Säbelzahntiger, Sphinx & Samtpfötchen
Mit „Katzenkorb & Löwengrube“begibt sich das NHM Wien auf Spurensuche nach dem Verhältnis von Mensch und Katz‘.
Wien. Wenn eine Sonderausstellung des Naturhistorischen Museums „Katzenkorb & Löwengrube“betitelt ist, werden Biologe-Interessierte unweigerlich an „Feliden“denken. „Die Familie der Katzen (Felidae) zählt zur Ordnung der Raubtiere (Carnivora). Ihre Vertreter leben auf allen Kontinenten, nur in antarktischen Regionen und Ozeanien siedeln sie nicht.“Dieser Umstand steht denn auch gleich am Beginn des umfangreichen Leitfadens, der in der Ausstellung zum Ausleihen aufliegt.
Doch schon die Eröffnungsstation der Ausstellung lässt einen anderen, eher kultur- und kunstwissenschaftlichen Plan erahnen. Als erste Station der Ausstellung, auf der monumentalen Prunktreppe, stößt man auf ein ungewöhnliches Ensemble, bestehend aus einem alten Fahrrad mit Körbchen, in dem es sich scheinbar eine Katze gemütlich gemacht hat. Ihre sich gleichmäßig hebenden und senkenden Flanken suggerieren, es könnte sich um ein schlafendes Tier handeln. Nur wer lange genug hinsieht, ahnt, dass sich hier ein Tierpräparator einer nicht einfachen Aufgabe gestellt hat.
Das Ausstellungsmotto „Katzenkorb & Löwengrube“und die surrealistische Assemblage lassen erahnen, dass es hier noch um anderes gehen könnte – um Zusammenhänge etwa zwischen der Katze als beliebtestem Haustier der Österreicher und Deutschen, und ihrem Verhältnis zu den wilden Vorfahren und Verwandten. Allein eine solche emotional besetzte Ausgangslage ist Anlass genug, um dem Stellenwert und der Ausprägung der Feliden in der Kunst-, Kultur-, aber auch Alltagsgeschichte nachzuspüren.
Bernd Ernsting, Kurator der Sonderausstellung, hat sich dieser weitgefassten Aufgabe gestellt. Sein Zugang ist nicht zuletzt auch ein persönlicher, kann er sich doch selbst der Faszination der schnurrenden Vierbeiner nicht entziehen. Er habe zuhause je nachdem zwischen ein und fünf Katzen, erzählt er – aktuell einen schneeweißen alten Kater aus dem Tierheim. „Ich habe große Freude und Respekt vor dem Eigencharakter und der Unabhängigkeit dieser Tiere.“Der Kunsthistoriker und Gelehrte, der auch Vorstand der gemeinnützigen „Stiftung Letter Köln“ist, hat rund 250 Exponate von der Frühgeschichte bis ins 20. Jahrhundert zusammengetragen und sie im Naturhistorischen Museum Wien zu einer Kulturgeschichte der Katzentiere verquickt. Unter den Ausstellungsstücken findet sich viel Hochkarätiges – beispielsweise Gemälde von Altmeistern wie Lukas Cranach der Ältere oder Abraham Teniers, Werke des Jugendstils von Max Klinger, Franz von Matsch, Gustav Klimt, Neusachliches von Carry Hauser oder Bilder von Franz Gaul, einem der bedeutendsten Wiener Tiermaler des 19. Jahrhunderts. Skulpturen von Giambologna oder dem Wiener Jugendstilbildhauer Franz Barwig d. Ä. stehen neben archäologischen Objekten. Immer wieder gesellen sich zahlreiche ausgestopfte Tiere dazu, verschiedenste präparierte Katzen von der gewöhnlichen Hauskatze über den Luchs, Gepard bis zum Säbelzahntiger, aber auch Vögel, weiters ein Klangobjekt aus dem Berliner Tierstimmenarchiv, Kunstkammergegenstände, Zeugnisse angewandter Kunst, Münzen und auch viele anonyme Stücke. Sogar Peter Paul Rubens‘ berühmtes Gemäldes „Das Pelzchen“hat Ernsting organisiert, aus budgetären Gründen al- lerdings in Form einer fein ausgeführten Kopie aus der Hand einer jungen moldawischen Künstlerin.
Viele der Ausstellungsstücke sind originale Leihgaben aus prominenten Museen wie dem Wien Museum, Belvedere, MAK und dem Kunsthistorischen Museum. Ein großer Teil stammt aus der Sammlung der Letter-Stiftung selbst, deren Aufgabe Bernd Ernsting als „Bergungsunternehmen“beschreibt: „Wir kümmern uns seit bald 25 Jahren um die vergessenen und unbeachteten Dinge. Uns interessieren nicht große Namen, sondern Dinge, die eine künstlerische Qualität haben“, sagt er. „Der Stein glänzt vor einem dunklen Hintergrund. Auch wenn wir kein eigenes Museum haben, können wir breit sammeln.“
Ausstellung als Sehschule
So spannt die Ausstellung also vielerlei Netzwerke auf. Gleich am Beginn des Rundgangs werden künstlerische Vergleiche zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Malerei und der Plastik aufgestellt: Am Beispiel der künstleri- schen Gestaltung der Muskulatur und Behaarung von Raubkatzen wird etwa gezeigt, wie sich die Darstellung von Geschwindigkeit und Dynamik der Darstellung der Dreidimensionalität widersetzt. Eine weitere Station widmet sich dem Wort- und Wechselspiel- von „posierend“und „possierlich“im Sinn von Dressur, Menagerie-Haltung, aber auch der Mumifizierung – unter anderem am Beispiel einer seltenen Scheinmumie einer Katze aus Holz. Ein Kapitel widmet sich Mischwesen wie der berühmten Sphinx, den Sirenen, Kentauren oder dem Markuslöwen – eine Rolle, die Löwen und Katzen in Kombination mit Vögeln, Menschen oder sogar Skorpionen von den ägyptischen Kultfiguren über die Griechen bis hin zu den gotischen Wasserspeiern zugewiesen wurde. Natürlich ist auch die heraldische Funktion des Löwen als Symbol des Muts und der Königlichkeit eine Thema, ist er doch Sinnbild Flanderns und Bayerns, aber auch des afrikanischen Kontinents. Der Löwe gilt aber auch als Wächter des Hauses und Garant für die Reinheit des Wassers.
Fehlen dürfen natürlich auch nicht elementare Bereiche wie Eros und Tod, Themen wie die Arche Noah, die Jagd, das Familienleben, das Auftreten von Tieren in Schaukämpfen wie auch Rollenspielen oder das Fell als Machtsymbol. Ein Epilog über die Suche nach dem Tier im Menschen, die Physiognomiker und Künstler ebenso wie Rassen- und Evolutionstheoretiker beschäftigt hat, beschließt die Schau.
„Die Ausstellung ist eine kleine Sehschule“, sagt Bernd Ernsting. „Sie ist ein Angebot und wirft von Station zu Station die Frage auf: ,Warum ist das so?‘“