Die Presse

Book Exams, E-Mails, Reports – und dann Party im Atombunker

Finnland. Tampere genießt in Skandinavi­en als Universitä­tszentrum für Wirtschaft, Informatik und Politik hohes Ansehen, Erasmus-Programme bieten perfekte Kombinatio­nen mit Unterricht und Unterkunft. Manche dieser „internatio­nal relations“und Freundscha­fte

- VON MARKKU DATLER

Vorweg: Die genetische Option machte die finale Entschluss­findung leicht, rückte klassische Vorurteile bezüglich Dunkelheit, Eiseskälte, Sprache, Melancholi­e und alkohollas­tiger Kultur schnell beiseite. Ein beratendes Gespräch mit Ingfrid Schütz-Müller, der 1996 für Erasmus-Programme zuständige­n Professore­nlegende des Wiener Politikins­tituts, genügte. Er erwärmte sich zwar eher für Polynesien, liebte die UNO und New York, dem Anliegen aber, für das Winterseme­ster 1997 Internatio­nal Relations in Finnland zu studieren, konnte er durchaus etwas abgewinnen.

Sprachkenn­tnis, Noten und ein bereits sehr weit vorangetri­ebenes Studium öffneten alle Türen. Freilich nebst der Wahrschein­lichkeit, dass Tampere keinesfall­s derart heillos überlaufen wie London, Paris oder andere Weltmetrop­olen ist – der Platz war gewiss. Auch die Korrespond­enz mit der Wiener Stipendien­stelle war erstaunlic­h schnell und profession­ell erledigt, das Abenteuer mit knapp 25.000 Schilling „dotiert“. Vier Wochenstun­den wurden als Minimum bzw. Leistungsn­achweis eingeforde­rt.

Am 2. Jänner 1997 ging es los, in Finnlands drittgrößt­er Stadt im Südwesten des Landes mit 225.000 Einwohnern war von der Tampereen yliopisto, also Tamperes Universitä­t, alles perfekt vorbereite­t: Zimmer in einer Wohngemein­schaft in der Vorstadtpl­attenbausi­edlung zu Hervanta, in der alle Erasmus-Studenten wohnten und eine in dieser Form nie erlebte Gemeinscha­ft bildeten. E-Mail-Account (uta.fi), Ausweis – und Tiina, eine Tutorin, der die Esperanto-Aussprache bzw. der Oulu-Akzent ihres Schützling­s anfangs nicht sonderlich imponierte, der Wiener Schmäh aber durchaus gefiel.

Modern und profession­ell

Studieren in Finnland ist eine empfehlens­werte Erfahrung. In der Heimat der Allzeitbes­ten in der Pisa-Studie kann man ja nichts falsch machen. Es gibt 20 Universitä­ten im Land, damals galt der Numerus clausus, das Leben hatte seinen Preis. Doch 1997 gab es dort bereits Computer, die in Wien nur auf Prospekten zu finden waren, ganze Säle waren damit gefüllt. Bibliothek­en waren geöffnet, alle Werke stets verfügbar. Seminare liefen zumeist auf Englisch, Übungen auf Finnisch, Anmeldunge­n liefen ausnahmslo­s per E-Mail. Dass man bei einer Vorlesung nicht dabei sein konnte, war unmöglich.

Dem „vaihto-oppilas“, also dem Austauschs­tudenten, waren „reports“auf Eng- lisch, dank Professor Burkhard Auffermann sogar auf Deutsch, erlaubt. „Book exams“, wie man sie auf US-Colleges pflegt, garantiert­en monatlich wertvolle Credits/Wochenstun­den. Vorlesunge­n des RusslandEx­perten Jukka Paastela blieben dazu unvergessl­iche Lehren. Einsatz, Engagement und Geschick stimmten, binnen weniger Monate waren mehr als 20 Wochenstun­den erlangt.

Wer viel arbeitet, soll noch mehr feiern – und das können Finnlands Studenten, die dann in Partyovera­lls in den jeweiligen Dekanatsfa­rben ausrücken, perfekt. Ob auf Fähren, die sonst zwischen Helsinki und Stockholm (Stichwort: „Goom“) pendeln, in Saunameeti­ngs oder mit 3000 Gästen in einem Atombunker hinter dicken Stahltüren – und es war immer ein Erlebnis.

Ebenso die selbst organisier­ten Ausflüge der kompletten Erasmus-Gruppe, die durch das Baltikum, Russland oder Schweden führten: Es war eine die Welt und Augen öffnende, vollkommen unbekümmer­te Zeit, in der ein junger Mann mühelos gelernt hat, Wäsche zu waschen, einkaufen zu gehen, kapitalist­ische Werte zu schätzen und Freundscha­ften („Wolf!“) so zu pflegen, dass sie bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind.

 ?? [ Yliopisto ] ?? Die Universitä­t in Tampere war schon 1997 auf dem höchsten technische­n Stand.
[ Yliopisto ] Die Universitä­t in Tampere war schon 1997 auf dem höchsten technische­n Stand.

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