„Trumps Aufstieg ist gefährlicher
Interview. Harvard-Professor Joseph Nye über das Naturell des Präsidenten und seine Außenpolitik, die Rivalität mit China, die Nordkorea-Krise – und warum Putins Intervention in die US-Wahl zu smart war.
Die Presse: Haben Sie bisher eine Strategie in der Außenpolitik Donald Trumps ausmachen können? Joseph Nye: Es ist schwierig, eine Linie zu erkennen, weil er keine kohärente Strategie ausformuliert hat. Vieles, was er im Wahlkampf angekündigt hat, hat er verworfen. Es ist keine Rede mehr davon, dass die Nato obsolet ist; dass China die Währung manipuliert; dass er die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem übersiedeln will. Er hat nicht so fest gebissen, wie er gebellt hat. Aber es gibt so etwas wie ein Leitmotiv, das er bei der Inauguration angesprochen hat: America first.
Der Slogan steht im Widerspruch zur fortschreitenden Globalisierung. Lässt sich das durchhalten? Die Globalisierung wird sich nicht groß darum kümmern, was Trump sagt. Er glaubt, dass die Globalisierung den USA schadet. Ideologen wie Chefberater Stephen Bannon wollen den Prozess verlangsamen.
Worauf führen Sie den Zickzackkurs zurück? Gibt es einen Machtkampf im Weißen Haus, oder ist es schlicht ein Rendezvous mit der Realpolitik? Ich glaube, es hat mit dem Naturell Trumps als Führungspersönlichkeit zu tun. Seine Mentalität ist die eines Wettkämpfers, der in der Immobilienbranche in New York groß geworden ist. Er hat keine große Ahnung von Weltpolitik. Doch er hat eine Technik entwickelt – die der Überraschung und der Unberechenbarkeit. Dadurch will er das Gesetz des Handelns bestimmen. Er hat das Atomabkommen mit dem Iran nicht zerrissen, aber er könnte es schon morgen tun.
Wer hat denn überhaupt Einfluss auf den Präsidenten? Trump liebt es, mehrere Bälle zugleich zu jonglieren. Er will einen Wettstreit der Meinungen, und es ist nicht klar, welches Lager gerade dominiert. Da gibt es zum einen Nationalisten wie Stephen Bannon; zum anderen Sicherheitsberater H.R. McMaster und Wirtschaftsberater Gary Cohn, die für eine traditionelle Politik stehen. Ganz wichtig sind das Pentagon und Verteidigungsminister James Mattis, der sehr effektiv ist. Jared Kushner steht mehr auf der Seite von Mattis und McMaster. Als Schwiegersohn kann er ja nicht gefeuert werden.
Der 80-jährige Politologe, der nach wie vor eine Professorentätigkeit an der Harvard University ausübt und im Rahmen des Project Syndicate regelmäßig auch für die „Presse“Gastkommentare schreibt, prägte den Begriff „Soft Power“im Gegensatz zur militärischen Macht von „Hard Power“. Er gilt als einer der wichtigsten Experten in der Außen- und Sicherheitspolitik und diente auch zweimal in hohen Positionen: im Pentagon unter Jimmy Carter und im Außenministerium unter Bill Clinton. Nye hielt sich auf Einladung der Universität Wien und der Landesverteidigungsakademie zu einem Vortrag über die „Geopolitik der USA im 21. Jahrhundert“in Wien auf. Wie steht es mit dem Außenministerium? Rex Tillerson hat viele Topposten noch nicht besetzt, weil ihm grünes Licht fehlt. Das Außenministerium hat sehr an Einfluss verloren, es musste eine ziemlich dramatische Kürzung des Budgets um fast ein Drittel hinnehmen. Trump ist ein großer Verfechter des Militärs und von Hard Power.
Ihre These lautet: „Wir haben vom Aufstieg Trumps mehr zu befürchten als von dem Chinas.“Wie kommen Sie zu dem Schluss? Ich glaube nicht, dass China darauf aus ist, das westliche System zum Einsturz zu bringen. Es profitiert von der globalen liberalen Wirtschaftsordnung. Bei Trump weiß man nie so genau, was er als Nächstes vorhat. Die Möglichkeit, dass er sich etwa aus der Welthandelsorganisation zurückzieht, liegt immer in der Luft. Das haben wir ja beim Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen erlebt.
Ist das ein erster Schritt der USA in den Isolationismus? Nein. In Meinungsumfragen lehnen zwei Drittel der US-Amerikaner Isolationismus ab. Nicht einmal Trump würde sich als Isolationisten bezeichnen. Es ist mehr ein Unilateralismus: keine Abkehr von der Welt, sondern eine Abkehr von multilateralen Beziehungen.
Tut sich mit diesem Teilrückzug der USA von der Weltbühne ein Machtvakuum auf? Das ist die große Gefahr. Wenn die USA nicht für die globale Ordnung – freier Handel, stabile Währung, saubere Umwelt – einstehen, wer sollte es sonst tun? Am ehesten vielleicht China als aufstrebende Macht. Doch China kann es mit den USA noch lang nicht aufnehmen, und es ist noch nicht bereit, die Rolle der USA einzunehmen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat Präsi- dent Xi Jinping den Anspruch aber bereits angemeldet.
Sehen Sie einen militärischen Konflikt am Horizont, in den beide Staaten hineingezogen werden könnten? Etwa eine Eskalation der Krise um Nordkorea? Das ist gut möglich, zumal in Nordkorea ein unberechenbares, gefährliches Regime am Ruder ist. Das ist die prekärste Krise, ein Krieg wäre ein Desaster. Momentan halte ich das aber für unwahrscheinlich. Trump hat China ja mehr oder weniger gebeten, dabei zu helfen, die Krise zu managen. Nur weiß ich nicht, ob China in der Lage ist, Kim Jong-un in den Griff zu kriegen. Je mehr Raketentests Nordkorea durch-