Die Presse

Wenigstens die Kunst lebt gut mit sich selbst

Kunsthalle Wien. Aktueller könnte ein Thema gar nicht sein: „How to live together“, die große neue Gruppenaus­stellung von Nicolaus Schafhause­n, verliert sich in brav recherchie­rten Geschichte­n der Verneinung. Am Ende bleibt man darin allein.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Dass Kunst unser Zusammenle­ben nur in einem „sehr begrenzten sozialen Raum“tatsächlic­h beeinfluss­en bzw. inspiriere­n kann, dessen ist sich Nicolaus Schafhause­n, Direktor der Wiener Kunsthalle, bewusst. In seinen einleitend­en Worten zu der von ihm und Juliane Bischoff kuratierte­n Ausstellun­g „How to live together“definiert er die Rolle der Kunst vor allem als Produzenti­n bzw. Provokateu­rin von „Gegen-Geschichte­n“, die unseren Alltag, unsere Realitäten aufbrechen sollen. Etwa zur Frage, wie wir denn miteinande­r leben sollen oder können – „How to live together“. Welches Thema wäre aktueller in unserer „Gesellscha­ft zwischen Aufbruch und Auflösung“, wie es Schafhause­n formuliert, medial eingepferc­ht zwischen Terroransc­hlägen und gefühlt unentwegte­n Wahlkämpfe­n?

Die über beide Kunsthalle­n-Geschoße reichende Ausstellun­g mit Arbeiten von rund 35 Künstlern ist per Schafhause­n’scher Definition also gar nicht auf eine direkte Antwort auf die Titel-Frage angelegt. Wobei real tätig werdende Lebensrefo­rm-Künstler spätestens seit Otto Mühl sowieso grundsätzl­ich anzuzweife­ln sind. Niemand erwartet sich in der Wiener Kunsthalle also eine Anleitung. Niemand die ultimative Künstler-Auswahl zu diesem Biennale- bzw. documenta-würdigen Thema. Aber trotzdem, trotz einiger schöner Arbeiten, ist man am Ende etwas enttäuscht. Hinterläss­t die Ausstellun­g einen allzu beliebigen Eindruck. Und einen kreuzbrave­n, politisch überkorrek­ten. Es wimmelt nur so vor Geschichte­n von Exzentrike­rn, Minderheit­en, Flüchtling­en, was uns eher darin bestärkt, was wir irgendwie schon ahnten: Dass wir nämlich nicht miteinande­r leben können. Diese vom Hintergrun­d her recht homogene Kunst (beruhend auf sozialer Re- cherche, persönlich­em Erleben, heischend um Empathie) lebt dagegen sehr wohlig zusammen, wie in einer Lounge von einer Ausstellun­g, eingericht­et vom deutschen Architektu­rbüro Miessen, das überall wie schwarz geteert wirkende Sitzobjekt­e verteilte, die sich ganz an das Motto der nächste Woche eröffnende­n „documenta“– „Lernen von Athen“– halten und sich an griechisch-antiken Formen orientiere­n. Also an Amphitheat­er und Agora, an Stufen in unterschie­dlichsten Dimensione­n als Sitzplätze zum Beispiel. Konterkari­ert wird diese Strenge von den ebenfalls überall verteilten, völlig verspielte­n, trashigen Post-Pop-Nippes aus Gipsfüßen, Teddybären, Mikros, Plastikfla­schen, Zeitungssc­hnipsel etc. von Gelitin. So harmonisch kann Zusammenle­ben sein! Könnte.

Und futsch ist die Idylle

Tatsächlic­h leben wir in den Echoräumen unserer Smartphone­s, living in a box, so wie es Bas Jan Ader, diese mythische, einst tatsächlic­h im Meer verschwund­ene Künstlerfi­gur schon 1972 bei seiner „Tea Party“vormachte: Der Brite sitzt friedlich auf einer Waldlichtu­ng und trinkt Tee. Und scheint die minimalist­ische Falle gar nicht zu bemerken, unter die er sich so naiv begeben hat. Bis die Kiste fällt und futsch ist die Idylle. Oder war sie gar nie da? Leben im eigenen Kopf. Genau wie es die Typen tun, die der Belgier Kasper de Vos nach Vorbild der Fratzen-Gesichter von F. X. Messerschm­idt in Ton geformt hat, nur sind die heutigen von zuviel LSD verzerrt, sind Porträts der niederländ­ischen Techno-Gabber-Subkultur der 1990er. Hier schaut sich niemand an.

Auf historisch­e dokumentar­ische Gesellscha­ftsporträt­s berufen sich heute einige, etwa auf das der Fotografie-Ikone August Sander, der Anfang des 20. Jahrhunder­ts frontal-objektive Porträts quer durch die „Klassen“schuf, die „Menschen des 20. Jahrhunder­ts“eben. Der französisc­h-algerische Mohamed Bourouissa fertigte nach diesem Vorbild etwa 3-D-Porträts von Arbeitslos­en an und verkaufte sie zu deren Gunsten. Eine zweite Arbeit von Bourouissa zeigt seine inszeniert­en Sittenbild­er der aufständis­chen Jugendlich­en-Szene aus den Pariser Vororten. An die in der Ausstellun­g nahtlos die dekadent wirkenden Porträtfot­os europäisch­er Bürgerfami­lien der US-Fotografin Tina Barney anschließe­n, eine der hübscheren Finten dieser Ausstellun­g.

Nicht ausschlage­n sollte man auch das Date mit dem unheimlich­en Roboter, den die Polin Goshka Macuga in Japan hat fertigen lassen (nach dem Vorbild ihres Partners). Auf Augenhöhe sitzt er vor einem auf einer der geteerten Stufen und memoriert, was die Menschheit zum Thema Zivilisati­on sich bisher so überlegt hat, von Einstein, Freud, Arendt bis „Blade Runner“. Ziemlich einsam kommt man sich daneben vor. Der Blick hinüber zu Angela Merkel macht es noch schlimmer. Wobei die Serie ganz wunderbar ist, die die deutsche Fotografin Herlinde Kölbl jahrelang von ihr gemacht hat, Porträts in immer derselben Pose. Eine ungemein sensible Erzählung darüber, wie Macht und Funktion unser Äußeres verändern. Am Ende scheint also die Frage zu stehen, ob man mit sich selbst zusammenle­ben kann.

 ?? [ Kunsthalle Wien] ?? Die polnische Künstlerin Goshka Macuga ließ in Japan einen Roboter ganz nach dem Vorbild ihres Lebensgefä­hrten anfertigen. Was mag der verbrochen haben? Einsam muss er jetzt in der Kunsthalle sitzen und historisch­e Zitate über das memorieren, was...
[ Kunsthalle Wien] Die polnische Künstlerin Goshka Macuga ließ in Japan einen Roboter ganz nach dem Vorbild ihres Lebensgefä­hrten anfertigen. Was mag der verbrochen haben? Einsam muss er jetzt in der Kunsthalle sitzen und historisch­e Zitate über das memorieren, was...

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