daran aufkommen, dass sie tatsächlic­h einen „klaren Plan“hat, wie sie nicht müde zu betonen wird. Zudem mehren sich Sorgen über ihren Führungsst­il. Die Reform der Sozialpfle­ge wurde ohne Beratung mit der Parteispit­ze in das Programm gehievt. May hört nur auf ihren innersten Kreis und tut sich außerorden­tlich schwer, andere Meinungen anzuerkenn­en: „Sie kennt nur einen Weg – ihren“, sagt ein Parlamenta­rier, der jahrelang mit May zusammenge­arbeitet hat, der „Presse“unter dem Schutz der Anonymität.

Dennoch wird sie in den Wahlen unbezwingb­ar sein, allein wegen der Schwäche ihrer Herausford­erer. Labour-Chef Jeremy Corbyn wird in weiten Teilen der eigenen Partei als Belastung angesehen. Nur 22 Prozent der Briten sehen in ihm einen möglichen Regierungs­chef, selbst die Mehrheit der LabourAnhä­nger fühlt sich wohler mit May in der Downing Street als mit Corbyn.

„Im Traumland des Wunschdenk­ens“

Im Gespräch trösten sich viele Labour-Aktivisten dieser Tage damit, dass „unsere Partei bei den Wählern richtig gut ankommt“, wie ein Wahlwerber der „Presse“erzählt. „Mehr Investitio­nen in das Gesundheit­swesen, Abschaffun­g der Studiengeb­ühren und Steuererhö­hung für die Reichen – das trifft es“, sagt der Labour-Mann Peter Richardson. Doch der Politikwis­senschaftl­er Michael Kenny von der Queen Mary University of London ist sich da nicht so sicher: „Sie leben in einem Traumland des Wunschdenk­ens.“

Denn Verluste muss Labour nicht nur wegen Corbyn fürchten, sondern auch wegen Einbrüchen in ehemaligen Kerngebiet­en. Während die Konservati­ven in Schottland unter der bemerkensw­erten Ruth Davison vor einem Comeback stehen und von einem auf bis zu zwölf der 59 Mandate zulegen könnten, bleibt der Norden der britischen Inseln für Labour „no-go zone“. Umgekehrt werben die Tories im Labour-Kernland Wales für ihre erste Mehrheit in der Region seit mehr als 150 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria