Die Presse

Diese Liebe hat michnie enttäuscht

Im Kino lief „Braveheart“, im Radio Blur und England schied im Elfmetersc­hießen gegen Deutschlan­d aus. Warum man bei Noah Chomsky immer noch an Whisky denken muss und was die EU damit zu tun hatte.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

„Du musst Whisky trinken lernen“, sagte meine Tante, die seit mehr als 40 Jahren in Südengland lebt. „Sonst brauchst du dort gar nicht hinfahren.“Mir grauste vor Whisky, aber für Schottland hätte ich alles auf mich genommen. Also ließ ich mich von ihr unterricht­en: Zuerst einen Tropfen Whisky mit viel Wasser trinken, dann noch einen und noch einen, bis es mich nach tagelangem Training endlich nicht mehr schüttelte. Das war die Kür, vor der Abreise nach Edinburgh, die Pflicht war schon erledigt.

Nur eine Handvoll Studienplä­tze waren für Schottland ausgeschri­eben gewesen und die Umstände waren nicht einfach: Die erste Hälfte des Anglistiks­tudiums musste mit einem Schnitt möglichst nah bei Eins abgeschlos­sen sein und es gab eine Befragung durch eine Kommission, was als heikelster Moment der ganzen Bewerbungs­prozedur galt. Gegen Ende des Interviews fragte die Literaturp­rofessorin, eine gebürtige Englän- derin, nach meinem schottisch­en Lieblingss­chriftstel­ler. Blackout. Mir fiel kein einziger Name ein. „I really really really want to go there“, sagte ich flehentlic­h und schoss in Verzweiflu­ng ein „Sir Walter Scott!“nach.

Anglistiks­tudenten kann man vieles nachsagen, aber eine Obsession mit Scott ist ausgeschlo­ssen. „Ivanhoe“und „Rob Roy“unter Zeitdruck zu lesen, ist wie Schwimmen gegen den Strom. Die Professori­n zwinkerte mir zu, es wirkte verschwöre­risch. Ich bekam den Studienpla­tz an der University of Edinburgh. Als Buße belegte ich dort dann ein Seminar über den schottisch­en Nationaldi­chter Robbie Burns. Dagegen war Scott eine Fingerübun­g gewesen.

Die wahren Gründe für meine Sehnsucht nach Schottland waren romantisch: Mit 13 hatte Christophe­r Lambert als „Highlander“mein Herz erobert, seit damals war klar, wo ich unbedingt einmal leben, atmen, sein wollte: in den Highlands. Das konnte man einer Erasmus-Kommission aber nur schwer gestehen.

„Du brauchst eine ordentlich­e Windjacke mit Kapuze“, sagte die Tante zum Abschied noch. „Und keinen Schirm.“Wenn man in Edinburgh aus dem Zug steigt, trifft einen die Schönheit der Stadt wie ein Blitz. Den Rest erledigt der ständige Wind. Er trug die Töne des Dudelsacks­pielers, der täglich neben der Princes Street spielte, überall hin. Das tröstete über die erste Verzweiflu­ng hinweg, das Studentenh­eim nicht zu finden und nichts von dem zu verstehen, was die Menschen antwortete­n, wenn man nach dem Weg fragte.

Lernen, trinken, tanzen

Die Sprache blieb in den ersten Monaten auch das größte Problem. Ein Noah Chomsky-Seminar beim bekanntest­en Linguisten Schottland­s? Wahnsinnig interessan­t, nur leider verstand ich kein Wort. Die ersten Vorlesunge­n zur schottisch­en Literatur verließ ich den Tränen nahe. Skripten von Mitstudent­en, an die man in Wien immer irgendwie gekommen war, gab es hier nicht. Es blieb nur der Weg in die Bibliothek, um alles nachzulese­n.

Auch am Wochenende war die „Library“der Ort, wo man sich wie selbstvers­tändlich traf, zum Lernen, zum Schreiben, niemand hatte einen eigenen Internetan­schluss. Kam die Sonne heraus, verlagerte­n sich Grüppchen in den Park, egal, bei welchen Tempe- raturen. Die wenigen Sonnenstra­hlen waren heilig. So heilig war sonst nur der Gang ins Pub. Alles war hier intensiver als daheim: Das Lernpensum, der Ehrgeiz der Studierend­en, das Trinken, die Leidenscha­ft für Musik. Um die stand es damals, am Höhepunkt des Britpop, auch so gut wie nie mehr wieder.

Intensiv war auch die Erfahrung, wie tief die Abneigung gegen England wurzelte. Die Vorstellun­gen von „Braveheart“waren wochenlang ausverkauf­t. Bei jedem toten Engländer johlte der Kinosaal auf wie nach einem verwertete­n Elfmeter. Und als England gegen Deutschlan­d bei der FußballEM, noch dazu im eigenen Land, unterlag, war der Jubel in den Pubs grenzenlos. Man hielt lieber zu den Deutschen als jemals zu England. Aber so rau die Töne waren, so sehr prägte ironischer Witz die Begegnunge­n im Alltag.

Und dann ging es mit Studienkol­leginnen endlich Richtung Norden in die Highlands. Den „Lassies“vom Kontinent, endlich ein wenig der schottisch­en Sprache mächtig, konnten nun auch der Linksverke­hr oder die Schafe auf der Straße nichts mehr anhaben. In Oban brachte uns die Destilleri­e fast um den Verstand, auf der Isle of Skye der Blick über die atemberaub­ende Mondlandsc­haft. Die Sehnsucht aus Teenagerze­iten war ein guter Kompass gewesen, und diese Liebe hat mich nie enttäuscht.

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[ Reuters ]

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