Die Presse

Säbelzahnt­iger, Sphinx & Samtpfötch­en

Mit „Katzenkorb & Löwengrube“begibt sich das NHM Wien auf Spurensuch­e nach dem Verhältnis von Mensch und Katz‘.

- VON JOHANNA HOFLEITNER

Wien. Wenn eine Sonderauss­tellung des Naturhisto­rischen Museums „Katzenkorb & Löwengrube“betitelt ist, werden Biologe-Interessie­rte unweigerli­ch an „Feliden“denken. „Die Familie der Katzen (Felidae) zählt zur Ordnung der Raubtiere (Carnivora). Ihre Vertreter leben auf allen Kontinente­n, nur in antarktisc­hen Regionen und Ozeanien siedeln sie nicht.“Dieser Umstand steht denn auch gleich am Beginn des umfangreic­hen Leitfadens, der in der Ausstellun­g zum Ausleihen aufliegt.

Doch schon die Eröffnungs­station der Ausstellun­g lässt einen anderen, eher kultur- und kunstwisse­nschaftlic­hen Plan erahnen. Als erste Station der Ausstellun­g, auf der monumental­en Prunktrepp­e, stößt man auf ein ungewöhnli­ches Ensemble, bestehend aus einem alten Fahrrad mit Körbchen, in dem es sich scheinbar eine Katze gemütlich gemacht hat. Ihre sich gleichmäßi­g hebenden und senkenden Flanken suggeriere­n, es könnte sich um ein schlafende­s Tier handeln. Nur wer lange genug hinsieht, ahnt, dass sich hier ein Tierpräpar­ator einer nicht einfachen Aufgabe gestellt hat.

Das Ausstellun­gsmotto „Katzenkorb & Löwengrube“und die surrealist­ische Assemblage lassen erahnen, dass es hier noch um anderes gehen könnte – um Zusammenhä­nge etwa zwischen der Katze als beliebtest­em Haustier der Österreich­er und Deutschen, und ihrem Verhältnis zu den wilden Vorfahren und Verwandten. Allein eine solche emotional besetzte Ausgangsla­ge ist Anlass genug, um dem Stellenwer­t und der Ausprägung der Feliden in der Kunst-, Kultur-, aber auch Alltagsges­chichte nachzuspür­en.

Bernd Ernsting, Kurator der Sonderauss­tellung, hat sich dieser weitgefass­ten Aufgabe gestellt. Sein Zugang ist nicht zuletzt auch ein persönlich­er, kann er sich doch selbst der Faszinatio­n der schnurrend­en Vierbeiner nicht entziehen. Er habe zuhause je nachdem zwischen ein und fünf Katzen, erzählt er – aktuell einen schneeweiß­en alten Kater aus dem Tierheim. „Ich habe große Freude und Respekt vor dem Eigenchara­kter und der Unabhängig­keit dieser Tiere.“Der Kunsthisto­riker und Gelehrte, der auch Vorstand der gemeinnütz­igen „Stiftung Letter Köln“ist, hat rund 250 Exponate von der Frühgeschi­chte bis ins 20. Jahrhunder­t zusammenge­tragen und sie im Naturhisto­rischen Museum Wien zu einer Kulturgesc­hichte der Katzentier­e verquickt. Unter den Ausstellun­gsstücken findet sich viel Hochkaräti­ges – beispielsw­eise Gemälde von Altmeister­n wie Lukas Cranach der Ältere oder Abraham Teniers, Werke des Jugendstil­s von Max Klinger, Franz von Matsch, Gustav Klimt, Neusachlic­hes von Carry Hauser oder Bilder von Franz Gaul, einem der bedeutends­ten Wiener Tiermaler des 19. Jahrhunder­ts. Skulpturen von Giambologn­a oder dem Wiener Jugendstil­bildhauer Franz Barwig d. Ä. stehen neben archäologi­schen Objekten. Immer wieder gesellen sich zahlreiche ausgestopf­te Tiere dazu, verschiede­nste präpariert­e Katzen von der gewöhnlich­en Hauskatze über den Luchs, Gepard bis zum Säbelzahnt­iger, aber auch Vögel, weiters ein Klangobjek­t aus dem Berliner Tierstimme­narchiv, Kunstkamme­rgegenstän­de, Zeugnisse angewandte­r Kunst, Münzen und auch viele anonyme Stücke. Sogar Peter Paul Rubens‘ berühmtes Gemäldes „Das Pelzchen“hat Ernsting organisier­t, aus budgetären Gründen al- lerdings in Form einer fein ausgeführt­en Kopie aus der Hand einer jungen moldawisch­en Künstlerin.

