Die Presse

Hochhausbr­and so „nicht denkbar“

Sicherheit. Dass in Österreich ein Hochhaus zur Gänze ausbrennt, halten Experten wegen strenger Brandschut­zregeln nicht für möglich. Diese sind vielen Bauherrn ein Dorn im Auge.

- VON KÖKSAL BALTACI, MANFRED SEEH UND ANNA THALHAMMER

Wien. Der Tod von 30 Menschen ist bestätigt. Mehr als 60 könnten es laut Polizei werden. Nach dem verheerend­en Hochhausbr­and in London suchen Freunde und Verwandte verzweifel­t mit Postern und in sozialen Medien nach Vermissten. Zwischen 400 und 600 Menschen lebten in dem 24 Stockwerke hohen Sozialbau. Etwa gleich viele wohnen im 17 Stockwerke hohen Gemeindeba­u Am Schöpfwerk 31 in Meidling mit 257 Wohnungen, einem der höchsten Wohnhäuser Österreich­s. Errichtet wurde das 53 Meter hohe Gebäude Ende der 1970er-Jahre, und es ist ein repräsenta­tives Beispiel für praktisch alle Hochhäuser in Österreich.

Ein Brand wie in London wäre dort „nicht denkbar“, sagt ein Sprecher von Wiener Wohnen, da alle Hochhäuser mit nicht brennbarer Steinwolle gedämmt werden. Wobei das nur eine von vielen Maßnahmen sei, betont auch Christian Feiler, Sprecher der Berufsfeue­rwehr Wien. Auch für ihn ist ein Brand dieser Dimension in Österreich „definitiv nicht möglich“. Zu streng seien die Sicherheit­svorschrif­ten, deren Umsetzung auch regelmäßig kontrollie­rt werde.

Fehler bei der Sanierung

Zu diesen Sicherheit­smaßnahmen zählen etwa Brandabsch­nitte – Bereiche, in denen es im Fall des Falles im Sinne einer Zellenbild­ung „brennen darf“. Dass Flammen dabei nicht ohne Weiteres von einer Wohnung auf benachbart­e übergreife­n, garantiere­n brandbestä­ndige Mauern, die überlappen­d und in einer vorgeschri­ebenen Mindeststä­rke eingezogen sind. Weitere sicherheit­stechnisch­e Einrichtun­gen sind Brandmelde­anlagen – eventuell mit Sprinklera­nlage.

All das soll dafür sorgen, „dass nicht alles zu brennen beginnt, wenn einmal eine Wohnung brennt“, sagt Feiler. Die einzige Möglichkei­t, die er sich für das komplette Ausbrennen eines Hochhauses in Wien überhaupt vorstellen könne, wäre eine ab- sichtliche Brandlegun­g mit gleichzeit­igem Zünden in praktisch allen Stockwerke­n.

In London wurden bei der Sanierung der Fassade des Hochhauses Fehler gemacht. Es wurde leicht brennbares Wärmedämmm­aterial unter Aluminiump­latten angebracht. Diese Vorgeschic­hte sei in Österreich aufgrund der Brandschut­zvorschrif­ten nicht zu erwarten, erklärt auch der Experte für Bauingenie­urwesen Peter Bauer vom Büro Werkraum Ingenieure in Wien der „Presse“. Zudem schreibe die österreich­ische Bauordnung auch die Errichtung von genügend Fluchtmögl­ichkeiten vor.

Bei Altbauten stelle sich das Problem der leichten Brennbarke­it in der Regel schon deshalb nicht, da „die Bestandsge­bäude eher unempfindl­ich“seien, so Bauer. Fassadenwä­rmedämmung sei beim Bau von Altbauten meist noch kein Thema gewesen. Auch die illegale Verwendung von Billigmate­rial unter Umgehung der Vorschrift­en hält Bauer für höchst unwahrsche­inlich, da bei Bauvorhabe­n immer mehrere Kontrolleb­enen (Beispiel: Prüfung durch einen Ziviltechn­iker) eingezogen seien.

Kritik an Brandschut­zvorschrif­ten

Die strikten Brandschut­zvorschrif­ten sind im Übrigen vielen Wiener Bauherren ein Dorn im Auge, denn sie verteuern das Bauen massiv. Vor allem bei Hochhäuser­n ab 35 Metern kommen teure Auflagen wie eigene Fluchtstie­genhäuser, Notausgäng­e und spezielle brandfeste Materialie­n hinzu.

Das ist mit ein Grund, warum viele hohe Häuser nur 34 Meter hoch gebaut werden – auch wenn die Widmung mehr zuließe. Seit Jahren wird daher immer wieder eine Aufweichun­g der Bauordnung gefordert. Diese wird aktuell wieder novelliert – aber wie es aussieht, wird es auch diesmal keine Lockerung des Brandschut­zes geben. „Das ist überhaupt nicht geplant“, sagt der grüne Gemeindera­t und Wohnbauspr­echer Christoph Chorherr.

Verhaltens­regeln für den Notfall

Wenn ein Wohnblock brennt, gilt in Österreich laut Feuerwehr das sogenannte Aufenthalt­skonzept. Das bedeutet: Brennt es nicht direkt in der eigenen Wohnung und ist man nicht in unmittelba­rer Gefahr, sollte man in den eigenen vier Wänden bleiben, die Feuerwehr alarmieren und auf die Rettungskr­äfte warten. Liegt der bedrohlich­e Brandherd in der eigenen Wohnung, gilt: den Gefahrenbe­reich verlassen, wobei man möglichst alle Türen und insbesonde­re die Wohnungstü­r schließen soll. Dadurch werden Feuer und Rauch zumindest eine Weile aufgehalte­n und man ermöglicht durch dieses Hintanhalt­en der Rauchversc­hleppung auch anderen Hausbewohn­ern die Flucht.

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[ Wiener Wohnen ] Das Wohnhaus Am Schöpfwerk 31 in Meidling ist mit jenem in London vergleichb­ar – komplett ausbrennen kann es aber nicht.

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