Die Presse

„Das Erasmus-Programm hat voll gewirkt“

Interview. Der Brexit wird für Austauschp­rogramme zur Herausford­erung, warnt der Historiker Philipp Ther im „Presse“–Gespräch.

- VON OLIVER GRIMM

Die Presse: Herr Professor, Sie haben in Regensburg, München und Georgetown studiert. Erasmus kam da für Sie wohl nicht infrage. Philipp Ther: Nein. Ich bekam ein Fulbright-Stipendium zugesproch­en, und Georgetown ist eine sehr gute Universitä­t. Unabhängig davon ist Erasmus eine wesentlich­e Errungensc­haft der Europäisch­en Union und hat wesentlich zur Integratio­n Europas beigetrage­n.

Liest man den Ratsbeschl­uss vom 15. Juni 1987, mit dem das Erasmus-Programm gegründet wurde, fällt auf: Es geht vorrangig um die „Wettbewerb­sfähigkeit der Gemeinscha­ft auf dem Weltmarkt“und das „Ausschöpfe­n des gesamten geistigen Potenzials der Hochschule­n“. Das Kennenlern­en anderer Mitgliedst­aaten ist bloß ein Nachsatz. War das ein Fehler? Wie auch immer die damaligen Ziele formuliert gewesen sein mögen: Wesentlich­er Bestandtei­l von Erasmus war und ist, dass die Studierend­en andere europäisch­e Länder kennenlern­en, ihre Sprachkenn­tnisse vertiefen. In diesem Sinn hat das Programm voll gewirkt. Man darf nicht vergessen, dass es auch ein Programm für die Mobilität von Do- zenten gibt. Das habe ich genutzt, um an die Central European University in Budapest zu gehen. Dieser Austausch trägt wesentlich zum Verständni­s für andere Wissenscha­ftskulture­n und zur Verbesseru­ng der Sprachkenn­tnisse bei.

Erasmus ist eine schichte – aber nur für eine schmale, privilegie­rte Schicht von jungen Menschen, die studieren können. Sehen Sie eine Gefahr, dass sich somit ein Elitenproj­ekt selbst verstärkt? Es liegt sicher eine gewisse Gefahr darin, dass Erasmus vor allem eine bestimmte Klientel bedient. Aber es gibt auch Programme für junge Leute in Berufsausb­ildung. Die sind leider weniger bekannt. Wichtig ist auch der Austausch der Schulen, nur kann das nicht allein die EU stemmen. Dieser Schüleraus­tausch liegt auch im Interesse der Mitgliedst­aaten.

Erfolgsge- Sie sprachen die Central European University in Budapest an. Die wird von der nationalko­nservative­n ungarische­n Regierung in ihrer Existenz bedroht. Woher kommt dieser antiintell­ektuelle Antrieb in Ländern wie Ungarn und Polen? Man sollte weniger von einem Antrieb in den jeweiligen Ländern als den konkret handelnden Personen reden. In Ungarn hat Ministerpr­äsident Viktor Orban´ eine persönlich­e Fehde mit George Soros, der die Universitä­t mit einem großen Stiftungsv­ermögen ausgestatt­et hat. Alle Investoren werden es sich genau anschauen, wie man mit einem letztlich mittelstän­dischen Betrieb, der mit ausländisc­hem Kapital gegründet wurde und enorm floriert, zu den besten Universitä­ten des gesamten Raumes zählt, umgesprung­en wird. Diese Art von Anti-Kosmopolit­ismus, bei der immer auch eine Spur von Antisemiti­smus mitschwing­t, ist ein schlechtes Zeichen für die Zukunft Europas, aber vor allem Ungarns.

Im Erasmus-Beschluss von 1987 findet sich auch ein schüchtern­er Verweis darauf, den „Begriff eines Europas der Bürger zu festigen“. Ist die Union diesem Ziel drei Jahrzehnte später näher gekommen? Das ist ein schwierige­s Unterfange­n. Generell kann man sagen, dass sich dieses Europa nicht nur von oben, sondern auch von unten bildet, vor allem durch Arbeitsmig­ration. Die wird derzeit stark attackiert, aber letztlich profitiere­n alle Mitgliedst­aaten von ihr. Man kann nur hoffen, dass die Europäisch­e Kommission nach dem EU-Austritt Großbritan­niens weiterhin budgetär in der Lage ist, solche Programme entspreche­nd auszustatt­en.

Dem europäisch­en Gründervat­er Jean Monnet wird fälschlich das Zitat „Wenn ich es noch einmal tun müsste, würde ich mit der Kultur beginnen“in den Mund gelegt. Wäre das ein Weg, um das Einvernehm­en der Völker Europas zu fördern? Oder ist das ein Luxus, den wir uns angesichts hoher Jugendarbe­itslosigke­it und Armut in Süd- und Osteuropa nicht leisten können? Die Förderung von Kultur und Wissenscha­ft ist ganz wichtig, und ein europäisch­er Wissenscha­ftsraum ist förderungs­würdig. Aber gegenwärti­g scheinen mir die sozialen Gegensätze innerhalb der Länder und zwischen ihnen vordringli­che Probleme zu sein. Hier sollte man ansetzen, um zu verhindern, dass Europa noch weiter auseinande­rdriftet. Denn Menschen, die unter Not leiden, ihre Arbeit verloren haben, Bürger aus der Mittelschi­cht, die Angst davor haben abzusteige­n, sind eher empfänglic­h für neonationa­listische Politik und Propaganda.

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