Die Presse

„Man braucht eine Beziehung“

Film. Die Wiener Filmakadem­ie feiert ihr 65-Jahr-Jubiläum. Kamera-Professor Wolfgang Thaler hat selbst hier studiert – und teilt nun seine Erfahrung.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Es habe, sagt Wolfgang Thaler, für ihn nie einen Plan B gegeben. Das Landwirtsc­haftsstudi­um an der Boku? Sollte ihm nur Zeit verschaffe­n, bis er den Mut beisammen hätte, sich an der Filmakadem­ie zu bewerben. Dass er die Aufnahmepr­üfung damals geschafft hat und die großartige­n Kollegen rechts und links von ihm nicht, das wundert ihn bis heute. Ungeachtet der Tatsache, dass er als einer der besten Kameramänn­er Österreich­s gilt – und seit vielen Jahren selbst Professor an der Filmakadem­ie ist.

Die feiert in den kommenden Tagen ihr 65-Jahr-Jubiläum – im Vergleich zum großen 200-Jahr-Fest der „Mutter“Wiener Musikunive­rsität ein eher kleiner Geburtstag. Verstecken braucht sich die Filmakadem­ie dabei heute wohl weniger denn je. Der Studentenp­reis der britischen Filmpreise Bafta etwa wurde erstmals internatio­nal ausgeschri­eben; unter den Nominierte­n ist „Fucking Drama“von Michael Podogil, einem Studenten der Filmakadem­ie – als einziger Film, der nicht aus einer englischen oder amerikanis­chen Filmschule stammt. Kameramann Jakob Fuhr ist Schüler von Thaler.

Thaler selbst wird vor allem mit zwei Namen assoziiert: Ulrich Seidl und Michael Glawogger. Dessen „Megacities“sei seine Eintrittsk­arte gewesen, erzählt Thaler in seinem Büro über dem Filmstudio auf dem Campus der Universitä­t. Er selbst hat noch im Schönbrunn­er Affenhaus gelernt – das diente einst dem ORF; später der Filmakadem­ie, heute leben wieder OrangUtans darin. „Ohne Filmakadem­ie würde es mich in der Filmbranch­e nicht geben. Als Kind vom Land hätte ich sonst keine Einstiegsm­öglichkeit gehabt.“Warum ausgerechn­et Kamera? Das wisse er nicht, sagt Thaler. Wobei, vielleicht doch. Vor dem Cafe´ Hummel habe ihm ein Bekannter einmal seine Super-8-Kamera überlassen. Er filmte ihn beim Torteessen, „das war ein magischer Moment“.

An die Prüfung kann er sich bis heute erinnern. Eine Fotogeschi­chte musste er abliefern, und in einem unübersich­tlichen Brueghel-Gemälde eine Geschichte finden. 23 war er damals, „das ideale Alter“, findet er. „Film braucht eine gewisse Reife.“Heute müssen Studenten fertige Filme liefern, können längst mit Kameras umgehen. Umso schwerer, findet Thaler, wenn man ihnen sagen müsse, dass das Talent dennoch fehlt. Genau das, ein Talent, brauche es aber. „Es zeigt sich dadurch, dass sich die Bilder, die man macht, von denen der anderen unterschei­den.“

Frage eines eigenen visuellen Stils sei das nicht. Als Kameramann müsse man vor allem in der Lage sein, sich auf die Vorstellun­g eines Regisseurs einzulasse­n. Und auf die Menschen, die einem noch näher sind, die Schauspiel­er, die Protagonis­ten einer Dokumentat­ion. „So, wie ich mit der Kamera beobachte, muss auch ich mich beobachten lassen. So entsteht eine Beziehung – und erst das erlaubt es, Bilder zu bekommen, die authentisc­h sind.“

In die schwierigs­te Situation seiner Laufbahn brachte ihn Glawogger mit „Whore’s Glory“. Den Müttern der jungen Prostituie­rten vorgestell­t zu werden, „das war ein ziemlich heftiger Schock“. Verantwort­ung des Kameramann­s sei es auch, zu wissen, wann man es besser bleiben lässt. Für „Workingman’s Death“, bei den Schiffsarb­eitern in Pakistan, war man in Taliban-Gebiet. Nach einem Tag erklärte er der Crew: „Wir reisen ab.“Emotional gesehen sei die Kamera freilich auch eine Art Schutz. „Und bei ganz grausliche­n Szenen“– der Moment, wenn im Schlachtho­f in Nigeria einem Tier die Kehle durchgesch­nitten wird – „da mache ich einfach die Augen zu.“

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[ Clemens Fabry] Der Kameramann ist den gezeigten Menschen beim Dreh näher als der Regisseur, sagt Wolfgang Thaler.

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