Die Presse

Die Übermacht des Monsieur Macron

Frankreich. Der Präsident kann bei der Stichwahl zum Parlament eine überwältig­ende Mehrheit von etwa drei Vierteln der Sitze erwarten. Das schürt die Debatte über eine Wahlrechts­reform.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Paris. Nur gerade vier der 577 Sitze in der französisc­hen Nationalve­rsammlung wurden vergangene­n Sonntag auf Anhieb mit der erforderli­chen absoluten Mehrheit erobert. In allen anderen Wahlkreise­n kommt es am kommenden Sonntag zu einer Stichwahl um den Sitz. Die Partei des Präsidente­n, Emmanuel Macron, La Republique´ en marche (REM), und die mit ihr verbündete Zentrumspa­rtei MoDem des neuen Justizmini­sters, Francois¸ Bayrou, gelten als haushohe Favoriten, da sich ihre Kandidaten in mehr als 500 Wahlkreise­n für die Finalrunde qualifizie­ren konnten. Für Macrons Regierung zeichnet sich somit eine fast erdrückend starke Mehrheit von mehr als 400 Sitzen ab, die deutlich über den für eine absolute Mehrheit nötigen 289 Mandaten liegen würde.

Keine der anderen Parteien konnte gegen diesen in der jüngeren Geschichte einmaligen Erfolg von REM ernsthaft bestehen. Die zuvor regierende­n Sozialiste­n und die mit ihnen verbündete­n kleineren Linksparte­ien wurden in der ersten Runde fast völlig von der politische­n Landkarte eliminiert – sie kämpfen am Sonntag selbst in ihren historisch­en Bastionen um einige wenige Sitze und um ihr Überleben als Partei.

Dramatisch werden für sie auch die finanziell­en Verluste sein, denn die Höhe der öffentlich­en Subvention­en hängt von der Zahl der Stimmen und der errungenen Mandate ab. Die Sozialiste­n können indes nicht einmal sicher sein, in der zukünftige­n, von REM dominierte­n Nationalve­rsammlung noch in Fraktionss­tärke vertreten zu sein. Zusammen mit den Grünen und den linken Radikalen (PRG) könnte die Parti Socialiste vermutlich in Zukunft weniger als dreißig Abgeordnet­e haben – das heißt etwa zehnmal weniger als vorher. Mehrere prominente Sozialiste­n, die noch auf eine Wiederwahl hoffen können, verdanken dies dem Wohlwollen der Regierungs­partei, die sie entweder unterstütz­t oder keine Gegenkandi­daten gegen sie aufgestell­t hat.

Dezimierte Opposition?

Auch die Opposition­sparteien La France insoumise (FI) von JeanLuc Melenchon´ sowie der Front National (FN) von Marine Le Pen scheinen nicht in der Lage zu sein, ihre Resultate bei der Präsidente­nwahl im Mai in eine große Sitzzahl umzuwandel­n. Der FN kann laut Umfrageins­tituten mit lediglich einem bis fünf Mandaten rechnen, die FI mit zehn bis 15. Fast glimpflich sind im Vergleich dazu die Konservati­ven (Les Republicai­ns)´ und ihre Verbündete­n des bürgerlich­en Zentrums (UDI) davongekom­men. Sie könnten mit den für den zweiten Wahlgang verblieben­en Kandidaten auf zwischen 90 und 120 Sitze kommen. Niemand weiß, wie viele dieser Abgeordnet­en sich der Regierungs­mehrheit anschließe­n werden.

Die voraussehb­are Vormacht das Macron-Lagers von etwa drei Vierteln der Sitze weckt die Befürchtun­g, dass die Opposition kaum in der Lage sein wird, ihre normale Rolle in der parlamenta­rischen Demokratie zu spielen.

Einmal mehr wird über das strikte Mehrheitsw­ahlrecht diskutiert, das in solchen Situatione­n in allzu krasser Weise zur Stärkung der Exekutive beiträgt. 71 Prozent der Stimmberec­htigten würden laut einer Umfrage die Einführung des Verhältnis­wahlsystem­s begrüßen, das eine bessere Repräsenta­tion der Parteien gemäß ihrer Stimmzahl erlauben würde. In seinem Programm hat Präsident Macron – wie andere vor ihm – in diesem Sinne eine eine kleine „Portion“Verhältnis­wahl in Aussicht gestellt. Das Unbehagen angesichts der krassen REM-Mehrheit ist selbst im Lager der Regierung zu spüren. Gemäß der Umfrage möchten am Sonntag 61 Prozent der Wähler das Resultat „korrigiere­n“.

Desinteres­se der Wähler

Zu denken gibt aber auch die relative geringe Wahlbeteil­igung, die am vergangene­n Sonntag unter 50 Prozent gesunken ist. Da es bei den Stichwahle­n nicht mehr um die Machtfrage geht und der Ausgang im Voraus so gut wie feststeht, wächst das Desinteres­se der Bürger. Eine Ausnahme könnten lediglich die Wahlkreise sein, in denen FN-Kandidaten im Rennen sind.

 ?? [ APA ] ?? Präsident Emmanuel Macron (Mitte) lässt sich auf einer Technologi­emesse in Paris für ein Selfie mit Anhängern ablichten.
[ APA ] Präsident Emmanuel Macron (Mitte) lässt sich auf einer Technologi­emesse in Paris für ein Selfie mit Anhängern ablichten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria