Die Presse

Der faule Kredit als Kassenschl­ager

Finanz. Am schnellste­n werden Banken notleidend­e Kredite los, wenn sie ganze Bündel an Fonds abstoßen. Das Geschäft boomt, besonders in Italien. Aber ist es auch volkswirts­chaftlich sinnvoll?

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Sie sind ein Klotz am Bein der europäisch­en Wirtschaft: Notleidend­e Kredite der Banken. Ist ihr Anteil zu hoch, können die Institute nicht genug Liquidität in die gesunden Unternehme­n pumpen, was den ersehnten Aufschwung nach der langen Krise bremst. Über eine Billion Euro „faulen“in den Bilanzen vor sich hin. Der Anteil geht zwar langsam zurück, im letzten Jahr von 5,8 auf 5,1 Prozent. Aber viele Staaten im Süden und Osten Europas kämpfen weiterhin mit viel zu hohen Raten (siehe Grafik). Aufseher und Regierunge­n drängen zur Eile, säumige Schuldner flehen um Geduld. Was tun?

Von der breiten Öffentlich­keit kaum bemerkt, hat sich ein riesiger Markt entwickelt: Spezialisi­erte Investoren, meist aus den USA oder Großbritan­nien, kaufen den Banken ganze Bündel („Portfolios“) an faulen Krediten ab. Pro Jahr gehen Deals um rund 100 Mrd. Euro über die Bühne, Tendenz steigend. Groß im Geschäft sind Anlagegese­llschaften wie Fortress, Oaktree oder Pimco, Private-Equity-Firmen wie Cerberus oder das Investment­banking von Lloyds.

Die Idee an sich ist alt: Schon der Wechsel war eine Möglichkei­t, mit einer Schuldford­erung Handel zu treiben. Aber der blockweise Verkauf kam erst in der Asienkrise um die Jahrtausen­dwende in Mode. So richtig los ging es mit dem Ausbruch der Finanzkris­e. Den Anfang machten die Banken in Irland und Großbritan­nien. „Sie suchten ganz aktiv nach Käufern“, erklärt Amo Chahal, der für Deloitte in London Käufer und Verkäufer von Kreditpake­ten berät, im Gespräch mit der „Presse“.

Die Karawane zieht weiter

Die vergeblich vergebenen Gelder steckten in leeren Bürogebäud­en oder todgeweiht­en Einkaufsze­ntren. Weiter ging es in Spanien, wo taumelnde Banken erst einmal ihre unbesicher­ten Konsumkred­ite abstießen – was schnell geht, weil sie leicht zu bewerten sind. Erst später kamen dort die Bauruinen aus der geplatzten Immobilien­blase dazu und schließlic­h die Firmenkred­ite. Sie sind großes Thema in Osteuropa, wo sich die Deals seit 2014 häufen.

Der Spät- und Senkrechts­tarter ist Italien. „Die italienisc­hen Banken brauchten lange, bis sie die Gefahr erkannten und Lösungen fanden“, sagt Chahal. Dafür schlossen sie dann im Vorjahr Transaktio­nen um 36 Mrd. Euro ab – mehr als in jedem anderen EULand (siehe Grafik). Allein der Marktführe­r Unicredit entledigte sich so von fast 21 Mrd. Euro an Krediten, das Gros aus dem Heimmarkt. Was das Geschäft in Italien besonders beflügelt: Ein staatliche­r Fonds steuert Garantien bei.

In Rom ist man offenbar überzeugt, dass En-bloc-Kreditverk­äufe der Volkswirts­chaft nutzen. So sieht es auch Ben Trask, Experte zum Thema bei Deloitte in Wien: „Der Ertrag der Banken steigt, sie können sich leichter refinanzie­ren“und schließlic­h wieder zum Motor des Wachstums werden. Zudem seien Banken „nicht wirklich gut im Abwickeln von Problemkre­diten“. Die Mitarbeite­r der Fonds „arbeiten viel effiziente­r“und „mit mehr Nachdruck“– zumal sie oft am Erfolg beteiligt sind und Kapitalgeb­er im Nacken haben, sie sich „jedes Jahr zweistelli­ge Renditen erwarten“. Schon deshalb machen sie lieber alles rasch zu Geld, statt auf eine bessere Gelegenhei­t im kommenden Jahr zu warten.

Wie aber steht es um die Schuldner? Geht es um Konsumkred­ite, profitiere­n meist auch sie. Hat zum Beispiel die Bank mit einem Abschlag von 80 Prozent an den Investor verkauft, kann dieser

sind ein Instrument, mit dem Banken ihren Anteil an notleidend­en Krediten drücken. Jedes Jahr stoßen sie Pakete im Wert von rund 100 Mrd. Euro ab – an Anlagegese­llschaften, Private-Equity-Firmen und Investment­banken. Nach der Finanzkris­e waren die wichtigste­n Märkte Irland und Großbritan­nien, später Spanien, nun Italien. Das zeigen Experten von Deloitte auf. dem Kreditnehm­er einen Abschlag von 75 Prozent anbieten – und macht immer noch einen saftigen Gewinn. So großzügig könnte die Bank selbst nie agieren. Denn bekommen ihre anderen Kunden davon Wind, würden auch aus den bisher laufend bedienten Krediten rasch notleidend­e.

Viel heikler ist es aber mit den Firmenkred­iten. Denn hier bedeutet „effiziente“Abwicklung in aller Regel, dass ein marodes Unternehme­n auch wirklich insolvent wird. Gut möglich also, dass Österreich­s Banken in Osteuropa Kritik ernten, wenn sie Firmenkred­ite abstoßen – statt als sprichwört­lich gute Hausbank ihre Kunden geduldig durch die Krise zu begleiten.

„Zombies“scheitern lassen

Für Trask ist diese Sichtweise aber falsch: „Banken würden jeden überleben lassen“. Sie strecken Kredite und akzeptiere­n Mini-Zinsen, während die Schuldner Besserung heucheln. Diese Kultur habe in Südeuropa „Zombiefirm­en“entstehen und das Problem mit den faulen Krediten erst mit ausgelöst. Die Zombies „steuern der Wirtschaft nichts bei“, halten aber „die Kapitalkos­ten, Preise und Löhne für alle zu hoch“. Eine gesunde Volkswirts­chaft brauche daher ein „bestimmtes Ausmaß an Scheitern“– sie müsse einen „Wandel zulassen“, der zu neuen Initiative­n „ermutigt“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria