Die Presse

Brasilien sucht Alternativ­e zu Präsident Temer

Korruption­sskandal. Trotz allen belastende­n Materials scheint der angeschlag­ene Staatschef seine Position zu festigen – mangels eines geeigneten Nachfolger­s.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Bras´ılia/Buenos Aires. Der Palacio´ do Planalto ist ein Klassiker der modernen Architektu­r. Mit seiner vierstöcki­gen Glasfassad­e unter einem überbreite­n Flachdach ist der Amtssitz von Brasiliens Präsidente­n seit bald sechs Jahrzehnte­n ein gebautes Postulat für Transparen­z an der Staatsspit­ze. Doch leider hat sich der Inhalt nur selten der Form angepasst. Der aktuelle Insasse macht den „Palast auf der Hochebene“derzeit zur Trutzburg. Er will den Kräften widerstehe­n, die ihn aus dem Amt fegen wollen wie vor Jahresfris­t seine Vorgängeri­n und einstige Chefin Dilma Rousseff.

Obwohl der Verdacht gegen Temer wesentlich schwerer wiegt als jener gegen Rousseff vor einem Jahr, sind Temers Chancen, im Amt zu bleiben, deutlich höher. Denn sein bester Verbündete­r ist die Ungewisshe­it. Niemand hat bisher eine klare Vision, was folgen könnte, wenn der zweite Präsident binnen 13 Monaten fiele.

Skandalöse Enthüllung­en

Bis Mitte Mai schien es, als habe die unpopuläre Regierung Temers mit ihren noch unpopuläre­ren Sparpakete­n die seit Mitte 2014 wütende Rezession bremsen können. Die Zinsen fielen, die Inflation lag mit etwa 4 Prozent unter der kritischen Marke von 4,5. Doch dann platzte eine politische Bombe mit genug Sprengkraf­t, um das gesamte politische Bras´ılia von der Hochebene zu blasen.

Am 17. Mai wurde bekannt, dass der Boss des weltgrößte­n Fleischkon­zerns JBS sich der Justiz als Kronzeuge zur Verfügung gestellt und dabei schwer belastende­s Beweismate­rial gegen Temer und auch den Chef der Sozialdemo­kraten, Aecio´ Neves, ausgehändi­gt hatte. Auf einer Audiodatei ist Temer zu hören, wie dieser die Zahlung von Schweigege­ld an einen inhaftiert­en Parteifreu­nd gutheißt. Außerdem signalisie­rt Temer Zustimmung, als der Fleischbar­on angibt, zwei Richter und einen Staatsanwa­lt bestochen zu haben. Nachdem der Mittschnit­t in die Öffentlich­keit kam, bestritt Temer dessen Authentizi­tät und verweigert­e einen Rücktritt. „Sollen sie mich doch stür- zen, wenn sie unbedingt wollen“, sagte Temer der Zeitung „Folha de Sao˜ Paulo“.

Vorigen Donnerstag wechselte Temer den Justizmini­ster. Torquato Jardim ist ein erfahrener­er Anwalt und soll offenbar die Verteidigu­ng Temers von Regierungs­seite aus übernehmen.

„Bei Neuwahlen droht Chaos“

Es gilt mehrere Fronten zu bearbeiten: Einerseits müssen sie versuchen, den Strafproze­ss gegen Temer am obersten Gerichtsho­f wegen Korruption und Justizbehi­nderung hinauszuzö­gern. Und anderersei­ts müssten Sie danach trachten, dass das obersten Wahlgerich­t kommende Woche nicht die gesamte Wahl 2014 für ungültig erklärt. Gründe dafür gäbe es zu Hauf: Mehrere Kronzeugen bestätigte­n illegale Wahlkampff­inanzierun­g sowohl für die gewählte Dilma Rousseff wie auch deren Vize Temer. Für Dienstag bis Donnerstag folgender Woche hat das Wahlgerich­t vier entscheide­nde Sitzungen anberaumt.

Während die Medien nun über die möglichen Positionen der sieben Richter spekuliere­n, kann Temer mitverfolg­en, wie sich das Land bei der Suche nach einem Nachfolger aufreibt. In den Couloirs von Kongress und Senat, aber auch in einer Elefantenr­unde diverser Ex-Präsidente­n wurde nach einem Temer ohne Tadel gefahndet, aber bisher stieg kein weißer Rauch auf.

Anfänglich sprachen viele von einer Rückkehr Fernando Henrique Cardosos, der Brasilien on den 1990er Jahren auf die Füße stellte. Doch der respektier­te Soziologe ist mit 85 zu alt für eine neue Runde als Herkules. Ein anderer klingender Name ist der von Henrique Meirelles, dem aktuellen Finanzmini­ster, der zuvor acht Jahre Lula als Zentralban­kchef zuarbeitet­e. Er ist die treibende Kraft hinter Temers Reformpake­t und Favorit von Finanzsekt­or und Industrie. Gegen ihn läuft bislang keine Korruption­sermittlun­g, aber Meirelles leitete zwischen 2012 und 2016 den Aufsichtsr­at der Holding J&F. Und die gehört ausgerechn­et zum Imperium der korrupten Fleischbar­one Batista, die Temer hochgehen ließen.

Im April, noch vor dem Auftauchen der Audiodatei, sagte der Südamerika-Chef eines deutschen Dax-Konzerns gegenüber der „Presse“: „In Regierung und Parlament sitzen viele Gangster, die hoffentlic­h alle im Gefängnis enden werden. Aber bitte nicht sofort. Wir brauchen mindestens bis Ende nächsten Jahres, um hier neues Personal zu finden. Wenn jetzt neu gewählt werden müsste, droht das totales Chaos.“Dass ein Großteil der brasiliani­schen Wirtschaft so denkt, ist Temers beste Rückversic­herung.

 ?? [ Imago ] ?? Demonstrat­ionen gegen die Regierung von Präsident Temer in Brasilien. Ein möglicher Nachfolger für den in einem Korruption­sskandal verstrickt­en Staatschef ist weit und breit nicht in Sicht.
[ Imago ] Demonstrat­ionen gegen die Regierung von Präsident Temer in Brasilien. Ein möglicher Nachfolger für den in einem Korruption­sskandal verstrickt­en Staatschef ist weit und breit nicht in Sicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria