Von Sklavenlagern und Rap-Revoluzzern
Streamingtipps. Mit „I Am Not Your Negro“und dem Tupac-Biopic „All Eyez on Me“starten zwei Filme in den Kinos, die afroamerikanische (Kultur-)Kämpfe in den Blick nehmen. Fünf Empfehlungen zum Thema.
13th Von Ava DuVernay, 2016
Dieses Jahr waren ganze drei Dokumentarfilme für einen Oscar nominiert, die sich mit den Kämpfen und Herausforderungen der schwarzen Bevölkerung Amerikas beschäftigen. Jeder von ihnen hat etwas zu sagen, doch am deutlichsten und dringlichsten erschallt die Botschaft in „13th“, Ava DuVernays vehementer Verurteilung des US-Gefängnissystems. DuVernay („Selma“) baut darin eine resolute Argumentationslinie aus Archivaufnahmen und Interviews, die Kontinuitäten zwischen der Sklavenära und der modernen Kriminali- sierung von Minderheiten nahelegen. Der Titel bezieht sich auf den dreizehnten Zusatzartikel zur US-Verfassung. Der sollte die Sklaverei ein für alle Mal abschaffen, ließ aber ein Schlupfloch offen: Zwangsdienstbarkeit sei unzulässig, „außer als Strafe für ein Verbrechen“. „13th“macht dieses „außer“zum Ausgangspunkt seiner Analyse, die unter anderem aufzeigt, wie Rassismus von Politikern (beider Seiten) instrumentalisiert wurde – verbrämt als harte Hand gegen urbane Bandenkriminalität. Und wie die Privatisierung von Haftanstalten progressive Reformen des Gefängniswesens in weite Ferne rücken ließ. Ist der Film polemisch? Keine Frage. Aber wie soll man mit historisch aufgestauter Wut im Bauch besonnen bleiben? Netflix
Ali Von Michael Mann, 2001
Muhammad Ali, geboren als Cassius Clay, war nicht nur einer der außergewöhnlichsten Boxsportler aller Zeiten, sondern auch eine Ikone der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung, ein Querkopf und Rebell, bereit, seine Karriere für die Sache aufs Spiel zu setzen. Genau diesen Aspekt rückt Michael Manns unterschätztes Biopic in den Mittelpunkt: Alis Freundschaft mit Malcolm X, seine Wehrdienstverweigerung während des Vietnam-Kriegs, sein zwiespältiges Verhältnis zur „Nation of Islam“. Aber natürlich bietet es auch ein paar fantastische BoxkampfReenactments, Mann-typisch mit roher Eleganz in Szene gesetzt. Will Smith erhielt für seine ambivalente Darstellung der Legende eine Oscar-Nominierung. Sky Ticket
12 Years a Slave Von Steve McQueen, 2013
Bürgerrechtspoet James Baldwin wusste: „Geschichte ist nicht die Vergangenheit. Sie ist die Gegenwart.“Und die Geschichte des schwarzen Amerika ist unweigerlich auch eine Geschichte der Sklaverei. Hollywood hat wiederholt versucht, sie aufzuarbeiten. Doch die meisten dieser Versuche hielten sich zurück. Steve McQueens Verfilmung von Solomon Northups autobiografischem Werk „Twelve Years a Slave“zeigt die Ausbeutung und Entmenschlichung in Plantagenlagern in all ihrer Hässlichkeit – und kontrastiert sie wirkungsvoll mit der Schönheit der Natur von New Orleans, den gleichgültigen Eichen in der Glut des Südens. Eindringlich: Chiwetel Ejiofor als nobler Leidensträger Northup. Amazon, Netflix
Straight Outta Compton Von F. Gary Gray, 2015
Man fragt sich, warum es so lang gedauert hat, bis sich endlich jemand an die Dramatisierung einer Hip-Hop-Karriere wagen durfte – wahrscheinlich befürchtete die Traumfabrik mangelnde Marktgängigkeit. Welch Überraschung: völlig zu Unrecht. „Straight Outta Compton“wurde zum Sensationserfolg und legte die Latte für vergleichbare Projekte denkbar hoch. Der Film um Aufstieg und Zerfall der Gangsta-Rap-Pioniere N.W.A. ist etwas uneben geraten, nicht zuletzt aufgrund tendenziöser Schwerpunktsetzungen der Produzenten Ice Cube und Dr. Dre. Aber starke Performances (allen voran Jason Mitchell als Eazy-E) und die ungebrochene Kraft der Musik machen diesen Umstand wett. Ein Blockbuster-Markstein. Amazon
The Get Down Von Baz Luhrmann, 2016, 1 Staffel
Baz Luhrmann, der australische Regisseur, dessen exaltiertes und eklektisches Musical „Moulin Rouge!“dem Hollywood-Musikfilm 2001 neues Leben einhauchte, ist sicher nicht der Erste, an den man im Zusammenhang mit der keimenden Hip-Hop-Kultur der Siebziger denkt. Viel zu theatralisch und Broadway-mäßig – kurzum: weiß – waren seine bisherigen Arbeiten. Insofern stimmte die Nachricht, dass er eine Netflix-Serie zu besagtem Thema plane, skeptisch. Doch dieselben Eigenschaften, die man ihm als Handicap attestierte, erwiesen sich als Segen. Seine Vision der Spätsiebziger-Bronx, mit ihren Barbershops und Bandenkriegen, DJs und MCs, Graffiti-Künstlern und Fedora-Gangstern, ist beileibe nicht realistisch. Doch die Energie und Lebenslust, das Blut in den Adern der Stadt, die Bewegung in den Herzen der Menschen bringen schon die erste Folge zum Überschäumen. Der zentralen Liebesgeschichte zwischen einem angehenden „Wortschmied“und einer jungen Sängerin wurde übersteigerte Melodramatik vorgeworfen – doch im Grunde passt sie perfekt zum Musical-Ambiente der Show. Leider gab Netflix im Mai ihre Absetzung bekannt. Kein Grund, die erste Staffel in der Versenkung verschwinden zu lassen. Netflix