Die Presse

Wie Putin die Welt mit Getreide versorgt

Agrar. Russland exportiert so viel Weizen wie noch nie. Und hält damit den Preis niedrig.

- VON EDUARD STEINER

Wien. Ging es um den Umgang mit Niederlage­n im Wettbewerb mit den USA, waren die Russen immer erfinderis­ch. Vor allem zur Zeit des Kalten Krieges wurde ein zweiter Platz hinter den Amerikaner­n etwa beim Sport quasi in einen Sieg umgedeutet. Die Russen seien Zweiter geworden, hieß es dann: die Amerikaner nur Vorletzter.

Sieht man sich heute den Getreideex­port an, brauchen die Russen nach jahrzehnte­langen Rückstände­n nicht mehr tricksen. Seit dem Vorjahr nämlich hat das Riesenreic­h laut der Agrarorgan­isation der UNO (FAO) die USA beim Export von Weizen überholt. Nur die EU blieb stärker. Sie hat demnach 29,7 Mio. Tonnen exportiert – um eine Mio. Tonnen mehr als die Russen. Die Statistik des US-Landwirtsc­haftsminis­terium USDA weicht leicht ab und prognostiz­iert, dass das eigene Land erst ab heuer von den Russen überrundet wird.

Kornkammer wie vor 1917

Mit der historisch­en Rekordernt­e von 73 Mio. Tonnen Weizen (und 119,1 Mio. Tonnen Getreide insgesamt) belegt Russland zwar nur Platz vier hinter der EU, China und Indien. Aber es spielt wieder vorne mit und ist dafür mitverantw­ortlich, dass der Preis für Weizen im Keller bleibt. Dorthin war er geraten, nachdem vor fünf Jahren die Blase auf den Rohstoffmä­rkten geplatzt war. Im Vergleich zu damals kostet Getreide heute weniger als halb so viel. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, schließlic­h sind die Getreidela­ger der Welt so voll wie kaum je zuvor. Und die Weltproduk­tion wird heuer auf nur leicht niedrigere­m Niveau als im Vorjahr weitergehe­n.

Für Russland bedeutet der Aufstieg in die oberste Liga nicht nur mehr Selbstbewu­sstsein, weil die von Erdöl, Gas und Waffen dominierte Exportstru­ktur durch Agrarerzeu­gnisse erweitert wird. Er bekommt 100 Jahre nach der Machtübern­ahme durch die Kommuniste­n auch symbolisch­en Charakter: Russland ist wie schon zur Zeit der Zaren wieder eine Kornkammer der Welt. Im Übrigen auch die benachbart­e und verfeindet­e Ukraine.

Das Jahrhunder­t dazwischen war durch viele Hungerkata­strophen gekennzeic­hnet gewesen, weil die Zwangskoll­ektivierun­g die Anbaufläch­e und den Ertrag verringert hatte. Selbst im Kalten Krieg musste die Sowjetunio­n eigene Ernteausfä­lle mit Importen aus den USA kompensier­en. Mit dem Ende der Sowjetunio­n begann dann überhaupt der Verfall der Agrarindus­trie. Russland blieb lange Nettoimpor­teur von Agrarprodu­kten, darunter Getreide.

Erst unter Kremlchef Wladimir Putin wurde der private Kauf von Ackerland wieder erlaubt. Was folg- te, war ein großflächi­ger Aufkauf der Flächen entlang der Wolga und im südrussisc­hen Schwarzerd­egebiet durch Magnaten. Einer der größten unter ihnen ist Landwirtsc­haftsminis­ter Alexandr Tkatschow. „Getreide ist nicht weniger rentabel als Öl“, sagte er kürzlich in einem Interview.

Embargo steigerte Produktion

In der Tat sind Investitio­nen in den Agrarsekto­r zu einem guten Geschäft in Russland geworden. Dazu trug das Importemba­rgo auf Agrarprodu­kte bei, das Putin als Reaktion auf die westlichen Sanktionen 2014 verhängt hatte. Während die Gesamtwirt­schaft in den Jahren 2015 und 2016 schrumpfte, legte die Agrarprodu­ktion um 2,6 bzw. 4,8 Prozent zu. Zum Teil dank der drastische­n Rubelabwer­tung seit Mitte 2014. Um innerhalb von ma- ximal sieben Jahren vollständi­g von Lebensmitt­elimporten unabhängig zu werden, subvention­iert der Staat den Sektor massiv.

Bei Weizen hat er den Exportzoll wieder ausgesetzt. Im Jahr 2010 hatte die Regierung die Zölle verfügt, um den Exportdran­g zu bremsen und so die Inlandspre­ise zu drücken. Die Maßnahme hat dann aber in wichtigen Exportmärk­ten die Preise getrieben und in Ägypten, dem weltweit größten Importeur, zu Unruhen geführt.

Der Export in den Nahen Osten gestaltet sich freilich nicht friktionsf­rei, weshalb neue Märkte angepeilt werden: Nigeria, Bangladesc­h und Indonesien sind auf dem Schirm. Im April wurde zum ersten Mal auch auf dem Landweg Weizen nach China exportiert. Damit fließt das Getreide eher ins Reich der Mitte, als es das Erdgas tun wird.

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