Wie Drogenhandel den Krieg anfacht
Suchtstoffe. In Syrien floriert das Geschäft mit Captagon, auch als „Jihadistendroge“bekannt. Doch alle Bürgerkriegsparteien bedienen sich an den aufputschenden Pillen und verdienen damit.
Wien. „Wir wurden mutig und energiegeladen, die Müdigkeit und die Angst verschwanden“, so beschreibt ein syrischer Kämpfer die Wirkung der Droge Captagon gegenüber der Zeitung „Washington Post“. Der Bürgerkrieg in Syrien hat das illegale Geschäft mit dem Amphetamin-Derivat angefeuert.
Krieger des so genannten Islamischen Staats (IS) schlucken die Droge, um sich aufzuputschen. Auch die Truppen des Machthabers Bashar al-Assad greifen zu dem Mittel, um den Krieg durchzustehen. Drei Tabletten pro Tag sei seine Ration gewesen, berichtet ein Soldat, der für den syrischen Machthaber kämpfte, der „Welt“.
Alle Bürgerkriegsfraktionen bedienen sich der Drogen und verdienen an ihnen. Durch die erhöhte Nachfrage nach der „Jihadistendroge“, wie Captagon auch genannt wird, hat die Zahl der Labors in Syrien selbst zugenommen. Das Kriegschaos erleichtert den Drogenhandel, der in Syrien angeblich hunderte Millionen Dollar pro Jahr bringt, schätzen Experten. Auch hier dürfte der IS kräftig mitmischen: Mit den Drogengeldern werden angeblich Waffenkäufe finanziert. Handfeste Belege gibt es dafür nicht, doch laut Experten liegt eine Verbindung auf der Hand.
Nun scheint das offenbar lukrative Business auch nach Europa überzuschwappen. In den vergangenen Monaten haben sich Berichte über Captagon-Funde gemehrt. Während 90 Prozent der Amphetamine noch vor wenigen Jahren im Libanon, an der Grenze zu Syrien, hergestellt wurden und von dort aus den Weg in die reichen Emirate fanden, ist heute Syrien zu einem Produktionsland geworden. Die Droge ist einfach herzustellen, man braucht weder viel Platz noch Know-How oder aufwendige Maschinen, um Captagon zu mischen und in Tablettenform zu pressen. Europa dürfte als Drehscheibe für syrisches Amphetamin in die Golfemirate dienen.
Labor ausgehoben
Erst dieses Woche machte die Zollbehörde in Frankreich Details über einen riesigen Fund am Flughafen Roissy bei Paris bekannt: Rund 135 Kilogramm des Aufputschmittels wurden auf Frachtflügen entdeckt. Versteckt war die Droge in Industrie-Stahlformen aus dem Libanon, die angeblich für Tschechien bestimmt waren. Tatsächlich sollte die Ware aber über die Türkei nach Saudiarabien gelangen. Geschätzter Marktwert: 1,5 Millionen Euro. Auch in Griechenland wurden in einem Warenhaus 635.000 Amphetamin-Pillen sichergestellt. Sie waren angeblich für Kämpfer verschiedener Milizen im Nahen Osten bestimmt gewesen.
Europäische Drogenproduzenten könnten aber auch aufgrund der erhöhten Nachfrage im Nahen Osten versuchen, an den Gewinnen mitzuschneiden. In den Niederlanden ist erst vor Kurzem in der Grenzstadt Brunssum eine Drogenküche ausgehoben worden. 600.000 Tabletten Captagon wurden gefunden. Unklar ist, für welchen Markt diese produziert wurden. Die niederländische Polizei sprach von einer „außergewöhnlichen Entdeckung“, denn derzeit bestehe in Westeuropa kein Markt für Captagon. Ob die Pillen allerdings für Syrien bestimmt waren, bleibt noch unklar.
Captagon ist ein Markenname eines Arzneimittels, das als Anti- Depressivum und zur Behandlung von ADHS eingesetzt wurde. In den 1980er-Jahren war Doping mit Captagon in der deutschen Bundesliga verbreitet. Seit es 1986 vom UNBüro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung in die Liste der gefährlichen Drogen aufgenommen wurde, ist es in vielen Ländern als illegaler Suchtstoff eingestuft.
Nachfrage in Saudiaarabien
Internationale Organisationen berichten schon seit Jahren von der weiten Verbreitung von Amphetaminen im Mittleren Osten. In anderen Teilen der Welt spielt Captagon fast keine Rolle. Allein in Saudiarabien, wo auf Drogenhandel die Todesstrafe steht, werden pro Jahr Millionen an Captagon-Tabletten beschlagnahmt.
So lange die Nachfrage am Golf hoch ist, wird der Drogenhandel weiterhin verlässlich Geld in die Kassen aller Kriegsparteien spülen, heißt es in einer Studie eines USThink-Thanks.