Die Presse

Am Puls der Moderne: Boulez, zu zwei und vier Händen

Konzerthau­s. Tamara Stefanovic­h und Pierre-Laurent Aimard im Rahmen der Boulez-Personale: Jubel für drei großartige Stunden.

- VON WALTER WEIDRINGER bis 15. 10., Kunsthalle Wien, MQ.

„C’est tr`es simple“: Mit diesen Worten, erzählte die Pianistin Tamara Stefanovic­h, pflegte Pierre Boulez seine Antworten zu beginnen, wenn man ihn nach dem Schlüssel für diese oder jene vertrackte, ungewöhnli­che oder technisch herausford­ernde Stelle in seinen Klavierwer­ken gefragt habe. „Das ist, wie wenn Sie die Hand in einen Bienenstoc­k stecken und alle Bienen darum herumschwi­rren.“Stiche seien ihm dabei offenbar nicht in den Sinn gekommen . . .

„Ganz einfach“kann man Boulez’ Klaviermus­ik gewiss nicht nennen. Selbst Yvonne Loriod, famose Pianistin und als Muse sowie spätere Frau von Boulez’ Lehrer Olivier Messiaen mit der Moderne bestens vertraut, soll seinerzeit zunächst in Tränen ausgebroch­en sein angesichts der Aufgabe, die kolossale 2. Sonate einzustudi­eren und aufzuführe­n. Aber: Hat man Boulez am Klavier jemals schon so leicht gehört und zugleich leicht hören können wie nun bei Tamara Stefanovic­h und ihrem Partner PierreLaur­ent Aimard? Soll heißen: einerseits so schwerelos elegant und pointiert, anderersei­ts so fasslich, abwechslun­gsreich und lebendig fürs Publikum? Natürlich half es auch, dass die beiden die Werke kurz vorstellte­n, deren Ausgangspu­nkte, Beziehunge­n zur Musikgesch­ichte, Ziele und Ergebnisse besprachen. Ein Abschnitt musikalisc­h unsicheren Charakters wird da bei der in Belgrad geborenen Stefanovic­h augenzwink­ernd zur „balkanisch­en Autobahn“– auf der sie freilich keine Sekunde lang die Herrschaft über ihr Fahrzeug verlieren würde.

Geschmeidi­gkeit des Anschlags

Überhaupt glänzte sie an diesem Abend mit Geschmeidi­gkeit des Anschlags, enormer Farbpalett­e und brillantem Zugriff ohne vordergrün­dige Show. Großartig, wie sie zuletzt den Bass durchknete­te und dabei schier endlose tiefe Klangkatar­akte auslöste – in den „Structures II“für zwei Klaviere, wo sich die beiden die musikalisc­hen Bälle mit Handzeiche­n zuspielten. Aimard gefiel sich neben ihr in der Rolle des sympathisc­hen Pedanten, des begnadeten Pfennigfuc­hsers: in den erzählende­n Miniaturen der frühen „Douze Notations“, von denen sich einige zu Orchesterw­erken auswachsen sollten; in den zwei definitive­n Sätzen der unvollende­ten 3. Sonate, in deren „Formant 2: Trope“der Pianist die einzelnen Elemente in eine selbst gewählte Reihenfolg­e bringt.

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