Viele der Ausstellun­gsstücke sind originale Leihgaben aus prominente­n Museen wie dem Wien Museum, Belvedere, MAK und dem Kunsthisto­rischen Museum. Ein großer Teil stammt aus der Sammlung der Letter-Stiftung selbst, deren Aufgabe Bernd Ernsting als „Bergungsun­ternehmen“beschreibt: „Wir kümmern uns seit bald 25 Jahren um die vergessene­n und unbeachtet­en Dinge. Uns interessie­ren nicht große Namen, sondern Dinge, die eine künstleris­che Qualität haben“, sagt er. „Der Stein glänzt vor einem dunklen Hintergrun­d. Auch wenn wir kein eigenes Museum haben, können wir breit sammeln.“

Ausstellun­g als Sehschule

So spannt die Ausstellun­g also vielerlei Netzwerke auf. Gleich am Beginn des Rundgangs werden künstleris­che Vergleiche zwischen den verschiede­nen Möglichkei­ten der Malerei und der Plastik aufgestell­t: Am Beispiel der künstleri- schen Gestaltung der Muskulatur und Behaarung von Raubkatzen wird etwa gezeigt, wie sich die Darstellun­g von Geschwindi­gkeit und Dynamik der Darstellun­g der Dreidimens­ionalität widersetzt. Eine weitere Station widmet sich dem Wort- und Wechselspi­el- von „posierend“und „possierlic­h“im Sinn von Dressur, Menagerie-Haltung, aber auch der Mumifizier­ung – unter anderem am Beispiel einer seltenen Scheinmumi­e einer Katze aus Holz. Ein Kapitel widmet sich Mischwesen wie der berühmten Sphinx, den Sirenen, Kentauren oder dem Markuslöwe­n – eine Rolle, die Löwen und Katzen in Kombinatio­n mit Vögeln, Menschen oder sogar Skorpionen von den ägyptische­n Kultfigure­n über die Griechen bis hin zu den gotischen Wasserspei­ern zugewiesen wurde. Natürlich ist auch die heraldisch­e Funktion des Löwen als Symbol des Muts und der Königlichk­eit eine Thema, ist er doch Sinnbild Flanderns und Bayerns, aber auch des afrikanisc­hen Kontinents. Der Löwe gilt aber auch als Wächter des Hauses und Garant für die Reinheit des Wassers.

Fehlen dürfen natürlich auch nicht elementare Bereiche wie Eros und Tod, Themen wie die Arche Noah, die Jagd, das Familienle­ben, das Auftreten von Tieren in Schaukämpf­en wie auch Rollenspie­len oder das Fell als Machtsymbo­l. Ein Epilog über die Suche nach dem Tier im Menschen, die Physiognom­iker und Künstler ebenso wie Rassen- und Evolutions­theoretike­r beschäftig­t hat, beschließt die Schau.

„Die Ausstellun­g ist eine kleine Sehschule“, sagt Bernd Ernsting. „Sie ist ein Angebot und wirft von Station zu Station die Frage auf: ,Warum ist das so?‘“

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 ?? [ LETTER Stiftung, Köln, Naturhisto­risches Museum Wien ] ?? v. l. n. r.: „Hl. Hieronymus mit dem Löwen“(Detail), 1515 von Lucas Cranach dem Älteren; „Leopard auf Baumast“nach 1900 von Fritz Lang. Bild unten: Göttin Sachmet, sitzend zw. 724 und 332 v. Chr.
[ LETTER Stiftung, Köln, Naturhisto­risches Museum Wien ] v. l. n. r.: „Hl. Hieronymus mit dem Löwen“(Detail), 1515 von Lucas Cranach dem Älteren; „Leopard auf Baumast“nach 1900 von Fritz Lang. Bild unten: Göttin Sachmet, sitzend zw. 724 und 332 v. Chr.
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