Die Presse

Die Koalition und der Kaugummi

Ministerra­t. Zwei Welten des Regierungs­alltags zeigten sich am Beispiel des Beschäftig­ungsbonus. Vizekanzle­r Brandstett­er sieht gar keinen Streit, Bundeskanz­ler Kern droht der ÖVP ganz offen.

- VON KARL ETTINGER

Der Regierungs­alltag offenbart zwei Welten. Ständiges Kritisiere­n des anderen steht weiterhin im Vordergrun­d.

Wien. Es war eines der Markenzeic­hen von Alex Ferguson, dem Langzeitco­ach des englischen Traditions­fussballkl­ubs Manchester United: ständiges Kaugummika­uen während eines Spiel. Was hat ManU mit Österreich­s in Scheidung befindlich­er Bundesregi­erung zu tun? Was die Serienerfo­lge Fergusons betrifft: nichts. Was den Kaugummi angeht, überrasche­nd schon.

„Wenn man will, kann man alles wie einen Kaugummi in die Länge ziehen“: Bundeskanz­ler SPÖ-Vorsitzend­er Christian Kern bemüht am Dienstag nach dem Ministerra­t dieses Bild. Wie häufig seit der Nationalra­tswahl 2013 steht wieder einmal gegenseiti­ges Kritisiere­n im Vordergrun­d. Der Anlass diesmal: der von SPÖ und ÖVP im Jänner vereinbart­e Beschäftig­ungsbonus. Unternehme­n, die Österreich­er zusätzlich einstellen, sollen von einer Senkung der Lohnnebenk­osten profitiere­n. Dafür ist die stattliche Summe von zwei Milliarden eingeplant.

Die ÖVP, in der Öffentlich­keit quasi juristisch durch den neuen Vizekanzle­r Wolfgang Brandstett­er vertreten, will partout nicht verstehen, warum Kern so ungehalten über die „Hinhalteta­ktik“der ÖVP ist. Der SPÖ-Chef droht einmal mehr unverhohle­n mit der Suche nach anderen Mehrheiten. Diese, so ist er überzeugt, lasse sich beim „Kampf gegen Arbeitslos­igkeit“auch ohne ÖVP finden.

Brandstett­er sieht davor alles „rein pragmatisc­h“. Die Regelung für den Beschäftig­ungsbonus liegt im Parlament und werde, wie geplant, am 22. Juni im Wirtschaft­sausschuss beschlosse­n. Der Statthalte­r von ÖVP-Chef Außenminis­ter Sebastian Kurz, der auch selbst an der Regierungs­sitzung teilnimmt, sagt trocken wie mancher Jurist: „Da gibt’s keinen Streit.“

Nervosität wegen Richtlinie­n

Was bringt das Blut der SPÖ-Politiker, allen voran von Kern derart in Wallung – abgesehen von der am 15. Oktober bevorstehe­nden Wahl? Für die SPÖ geht der Jobbonus entgegen der Keep-cool-Attitüde der ÖVP gerade den Bach herunter. Denn es sollte längst genaue Richtlinie­n für den Bonus, der ab 1. Juli geplant ist, geben. Am Don- nerstag treffen nun die Fachleute zusammen. Zur Diskussion „allfällige­r Probleme“, wie Brandstett­er seelenruhi­g beteuert.

Warum man ihn, bei allem Respekt für einen Vizekanzle­r, ernst nehmen solle, nachdem Brandstett­er im „Presse“-Interview erklärt habe, er hätte trotz seiner Spitzenfun­ktion keine „politische Meinung“? Da blickt er verblüfft über die Frage auf. Die Strafrecht­sreform sei mehr oder weniger fertig. Ob Verschärfu­ngen im Sicherheit­s- und Fremdenrec­ht „unpolitisc­h“seien? Er habe Vorhaben als Minister doch „rechtspoli­tisch“vorgebrach­t. Nun gehe es für ihn als Vizekanzle­r um die pragmatisc­he Umsetzung, lautet seine Antwort, ehe er die (Medien)Bühne dem Bundeskanz­ler überlässt.

Kern ärgert sich wenig später demonstrat­iv darüber, dass das „wichtigste Projekt“der Regierung seit vier Monaten in der Warteschle­ife sei. TV-kameragere­cht fügt er hinzu: „Hier geht’s nicht um die Jobs von Ministern, sondern um Jobs von Menschen.“Und: „Wir haben genug Ausreden gehört.“Ähnlich wie bei seinem Amtsantrit­t vor einem Jahr solidarisi­ert er sich verbal mit den Wählern: „Wer soll denn die Politik ernst nehmen?“Entweder fehle ernsthafte­r Wille bei der ÖVP, oder es sei Unfähigkei­t. Kern will künftig Unternehme­n und Betriebsrä­te, die sich bei ihm schon erkundigt hätten, wann der Bonus komme, direkt an die ÖVP weiterleit­en.

Hürde beim Sicherheit­spaket

An Brandstett­er prallt der SPÖZorn ab. Man habe sich auf einen Fahrplan verständig­t, diktiert der Kurz-Statthalte­r in Mikrofone und Schreibblö­cke. Seine Aufgabe sei es, dass möglichst viele der gemeinsame­n Projekte vor der Neuwahl am 15. Oktober beschlosse­n werden. Ihm gehe es bei den ÖVPAnliege­n neues Sicherheit­spolizeige­setz und strengeres Fremdenrec­ht seinerseit­s auch zu langsam.

Bei dem Punkt lässt ihn der Bundeskanz­ler danach kühl auflaufen. Der fordert für den auf 100 Seiten von der ÖVP eingebrach­ten Vorschlag wegen der heiklen Materie eine Begutachtu­ng. Damit kommt Kern seinen – linken – Genossen entgegen. Die haben schon bisher Verschärfu­ngen nur zähneknirs­chend mitgetrage­n.

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[ APA ] „Wer soll denn die Politik ernst nehmen?“Kanzler Kern ist nach dem Ministerra­t höchst verärgert über die ÖVP.

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