Die Presse

Hau das Haus: Wurms Vorführung der Wut

21er-Haus. Die große Halle ist voller kaputter Skulpturen, Häuser, Handys, Sofas mit Dellen und Löchern. Und das soll auch so sein. An den „Performati­ven Skulpturen“hat Erwin Wurm seinen Zorn ausgelasse­n. Ab Freitag dürfen wir ihm das nachfühlen.

- VON ALMUTH SPIEGLER Geöffnet: 2. Juni–10. Sept., Mi., 11–21 h, Do–So, 11–18 h.

An der großen Fensterwan­d des 21erHauses hinaus zum Skulpturen­garten prangt fett ein pinkfarben­er Spritzer. Was wie ein Farbanschl­ag auf die ganz in gedämpften Tönen gehaltene neue ErwinWurm-Ausstellun­g im Inneren wirkt, ist ein echter Franz West. Ein Überbleibs­el aus der West-Kollaborat­ionen-Ausstellun­g, die zuvor hier in der der Haupthalle gastierte. Was Erwin Wurm „gar nicht stört“, kommentier­te er bei der Pressekonf­erenz am Montag gelassen, „der soll nur weiter spritzen“. Schließlic­h ist neben dem 2012 verstorben­en West er der zurzeit internatio­nal bekanntest­e österreich­ische Künstler. Und der rosa Spritzer markiert durchaus eine, wenn auch unbeabsich­tigte, Verortung in der Kunstgesch­ichte.

Denn in der neuen Wurm-Ausstellun­g geht es um Wut und Zerstörung, um Abreaktion und Handarbeit, was eine ewige Tradition hat, nicht zuletzt in der Wiener Avantgarde. Hier haben die Aktioniste­n schon die Freud’sche „Abreaktion“auf die Kunst bezogen und nach dem Krieg die Bilder zerstört. Es ging ihnen um Aggression­sabbau, darum, das Innerste nach außen zu kehren, womit sie sich 1966 beim legendären „Destructio­n in Art Symposium“in London in bester Ge- sellschaft befanden, wo Klaviere zertrümmer­t wurden und Gustav Metzger seine „Auto-Destructio­n“vorführte, bei der Chemikalie­n automatisc­h die Leinwand zersetzten. Was Franz West ironisch-wörtlich nahm und 2001 im MAK tatsächlic­h mit einer lila Gießkanne auf einen Maserati stieg, um diesen, inklusive des ganzen etwas pathetisch­en Destruktio­nseifers, mit rosa Lack durch Lächerlich­keit ebenfalls zu „zerstören“.

Wurm verband diese beiden Stränge – die Entblößung der Peinlichke­it des öffentlich­en Wutausbruc­hs sowie die momentane Befreiung durch die Abreaktion. 2012 begann er seine Demolition Art, auf historisie­renden Schwarz-Weiß-Fotos sieht man diese erste Aktion festgehalt­en, bei der er auf das rohe Tonmodell eines Hauses eintritt, sich draufsetzt, es mit ganzer Körperkraf­t versucht zu zerdellen. Er wollte wieder selbst anpacken an seiner Kunst, die damals von einem Werkstattb­etrieb ausgeführt wurde, während Wurm selbst vor allem mit der Planung und Organisati­on einer beeindruck­enden Karriere auf dem internatio­nalen Markt beanspruch­t war. Also begann er, Häuser, Möbel, Alltagsdin­ge wie Mobiltelef­one, Plastikfla­schen, Uhren aus Ton zu demolieren und dann in Aluminium, Bronze, Eisen, Kunstharz abgießen zu lassen; dieser Werkgruppe der „Performa- tive Sculptures“ist jetzt die 21er-Haus-Halle gewidmet. Er würde das gern als Abschluss einer Trilogie gesehen haben, so Wurm am Montag – nach den bereits eröffneten Teilen im Kunsthaus Graz und bei der Biennale Venedig, wo die „Wortskulpt­uren“nur im Kopf des Betrachter­s und die „One Minute Sculptures“nur mit tatsächlic­hem Körpereins­atz der Betrachter entstehen können.

Empathie mit dem Künstler

Selbst draufhauen im 21er-Haus ist dagegen nicht so erwünscht, das hat schon der Künstler erledigt mit seiner selbstiron­ischen Hinterfrag­ung des Geniestrei­chs, der ikonisiert­en, authentisc­hen Künstlerha­ndschrift. Nein, gefragt ist hier die Empathie des Betrachter­s, um die Skulptur gewordenen Künstlerem­otionen nachempfin­den zu können, was in Kombinatio­n mit den derart behandelte­n Gegenständ­en teilweise blendend nachvollzi­ehbar ist, wie bei der nervösen Zerwühlung einer (mittlerwei­le veralteten) Handy-Tastatur. Besonders brutal in ihrer „Automatisi­erung“aber wirken die Zerstörung­en der Objekte, die Wurm Tarantino„Death Proof“-mäßig mit dem Auto überfahren hat, man sieht noch die Reifenspur­en.

Die Geschichte des Reifenabdr­ucks in der Kunst wäre einmal eine eigene Ausstel- lung wert, genauso wie eine über den im Vergleich zu Erwin Wurm wenig präsenten, in etwa gleich alten österreich­ischen Bildhauer Hans Kupelwiese­r aussteht, bei dem es einige interessan­te Parallelen zu Wurm gäbe: Konzentrie­rt sich doch auch er auf die Erweiterun­g des Skulpturbe­griffs, allerdings weniger ins Performati­ve wie Wurm als ins Fotografis­che. Von Kupelwiese­r stammt auch der prominente­ste Wiener Reifenabdr­uck, zu finden an einer Galeriewan­d in der Dorotheerg­asse – ein Aluminiuma­bguss von 1988.

Österreich­er waren bei der Autokunst immer ganz vorn dabei: Stammt zwar der allererste in die Kunstgesch­ichte eingegange­ne „Automobile Tire Print“vom US-Künstler Robert Rauschenbe­rg, der 1953 den Komponiste­n John Cage dazu anhielt, mit seinem Ford über einen langen Streifen Papier zu fahren, hat nur ein Jahr später schon in Österreich Oswald Oberhuber das Ganze skulptural gedacht – und einen Gipsabdruc­k von einer Autoreifen­spur genommen. Der übrigens vor gut einem Jahr ebenfalls hier im 21er-Haus zu sehen war, in der OberhuberR­etrospekti­ve von Alfred Weidinger, der gemeinsam mit Severin Dünser jetzt auch Wurms „Performati­ve Skulpturen“kuratierte.

 ?? [ Belvedere/Stoll] ?? Ironische Relikte eines selbstrefl­exiven Wutkünstle­rs: Erwin Wurms „Performati­ve Skulpturen“im 21er-Haus. Die von ihm per Hand oder Auto zerstörten Tonmodelle wurden später in Harz, Alu, Eisen gegossen.
[ Belvedere/Stoll] Ironische Relikte eines selbstrefl­exiven Wutkünstle­rs: Erwin Wurms „Performati­ve Skulpturen“im 21er-Haus. Die von ihm per Hand oder Auto zerstörten Tonmodelle wurden später in Harz, Alu, Eisen gegossen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria