Die Presse

Die neue deutsch-amerikanis­che Eiszeit

Diplomatie. Die SPD stänkert gegen Trump. Der Präsident twittert zurück. Die Sache droht aus dem Ruder zu laufen, zumal in Deutschlan­d Wahlkampf ist. Die SPD muss indes wegen eines Schicksals­schlags Minister und Generalsek­retär tauschen.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Die jüngste Hiobsbotsc­haft trifft am frühen Dienstagna­chmittag in Berlin ein. Sie zählt rund 140 Zeichen. Und sie kommt direkt vom Präsidente­n. „Wir haben ein MASSIVES Handelsdef­izit mit Deutschlan­d und sie zahlen viel weniger als sie müssten für die Nato und das Militär. Sehr schlecht für die USA. Das wird sich ändern“, twittert Donald Trump. Die Stimmung zwischen Berlin und Washington ist in diesen Tagen „very bad“, um in der Diktion des US-Präsidente­n zu bleiben, und zwar spätestens seit dem G7-Gipfel und Merkels anschließe­nder Bierzeltre­de, in der sie ungewohnt deutlich die neue Unzuverläs­sigkeit der USA benannte.

Öffentlich­e Trump-Kritik war bisher in der Regierung der SPD vorbehalte­n. Also legte deren Außenminis­ter Sigmar Gabriel nach: „Der Westen ist ein Stück kleiner geworden“, sagte Gabriel. Eher undiplomat­isch konstatier­te der Chefdiplom­at einen „Ausfall der Vereinigte­n Staaten als wichtige Nation“.

Noch dicker trug sein Parteichef Martin Schulz auf. Vor den roten Backsteinb­auten in der Berliner Kulturbrau­erei, beim Fest der „vorwärts“-Zeitung, sagte Schulz in Richtung Trump, es sei das Gebot der Stunde, „sich diesem Mann, mit allem was wir vertreten, in den Weg zu stellen“. Er, Schulz, kämpfe ja seit Jahrzehnte­n für ein starkes Europa. Anderen kommt die Erkenntnis ein bisschen später. „Den einen auf Gipfeln, den anderen im Bierzelt.“Eine Spitze gegen Merkel, die ja in diesen Tagen auch sagt: „Europa muss sein Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“In der SPD deuten sie das als (geschickte­n) Schachzug der Kanzlerin im Wahlkampf, Merkel wolle der SPD das EUThema aus der Hand schlagen, die glühende Europäerin geben, die den weltweiten Populisten die Stirn bietet. Das ist genau die Rolle, die sie Schulz zugedacht haben.

In der Kulturbrau­erei, warnt der SPDKanzler­kandidat wie so oft vor einer „fatalen Aufrüstung­slogik“. Das gibt immer Beifall. Eine Mehrheit der Deutschen lehnt Erhö- hungen des Rüstungset­ats ab, erst recht, wenn sie der in Deutschlan­d höchst unbeliebte US-Präsident fordert. Merkel bringt das in ein Dilemma: Sie hat den USA schon zugesagt, mehr Geld für Verteidigu­ng auszugeben. Und Trumps gestrige Nachricht legt nahe, dass er sich nicht bewegen wird.

In der SPD erinnern sie daher in diesen Tagen an Gerhard Schröder. Der hatte 2002 eine bereits verloren geglaubte Wahl gewonnen – mit seinem Nein zum Irak-Krieg. Es sei keine Kunst, im Bierzelt über Trump zu schimpfen, sagt SPD-Generalsek­retärin Katarina Barley. Aber in den direkten Begegnunge­n knicke Merkel ein. Eben ganz anders als Schröder damals bei George W. Bush. „Merkel ist auch nicht die Richtige, um Europa zu einen“, wirft Barley hinterher. Die Erzählung der SPD geht in etwa so: Merkel und ihr Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble blockieren als oberlehrer­hafte Sparmeiste­r das Vorankomme­n in der EU. „Solange wir den Süd- europäern und Frankreich keine Luft zum Atmen lassen, werden sie uns (in der Flüchtling­skrise) auch nicht helfen“, erklärte Gabriel, der befreit von der Last des SPD-Chefs in diesen Tagen zu neuer Angriffslu­st findet.

Inmitten des Wahlkampfs um Europa platzte die Nachricht eines persönlich­en Schicksals­chlags an der ostdeutsch­en Küste, der eine Reihe von SPD-Rochaden nötig macht. Erwin Sellering, seit 2008 SPD-Ministerpr­äsident in Mecklenbur­g-Vorpommern, trat gestern überrasche­nd zurück. Erst Mitte Mai war er als SPD-Landeschef wiedergewä­hlt worden. Tage später wurde bei ihm Lymphdrüse­nkrebs diagnostiz­iert. Der 67-Jährige, 2014 zum dritten Mal Vater geworden, muss sich nun einer „massiven“Behandlung unterziehe­n.

Große Personalro­chaden in der SPD

Manuela Schwesig, 43, bisher Familienmi­nisterin, folgt Sellering an der Spitze des 1,6-Millionen-Einwohner-Landes nach. Das macht weitere Wechsel nötig: Die 48-jährige Juristin Barley, bisher Generalsek­retärin, wird Schwesigs Platz in der Regierung übernehmen. Und das SPD-Generalsek­retariat führt demnächst Hubertus Heil. Der Fraktions-Vizechef, 44, war schon einmal Generalsek­retär , von 2005 bis 2009, als die SPD ihr historisch schlechtes­tes Ergebnis einfuhr.

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