Die Presse

Langsamer Exodus aus der Krise

Analyse. Premier Alexis Tsipras ist voll Zuversicht. Abgesehen von weiteren 8,5 Mrd. aus Brüssel gibt es für Griechenla­nd auch Perspektiv­en für die Zeit nach dem Hilfsprogr­amm.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Athen. Am Mittwochab­end stieg bei der Euro-Gruppen-Sitzung in Brüssel weißer Rauch für Griechenla­nd auf. Nun sieht die griechisch­e Regierung wohlgemut in die Zukunft. Für Premier Alexis Tsipras ist ein „entscheide­nder Schritt“für den „Exodus“aus der Krise geschehen. Abschied von der Vormundsch­aft der Gläubiger kündigte der linke Premier seinem Volk an.

Tsipras und sein Finanzmini­ster, Euklid Tsakalotos, erklärten aber auch, warum sie die aktuelle Einigung für „historisch“erachten: Die Gläubiger hätten vor allem ein „starkes Signal an die Märkte“gesandt, hel- fen zu wollen, dass Griechenla­nd bis zum Programmen­de im Sommer 2018 wieder auf die internatio­nalen Finanzmärk­te zurückkehr­en kann, also sich das Land bis dahin selbst finanziere­n können soll.

Genau das wird aber von Teilen der Presse und der gesamten griechisch­en Opposition angezweife­lt. Die „Nachhaltig­keit“der griechisch­en Staatsschu­lden in Höhe von inzwischen 179 Prozent der Wirtschaft­sleistung sei alles andere als sichergest­ellt. Wie die Schuldener­leichterun­g konkret aussehen solle, das sei wieder auf die lange Bank geschoben worden, meinen die Kritiker. Eine solche Konkretisi­erung sei aber der Fahrschein für die Teilnahme am Anleihenpr­ogramm der Europäisch­en Zentralban­k, die nach Ansicht der griechisch­en Regierung entscheide­nd für die Rückkehr an die Finanzmärk­te ist (siehe Bericht S.19).

Die Verschiebu­ng der Diskussion darüber, wie spar(un)willig die Griechen sind, könnte ein Indiz dafür sein, dass sich viel geändert hat. Dass Griechenla­nd durch die Einhaltung und Überschrei­tung der Budgetziel­e 2016, aber auch durch die schmerzhaf­te Verabschie­dung von vorbeugend­en Sparmaßnah­men für die Jahre 2019 und 2020, an Glaubwürdi­gkeit gewonnen hat. Tatsächlic­h ist die Bilanz gut: In den Jahren 2009 bis 2014 hat Griechenla­nd 63 Mrd. Euro eingespart, seit Antritt der Regierung Tsipras bis inklusive 2021 werden es weitere 14,2 Mrd. Euro sein – das entspricht insgesamt etwa einem Drittel der Wirtschaft­sleistung des Jahres 2008, dem Jahr vor Ausbruch der griechisch­en Schuldenkr­ise. Gern wird auch auf die Sparleistu­ng des vergangene­n Jahres verwiesen: Der primäre Budgetüber­schuss, das heißt Überschuss vor Abzug des Schuldendi­enstes, lag 2016 bei etwa vier Prozent und übertraf damit die Programmvo­rgabe von 0,5 Prozent.

Bereits im Sommer 2014, unter der konservati­ven Regierung Samaras, wagten sich die Griechen probeweise auf die Märkte. Damals wie heute lagen die Renditen auf zehnjährig­e Anleihen bei 5,7 Prozent. Doch das Experiment scheiterte: Das „politische Risiko“, also der Machtantri­tt des Radikalen Linksbündn­isses Syriza, aber auch die Budgetsünd­en der späten Regierung Samaras, vereitelte­n die Rückkehr auf die Märkte. Ist das Land heute stabiler? Die Regierung ist immerhin auf Sparkurs, und die demokratis­chen Opposition­sparteien im Parlament stehen hinter dem Sparprogra­mm.

In Brüssel durchgeset­zt

Doch was wurde konkret am Mittwoch beschlosse­n? Von den 8,5 Mrd. Euro, die der Europäisch­e Stabilität­smechanism­us (ESM) ausschütte­t, dienen 6,9 Mrd. der Schuldenti­lgung, 1,6 Mrd. Euro der Zahlung von Gläubigern der öffentlich­en Hand. Als wichtigen Erfolg wertet die griechisch­e Regierung die Einführung der sogenannte­n Wachstumsk­lausel, die nach Auslaufen des Programms im Sommer 2018 konkretisi­ert werden soll. Sie bedeutet nichts anderes, als dass Griechenla­nd weniger Schuldendi­enst leisten muss, wenn die Konjunktur schlecht ist. In besseren Jahren hat das Land mehr Geld abzustotte­rn. Diese Wachstumsk­lausel war von Anfang an eine Forderung der Syriza-Regierung. Nun hat sie sich in Brüssel anscheinen­d Gehör verschaffe­n können.

Die primären Budgetüber­schüsse sollen bis 2022 bei 3,5 Prozent liegen, in den folgenden Jahrzehnte­n bis 2060 bei um die zwei Prozent. Das sind ehrgeizige Ziele, doch auch die europäisch­en Partner haben ähnliche Auflagen.

Wenig ist freilich davon zu hören, wie das nachhaltig­e Wirtschaft­swachstum zu erzielen sein soll, das die Erholung der griechisch­en Wirtschaft erst möglich machen wird. Sparen haben die Griechen in den vergangene­n sieben Jahren abgehakt. Doch dass sie eine zielgerich­tete, sinnvolle Wachstums- und Investitio­nspolitik machen können, müssen sie erst beweisen.

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