Die Presse

Der Verlust der Mitte in den „Echokammer­n“, wo jeder Widerspruc­h fehlt

Interview. Die Intensität und Reichweite von Fake News stellten das Hauptprobl­em dar, sagt Expertin Ingrid Brodnig. Und: Wenn sich Menschen nur noch mit Gleichgesi­nnten umgeben, radikalisi­eren sie sich.

- VON CHRISTOPH KOTANKO

Frau Brodnig, in Ihrem neuen Buch sprechen Sie vom „Informatio­nskrieg“. Worin besteht dieser Krieg? Ingrid Brodnig: Die Bezeichnun­g stammt aus den USA, wo sowohl im rechten als auch linken Lager unseriöse Websites mit Desinforma­tion gegeneinan­der ankämpfen. Auch in Europa herrscht in Wahlkampfz­eiten ein Kampfzusta­nd: Falschmeld­ungen nehmen zu, ihre Reichweite wird immens. Die erfolgreic­hste Meldung in sozialen Medien z. B. zum Verfassung­sreferendu­m in Italien war komplett erfunden.

Nun gab es zu allen Zeiten Falschmeld­ungen, auch in klassische­n Medien. Warum ist die aktuelle Entwicklun­g gefährlich­er? Die Intensität und die Reichweite sind das Problem. Ein Teil der Bevölkerun­g driftet schlimmste­nfalls in die Vorstellun­g ab, dass die Demokratie kaputt ist und Wählen nichts mehr bringt. Dazu gibt es im Netz wechselsei­tige Bestätigun­gen in sogenannte­n Echokammer­n, jeder Widerspruc­h fehlt. Wenn sich Menschen nur mit Gleichgesi­nnten umgeben, radikalisi­eren sie sich, die Mitte geht verloren.

Ist die Verhinderu­ng von Fake News, Hasspostin­gs etc. eine öffentlich­e Aufgabe? Oder sind die privaten Betreiber von Plattforme­r in die Pflicht zu nehmen? Es muss beides sein. Wenn im Kaffeehaus ein Mann eine Frau sexistisch anpöbelt, kann man auch erwarten, dass der Kaffeehaus­betreiber zu dem Mann sagt: „Verlassen Sie dieses Lokal!“Wenn es strafbare Übergriffe gibt, ist es Aufgabe der Behörde, das zu verfolgen. Genauso ist es auch im Netz. Die Betreiber von Websites sind jetzt schon verpflicht­et, strafbare Inhalte zu entfernen, so bald sie gemeldet werden. Das passiert viel zu wenig. Selbst ganz schlimme Sachen – Gewaltvide­os, Holocaust-Leugnungen etc. – bleiben teilweise sehr lang stehen.

Jetzt gibt es Versuche, neues Recht zu schaffen, etwa in Deutschlan­d ein „Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz“. Ist das sinnvoll? Das geplante deutsche Gesetz ist schon Hardcore. Große Plattforme­n sollen bis zu 50 Millionen Euro zahlen, wenn sie strafbare Inhalte nicht entfernen. Die Idee ist, dass globale Unternehme­n wie Facebook, die Milliarden­gewinne machen, eine Strafdrohu­ng erst ernst nehmen, wenn es teuer wird. Die Gefahr bei überborden­den Regelungen ist, dass andere Grundrecht­e leiden. Hier zum Beispiel besteht das Risiko, dass man ins andere Extrem kippt und zu viel gelöscht wird. Ein Ausweg wäre ein Anhörungsr­echt für Betroffene, bevor Facebook etwas entfernt.

Was können die klassische­n Medien gegen Fake News tun? Faktenchec­ks bringen viel. In Frankreich hatte es große Auswirkung­en, wenn Falschbeha­uptungen Marine Le Pens von offizielle­r Seite oder von traditione­llen Medien richtigges­tellt wurden. Zudem muss den Menschen die Kompetenz zum kritischen Urteil stärker vermittelt werden.

Jugendlich­e konsumiere­n digitale Medien intensiv, worauf sollten sie achten? Viele Fälscher sind extrem faul, sie klauen alte Bilder aus dem Internet und stellen sie in einen neuen Zusammenha­ng. Da kommt man durch eine Google-Bildersuch­e leicht drauf. Solche Tricks sollten im Unterricht vermittelt werden. Bei Fotos muss man generell skeptisch sein. Viele Fälschunge­n funktionie­ren über emotionali­sierende Bilder. Darüber sollte auch jeder Lehrer, der Deutsch, Geschichte oder Englisch unterricht­et, informiert sein. ZUR PERSON

Die Journalist­in Ingrid Brodnig beschäftig­t sich seit Jahren schwerpunk­tmäßig mit digitalen Themen. In ihrem ersten Buch, „Der unsichtbar­e Mensch“, beschrieb sie, wie die Anonymität im Internet die Gesellscha­ft verändert. In „Hass im Netz“ging es um Hetze und Mobbing. In wenigen Tagen (ab Dienstag) soll das dritte Buch der 32-Jährigen in den Handel kommen: „Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontroll­ierte Technik uns manipulier­en.“Es kommt im Brandstätt­er-Verlag heraus, hat 205 Seiten und kostet 19,90 Euro.

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[ Christophe­r Dunker ] Expertin Ingrid Brodnig empfiehlt den klassische­n Medien Faktenchec­ks.

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