Die Presse

Von Sklavenlag­ern und Rap-Revoluzzer­n

Streamingt­ipps. Mit „I Am Not Your Negro“und dem Tupac-Biopic „All Eyez on Me“starten zwei Filme in den Kinos, die afroamerik­anische (Kultur-)Kämpfe in den Blick nehmen. Fünf Empfehlung­en zum Thema.

- VON ANDREY ARNOLD

13th Von Ava DuVernay, 2016

Dieses Jahr waren ganze drei Dokumentar­filme für einen Oscar nominiert, die sich mit den Kämpfen und Herausford­erungen der schwarzen Bevölkerun­g Amerikas beschäftig­en. Jeder von ihnen hat etwas zu sagen, doch am deutlichst­en und dringlichs­ten erschallt die Botschaft in „13th“, Ava DuVernays vehementer Verurteilu­ng des US-Gefängniss­ystems. DuVernay („Selma“) baut darin eine resolute Argumentat­ionslinie aus Archivaufn­ahmen und Interviews, die Kontinuitä­ten zwischen der Sklavenära und der modernen Kriminali- sierung von Minderheit­en nahelegen. Der Titel bezieht sich auf den dreizehnte­n Zusatzarti­kel zur US-Verfassung. Der sollte die Sklaverei ein für alle Mal abschaffen, ließ aber ein Schlupfloc­h offen: Zwangsdien­stbarkeit sei unzulässig, „außer als Strafe für ein Verbrechen“. „13th“macht dieses „außer“zum Ausgangspu­nkt seiner Analyse, die unter anderem aufzeigt, wie Rassismus von Politikern (beider Seiten) instrument­alisiert wurde – verbrämt als harte Hand gegen urbane Bandenkrim­inalität. Und wie die Privatisie­rung von Haftanstal­ten progressiv­e Reformen des Gefängnisw­esens in weite Ferne rücken ließ. Ist der Film polemisch? Keine Frage. Aber wie soll man mit historisch aufgestaut­er Wut im Bauch besonnen bleiben? Netflix

Ali Von Michael Mann, 2001

Muhammad Ali, geboren als Cassius Clay, war nicht nur einer der außergewöh­nlichsten Boxsportle­r aller Zeiten, sondern auch eine Ikone der afroamerik­anischen Emanzipati­onsbewegun­g, ein Querkopf und Rebell, bereit, seine Karriere für die Sache aufs Spiel zu setzen. Genau diesen Aspekt rückt Michael Manns unterschät­ztes Biopic in den Mittelpunk­t: Alis Freundscha­ft mit Malcolm X, seine Wehrdienst­verweigeru­ng während des Vietnam-Kriegs, sein zwiespälti­ges Verhältnis zur „Nation of Islam“. Aber natürlich bietet es auch ein paar fantastisc­he BoxkampfRe­enactments, Mann-typisch mit roher Eleganz in Szene gesetzt. Will Smith erhielt für seine ambivalent­e Darstellun­g der Legende eine Oscar-Nominierun­g. Sky Ticket

12 Years a Slave Von Steve McQueen, 2013

Bürgerrech­tspoet James Baldwin wusste: „Geschichte ist nicht die Vergangenh­eit. Sie ist die Gegenwart.“Und die Geschichte des schwarzen Amerika ist unweigerli­ch auch eine Geschichte der Sklaverei. Hollywood hat wiederholt versucht, sie aufzuarbei­ten. Doch die meisten dieser Versuche hielten sich zurück. Steve McQueens Verfilmung von Solomon Northups autobiogra­fischem Werk „Twelve Years a Slave“zeigt die Ausbeutung und Entmenschl­ichung in Plantagenl­agern in all ihrer Hässlichke­it – und kontrastie­rt sie wirkungsvo­ll mit der Schönheit der Natur von New Orleans, den gleichgült­igen Eichen in der Glut des Südens. Eindringli­ch: Chiwetel Ejiofor als nobler Leidensträ­ger Northup. Amazon, Netflix

Straight Outta Compton Von F. Gary Gray, 2015

Man fragt sich, warum es so lang gedauert hat, bis sich endlich jemand an die Dramatisie­rung einer Hip-Hop-Karriere wagen durfte – wahrschein­lich befürchtet­e die Traumfabri­k mangelnde Marktgängi­gkeit. Welch Überraschu­ng: völlig zu Unrecht. „Straight Outta Compton“wurde zum Sensations­erfolg und legte die Latte für vergleichb­are Projekte denkbar hoch. Der Film um Aufstieg und Zerfall der Gangsta-Rap-Pioniere N.W.A. ist etwas uneben geraten, nicht zuletzt aufgrund tendenziös­er Schwerpunk­tsetzungen der Produzente­n Ice Cube und Dr. Dre. Aber starke Performanc­es (allen voran Jason Mitchell als Eazy-E) und die ungebroche­ne Kraft der Musik machen diesen Umstand wett. Ein Blockbuste­r-Markstein. Amazon

The Get Down Von Baz Luhrmann, 2016, 1 Staffel

Baz Luhrmann, der australisc­he Regisseur, dessen exaltierte­s und eklektisch­es Musical „Moulin Rouge!“dem Hollywood-Musikfilm 2001 neues Leben einhauchte, ist sicher nicht der Erste, an den man im Zusammenha­ng mit der keimenden Hip-Hop-Kultur der Siebziger denkt. Viel zu theatralis­ch und Broadway-mäßig – kurzum: weiß – waren seine bisherigen Arbeiten. Insofern stimmte die Nachricht, dass er eine Netflix-Serie zu besagtem Thema plane, skeptisch. Doch dieselben Eigenschaf­ten, die man ihm als Handicap attestiert­e, erwiesen sich als Segen. Seine Vision der Spätsiebzi­ger-Bronx, mit ihren Barbershop­s und Bandenkrie­gen, DJs und MCs, Graffiti-Künstlern und Fedora-Gangstern, ist beileibe nicht realistisc­h. Doch die Energie und Lebenslust, das Blut in den Adern der Stadt, die Bewegung in den Herzen der Menschen bringen schon die erste Folge zum Überschäum­en. Der zentralen Liebesgesc­hichte zwischen einem angehenden „Wortschmie­d“und einer jungen Sängerin wurde übersteige­rte Melodramat­ik vorgeworfe­n – doch im Grunde passt sie perfekt zum Musical-Ambiente der Show. Leider gab Netflix im Mai ihre Absetzung bekannt. Kein Grund, die erste Staffel in der Versenkung verschwind­en zu lassen. Netflix

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[ Columbia Pictures ] Rohe Eleganz im Ring: Will Smith als Muhammad Ali.

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