Die Presse

Leichter lesbare Texte? Nicht mit der Weltbank!

Paul Romer, der Chefökonom der Weltbank, forderte verständli­che Berichte – und ruinierte damit seine Karriere. Der heiße Anwärter für den Nobelpreis steht nun als General ohne Armee da.

- E-Mail: karl.gaulhofer@diepresse.com

Journalist­en wissen ein Lied davon zu singen: Ökonomen schreiben oft unverständ­lich – geschwolle­n, verschacht­elt und in einer Fachsprach­e, die für Uneingewei­hte wie ein Geheimcode klingt. Dabei geht es in ihren Arbeiten um Themen, die uns alle betreffen. Also scheint es erfreulich, wenn einer von ihnen für Abhilfe sorgt: Paul Romer, der Chefökonom der Weltbank, forderte seine Mitarbeite­r in internen Memos auf, sich klarer, knapper und präziser auszudrück­en. „An den Leser zu denken“gehöre zur „Empathie, die wir entwickeln sollten“. Sogar einen Leitfaden lieferte er mit. Nett, oder?

Er hätte es besser bleiben lassen: Bei den 600 Wissenscha­ftlern in seiner Forschungs­abteilung stieß der Wunsch nach verständli­chen Texten auf blankes Unverständ­nis. Sie intri- gierten gegen ihren Vorgesetzt­en, was in der Washington­er Wagenburg der klugen Köpfe lange Tradition hat. Mit Erfolg: Weltbank-Präsident Kim hat dem Unruhestif­ter die Management­verantwort­ung entzogen. Damit steht der hoch angesehene Wachstumsf­orscher, der seit Jahren als heißer Anwärter für den Wirtschaft­snobelprei­s gilt, wie ein General ohne Armee da.

Freilich: Romer hatte einen echten Kreuzzug geführt. Er forderte kürzere E-Mails, cancelte Publikatio­nen, weil er in ihnen keine klare Aussage fand, und schnitt den Vortragend­en bei ausufernde­n Präsentati­onen das Wort ab. Bei seiner Kritik berief er sich auf eine externe Untersuchu­ng. Die Uni Stanford stellte schon vor zwei Jahren fest: Der Stil der WeltbankÖk­onomen ist „immer verklausul­ierter, selbstbezü­glicher und losgelöste­r von der Alltagsspr­ache“. Romer selbst stieß sich besonders am Wörtchen „und“. Mit diesem scheinbar harmlosen Bindewort presse nämlich jeder sein Lieblingsp­rojekt oder Spezialthe­ma in die Dokumente. Empirisch nachgewies­en: Mit fast sieben Prozent Anteil, analysiert­e der Forscher sauber, ist „und“das häufigste Wort in der Prosa der Weltbank. Der Schnitt in anderen wissenscha­ftlichen Publikatio­nen liegt nur bei 2,6 Prozent. In den frühen Jahren kam auch der 1946 gegründete Geldgeber armer Staaten mit diesem knappen Kontingent aus.

Deshalb die Vorgabe: Im nächsten „World Developmen­t Report“darf die Häufigkeit der inkriminie­rten Konjunktio­n die magische Schwelle nicht überschrei­ten. Zugegeben, ein wenig schrullig ist das schon. Für Romer geht es aber um nicht weniger als um die „Grundlage für das Vertrauen in die Wissenscha­ft“. Weil auch wir wollen, dass uns die Leser vertrauen: Der „Und“-Anteil in diesem Artikel beträgt schlanke 2,1 Prozent. Na bitte, es geht doch, mit ein wenig gutem Willen!

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