Am Puls der Moderne: Boulez, zu zwei und vier Händen
Konzerthaus. Tamara Stefanovich und Pierre-Laurent Aimard im Rahmen der Boulez-Personale: Jubel für drei großartige Stunden.
„C’est tr`es simple“: Mit diesen Worten, erzählte die Pianistin Tamara Stefanovich, pflegte Pierre Boulez seine Antworten zu beginnen, wenn man ihn nach dem Schlüssel für diese oder jene vertrackte, ungewöhnliche oder technisch herausfordernde Stelle in seinen Klavierwerken gefragt habe. „Das ist, wie wenn Sie die Hand in einen Bienenstock stecken und alle Bienen darum herumschwirren.“Stiche seien ihm dabei offenbar nicht in den Sinn gekommen . . .
„Ganz einfach“kann man Boulez’ Klaviermusik gewiss nicht nennen. Selbst Yvonne Loriod, famose Pianistin und als Muse sowie spätere Frau von Boulez’ Lehrer Olivier Messiaen mit der Moderne bestens vertraut, soll seinerzeit zunächst in Tränen ausgebrochen sein angesichts der Aufgabe, die kolossale 2. Sonate einzustudieren und aufzuführen. Aber: Hat man Boulez am Klavier jemals schon so leicht gehört und zugleich leicht hören können wie nun bei Tamara Stefanovich und ihrem Partner PierreLaurent Aimard? Soll heißen: einerseits so schwerelos elegant und pointiert, andererseits so fasslich, abwechslungsreich und lebendig fürs Publikum? Natürlich half es auch, dass die beiden die Werke kurz vorstellten, deren Ausgangspunkte, Beziehungen zur Musikgeschichte, Ziele und Ergebnisse besprachen. Ein Abschnitt musikalisch unsicheren Charakters wird da bei der in Belgrad geborenen Stefanovich augenzwinkernd zur „balkanischen Autobahn“– auf der sie freilich keine Sekunde lang die Herrschaft über ihr Fahrzeug verlieren würde.
Geschmeidigkeit des Anschlags
Überhaupt glänzte sie an diesem Abend mit Geschmeidigkeit des Anschlags, enormer Farbpalette und brillantem Zugriff ohne vordergründige Show. Großartig, wie sie zuletzt den Bass durchknetete und dabei schier endlose tiefe Klangkatarakte auslöste – in den „Structures II“für zwei Klaviere, wo sich die beiden die musikalischen Bälle mit Handzeichen zuspielten. Aimard gefiel sich neben ihr in der Rolle des sympathischen Pedanten, des begnadeten Pfennigfuchsers: in den erzählenden Miniaturen der frühen „Douze Notations“, von denen sich einige zu Orchesterwerken auswachsen sollten; in den zwei definitiven Sätzen der unvollendeten 3. Sonate, in deren „Formant 2: Trope“der Pianist die einzelnen Elemente in eine selbst gewählte Reihenfolge bringt.