Die Presse

Schlaflos in der Glut der Nächte und der Städte

Erwärmung. Der Effekt des Klimawande­ls wird durch die Hitze, die Städte sich selbst bereiten, verdoppelt. Das wird auch die Zahl der Nächte erhöhen, in denen vor allem alte und arme Menschen keinen Schlaf finden.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wer am Abend aus dem Zentrum einer Stadt wie Wien an die Peripherie fahren kann, der darf sich vor allem in den Nächten über eine Abkühlung von etwa zwei Grad Celsius freuen, so stark ist der Effekt einer „urbanen Hitzeinsel“, wenn sie relativ klein ist wie Wien, in größeren Metropolen kann es ärger sein. Das hat viele Gründe, vom stärkeren Aufheizen der dunklen Oberfläche­n von Dächern und Straßen über die vermehrte Abwärme – auch von Klimaanlag­en – bis zur mangelnden Entlüftung durch Grün und Winde.

All das führt dazu, dass sich die Wärmefolge­n des Klimawande­ls in den ganz großen Städten durch die hausgemach­ten bis 2050 mindestens verdoppeln werden, der Inseleffek­t wird dort 2,08 Grad betragen. Das hat Francisco Estrada (Mexico City) aus einer Analyse der Entwicklun­g in 1692 Städten rund um den Erdball heraus berechnet, es wird auch deshalb immer mehr Menschen betreffen, weil derzeit schon 54 Prozent in Städten wohnen, 2050 werden es 66 Prozent sein. Denen lässt sich nur helfen, wenn Städte sich gegen die Hitze bzw. ihren eigenen Beitrag rüsten, mit helleren Farben der Oberfläche­n, mit besserer Abfuhr der Hitze, die sich vor allem in den Nächten staut – in denen ist der Effekt viel größer –, und auch aus wohlgeheiz­ten Hausmauern etwa in Wien nicht weichen will (Nature Climate Change 29. 5.).

Mörderisch­ste US-Hitzewelle kam 1936

Hinter den Mauern findet man dann schlechter Schlaf, weil der Körper ihn mit einem Absenken seiner Temperatur einleitet. Und noch weniger Schlaf findet man, wenn eine Hitzewelle länger dauert, so war es etwa 2015 in San Diego, es war nicht die ärgste in den USA, die war – lange vor der globalen Erwärmung – 1936, sie forderte 5000 Menschenle­ben. Aber 2015 in San Diego war es doch so lang so heiß, dass der Student Nick Obradovich sich ruhelos im Bett wälzte.

So begründet er zumindest, was ihn, der inzwischen in Harvard forscht, dazu motivierte, den Zusammenha­ng zwischen Nachttempe­ratur und Schlafqual­ität zu erkunden, er konnte auf einzigarti­ge Daten zurückgrei­fen: In den USA erkundigt sich der Gesundheit­sdienst CDC regelmäßig in Telefonate­n bei zufällig ausgewählt­en Adressaten über alle möglichen Lebensumst­ände, auch über die Schlafqual­ität. 765.000 Interviews aus den Jahren 2002 bis 2011 konnte Obradovich auswerten, er setzte sie in Bezug zu Wetterdate­n: Jedes zusätzlich­e Grad in der Nacht bringt pro 100 US-Amerikaner­n und Monat drei zusätzlich­e schlaflose Nächte, macht für die gesamten USA 110 Millionen.

Allerdings trifft es nicht alle gleich, am meisten unter der Hitze leiden, nicht allzu überrasche­nd, Alte und Arme: Erstere haben oft ohnehin Probleme mit dem Schlaf, Letztere haben entweder zu wenig Zeit – mehrere Jobs – oder zu wenig Geld – für den Dauerbetri­eb von Klimaanlag­en – oder beides (Science Advances 26. 5.). Aber auch die sind noch privilegie­rt gegenüber Menschen in vielen Regionen der Erde, auch das weiß Obradovich aus Erfahrung, von einer Reise nach Ghana: „Da kann man nichts machen, man leidet einfach unter der Hitze.“

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