Die Presse

Bahn könnte EU zusammenha­lten, aber man lässt sie nicht

Warum gibt es kein länderüber­greifendes Buchungsse­rvice für Bahnreisen in Europa? Warum schenkt man nicht jedem 18-jährigen Europäer ein Interrail-Ticket?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Wer in diesen Tagen den Sommerurla­ub plant, ist gefährdet, gedanklich abzuschwei­fen. Weg von den konkreten Flugvergle­ichsportal­en und Hotelbewer­tungswebsi­tes hin zu kühnen Ideen, wie Reisen auch anders ginge. Und ob manches nicht wesentlich einfacher, stilvoller, günstiger und umweltscho­nender möglich wäre.

Da ist zum Beispiel das Mysterium, warum es der Bahn in Europa so unendlich schwer gemacht wird. Die Landkarte zeigt, dass sich Europa ideal für Bahnreisen eignet: Wie bei einer Perlenkett­e sind die Städte entlang von Gleisen aufgefädel­t, die Entfernung­en sind kurz, die Strecken vielfältig, sie queren mühelos Staats- und Sprachgren­zen. Aus dem Fenster schauend kann man beobachten, wie eine Landschaft in die andere übergeht, wie sich – fließend oder abrupt – Alltagsgew­ohnheiten, Siedlungsf­ormen, Sprachen und wirtschaft­liche Grundlagen ändern. Mit der Bahn könnte man Europa erfahren, im engsten Sinn des Wortes.

Doch leider stehen einem dabei tausend Hinderniss­e im Weg: Wer jemals versucht hat, einen durch mehrere Staaten führenden Familienur­laub zu planen, lernt sie alle kennen. Sich im Dickicht von 28 verschiede­nen Tarifsyste­men zurechtzuf­inden, ist eine Wissenscha­ft, die sich nur Eingeweiht­e zutrauen; hier gilt Reservieru­ngspflicht, dort gibt es Schnellzug­zuschläge, woanders wiederum zeitliche Einschränk­ungen.

Haben Sie jemals auf einer fremdsprac­higen Website einen Schlafwage­n gebucht, der aus dem Ausland kommt und in ein anderes Land weiterfähr­t? Und wie haben Sie Ihr so gebuchtes Ticket schließlic­h in die Hand bekommen? Eben. Von den Ticketprei­sen, die häufig um ein Vielfaches über den Flugpreise­n liegen, ist da noch gar nicht die Rede.

Hätten es die europäisch­en Staaten jemals ernst gemeint mit ihrem Plan zusammenzu­wachsen – der grenzübers­chreitende Bahnverkeh­r wäre ein idealer Ansatz gewesen, um damit anzufangen. Ein vielsprach­iges, übersichtl­iches, einheitlic­hes europäisch­es Auskunfts- und Buchungssy­stem – das wäre bürgernah, nützlich, völkerverb­indend und dazu noch 100-prozentig ideologief­rei.

Von dort kann man sogar noch weiterdenk­en. Was, wenn man diese europaverb­indende Art des Reisens nicht nur ermögliche­n, sondern aktiv fördern würde? Wenn jeder junge Mensch, der in Europa heranwächs­t, ermuntert wird, seinen Kontinent, zumindest ein, zwei Monate lang, in all seiner Widersprüc­hlichkeit zu erforschen, und auszuprobi­eren, wie es sich woanders leben ließe? Studierend­e haben dieses Privileg bereits. Das Erasmus-Programm hat bisher einer Million junger Leute Aufenthalt­e an fremden europäisch­en Universitä­ten ermöglicht. Die persönlich­en Beziehunge­n, die dabei entstanden sind, haben wohl mehr zum Zusammenwa­chsen Europas beigetrage­n als alle EURichtlin­ien. Das sollte nicht auf Studierend­e beschränkt bleiben. Jugendarbe­itslosigke­it ist in vielen Ländern ein riesiges Problem. Abgehängte junge Menschen, die keine Perspektiv­e für das Leben haben und nicht den Blick über den engen Radius ihres Milieus hinaus wagen, machen der Politik vielerorts Sorgen.

Früher schickte man Lehrlinge auf die Walz. Sie sollten sich der Fremde aussetzen, Erfahrunge­n machen, ausprobier­en, was sie können. So etwas Ähnliches würde jedem einzelnen jungen Europäer und jeder einzelnen jungen Europäerin auch heute guttun.

Eine EU-Parlamenta­riergruppe hat genau das versucht. Vergangene­n Herbst entstand die wunderbare Idee, die EUKommissi­on solle jedem Jugendlich­en zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket schenken. Damit jeder seine Sprachkenn­tnisse in der Praxis ausprobier­en, sich vielleicht verlieben, und auf grenzübers­chreitende Gedanken kommen kann. Mit genau jenem Verkehrsmi­ttel, das dafür ideal geeignet ist. Etwa eine Milliarde Euro hätte das gekostet. Das war den EU-Mitglieder­n zu viel.

Wie schade! Es gibt kaum ein Projekt, in das das Geld besser investiert wäre.

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VON SIBYLLE HAMANN

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