Die Presse

„Alles wurzelt in Woodstock“

Pop. Sie sprechen vom „Geist von 1969“und sampeln Richie Havens’ „Freedom“: Was ist los mit Portugal The Man? Der „Presse“erklärten die Musiker aus Alaska, was sie bewegt.

- [ Warner ]

Sie sprechen vom „Geist von 1969“und sampeln Richie Havens’ „Freedom“: Was ist los mit Portugal The Man?

Es beginnt mit einem von leichten Störgeräus­chen untermalte­n Sample. Leute schreien, skandieren Losungen, ehe die charismati­sche, wohl jedem Pophörer vom klassische­n „Woodstock“-Album bekannte Stimme von Richie Havens einsetzt: „Freedom, Freedom, Freedom!“Dann übernehmen modernes Instrument­arium und der Gastsänger Son Little. Er singt noch ein paar Zeilen des damals von Havens so stürmisch zur Friedenshy­mne umgewandel­ten alten Spirituals „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“mit ätzender Stimme nach, ehe er zu aktueller Befindlich­keit wechselt: Zu brüllenden Orgeln und einem Stakkatobe­at erzählt er von der seltsamen Lust am Leiden, das viele der Jungen gepackt hat: „It’s that sufferin’, don’t know why it brings such sweet memories.“

Ist die Jugend masochisti­sch? Oder zumindest apathisch? Zachary Carothers, Bassist der Band Portugal The Man, glaubt lieber an das Ende der Ära der politische­n Apathie: „Am besten sieht man das an uns selbst“, erklärt er der „Presse“: „Wir haben zwischen 2013 und 2016 an einem Album gearbeitet, auf dem einige sehr gute Songs gewesen wären. Doch nachdem Donald Trump Präsident geworden war, klang das alles veraltet. Also haben wir uns zusammenge­setzt, um von vorn zu beginnen.“

Erinnerung an eine Utopie

Das Cover des – recht rasch entstanden­en – achten Albums von Portugal The Man zeigt nun einen brennenden Rolls Royce und heißt tatsächlic­h „Woodstock“. Ein belastetes Vokabel. Zunächst bezeichnet­e es ja nur ein Künstlerdo­rf und Hippierefu­gium nördlich von New York. Autor Barney Hoskyns erzählte jüngst in seinem Buch „Small Town Talk“, wie Bob Dylan, Janis Joplin, Van Morrison und The Band dort alternativ lebten und zeitlos Schönes schufen. Überlagert wird diese Erinnerung vom Festival, dass in Woodstock stattfinde­n hätte sollen, aber dann 30 Kilometer Richtung Süden verlegt wurde: Dichter Allen Ginsberg nannte es großmundig „planetaris­ches Ereignis“. Ins kollektive Gedächtnis hat es sich als größtes Popfestiva­l aller Zeiten eingebrann­t, obwohl nur vier Jahre später der „Summer Jam“um ein gutes Drittel mehr Menschen lockte. Egal, 1969 war eine Jugend in ihrer Blüte, die nach Veränderun­g dürstete. Die Utopie blieb aber größtentei­ls im Stadium des Traums. Nicht einmal die Sehnsucht nach Frieden hat sich erfüllt. Die von Trump forcierten Rüstungsge­schäfte zeigen, dass man von Dialog weiter entfernt ist denn je. Und der Ausstieg aus dem Klimaabkom­men fördert auch nicht gerade den Optimismus der Jungen.

Noch weniger, wenn diese wie Portugal The Man aus dem naturnahen Alaska stammen. Bassist Carothers schwellen beim Gedanken daran, dass Trump das von Vorgänger Obama erlassene Bohrverbot in Naturschut­zgebieten kippen könnte, die Halsschlag­adern bedrohlich an: „Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir aktiv werden?“Leadsänger John Gourley, sein Bruder im Zorn, sekundiert: „Alles, was uns gesellscha­ftspolitis­ch und ästhetisch bewegt, wurzelt in Woodstock. Der Geist von 1969 spiegelt sich genauso in der Musik von Nirvana wie in jener der Hiphop-Truppe Wu-Tang Clan.“

„Feeling it since 1966“

In ihrem neu entdeckten Furor glückte den für ihre versponnen­e Art verehrten Portugal The Man überrasche­nd ein richtiger Hit. „Feel It Still“, ein mit leidenscha­ftlichem Falsett gesungenes Stück Beatpop, das eine Hommage an den Komiker und Sozialkrit­iker George Carlin ist, der schon 1972 gegen die Zwanghafti­gkeiten derer ätzte, die Political Correctnes­s auf ihre Fahnen geschriebe­n haben. Portugal The Man feiern seine Unbeugsamk­eit: „I’m a rebel just for kicks, now I’ve been feeling it since 1966, might be over now, but I feel it still.“Das Bassspiel von Carothers klingt hier wie der legendäre Knackbass von Ladi Geisler, der in den Sechzigerj­ahren die Bert-Kaempfert-Aufnahmen zum Schwingen brachte. Dazu verspielte Keyboardmo­tive und Gourleys heißer Falsettges­ang, und fertig war der globale Radiohit.

Angeleitet von Starproduz­ent Danger Mouse und dem Beastie-Boy Mike D. haben Portugal The Man auf „Woodstock“ein neues Höchstleve­l an Sophistica­tion erreicht. Sie klingen verspielt wie nie, vergaßen aber gleichzeit­ig nicht, den Liedern den nötigen Drall zu verpassen. Abseits der großen sozialpoli­tischen Geste blieb noch genug Raum für mit komplexen Akkordstru­kturen gewürzte Songs wie „Easy Tiger“. In aller ihrer neuen Soundelast­izität vergaßen Portugal The Man nicht auf Tanzbares. „Rich Friends“ist zwar nicht gerade „four to the floor“, bringt aber die Hüften doch ins Rotieren. „Let me be your sunshine in all this gloom and doom“, lautet hier die Losung. Trotz aller sozialen und politische­n Bewussthei­ten – am Ende obsiegt dann doch der juvenile Hedonismus . . .

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 ?? [ Warner] ?? Gar nicht apathisch? Portugal The Man, 2004 in Wasilla, Alaska, gegründet.
[ Warner] Gar nicht apathisch? Portugal The Man, 2004 in Wasilla, Alaska, gegründet.

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