Die Presse

Wohin mit Ängsten, Fragen, Ungewisshe­it?

Freundscha­ften als Herberge, Ruheplatz und Raum des Erzählens. Welche sind mir geschenkt?

- VON JOSEF STEINER Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenomme­n. Joh 20,2

Der große Rabbi Pinchas von Korez, so berichtet Martin Buber in seinen „Erzählunge­n der Chassidim“, verglich seine Sicht der Welt einmal mit der Pupille. Weil die Pupille dunkel sei, nehme sie alles Licht in sich auf. So habe er die Fähigkeit bekommen, in allen Schwierigk­eiten und Verdunkelu­ngen des Lebens einen erhellende­n Funken zu entdecken. Dazu zwei Geschichte­n.

Einen seiner Schüler quälte der Zweifel, wie es möglich sei, dass Gott all seine Gedanken, auch die flüchtigst­en und die unbestimmb­arsten, kenne. In großer Qual fuhr er zu seinem Lehrer, um ihn zu bitten, er möge die Verwirrung seines Herzens lösen. Rabbi Pinchas stand am Fenster und blickte dem Kommenden entgegen. Als er eingetrete­n war und nach der Begrüßung sogleich seine Klage anheben wollte, sprach der Rabbi: „Ich weiß es, Freund, und wie sollte es Gott nicht wissen?“

Eine ähnliche Begebenhei­t erzählte Rabbi Pinchas’ Lieblingss­chüler, Rabbi Rafael von Berschad. „Am ersten Tag des Chanukkafe­stes – dem großen Lichtfest zur Erinnerung an die Wiedereinw­eihung des Tempels – klagte ich meinem Lehrer, dass es einem, wenn es ihm schlecht geht, schwerfäll­t, den Glauben an die göttliche Vorsehung für jeden Einzelnen unversehrt zu bewahren. Es erscheine einem ja wahrhaftig, als verberge Gott sein Angesicht vor ihm. Was sollte man tun, um im Glauben zu erstarken? „Weiß man“, antwortete der Rabbi, „dass es ein Verbergen ist, dann ist es ja kein Verbergen mehr.“Die Freundscha­ft zwischen Lehrer und Schüler als Ort der Klärung.

Maria aus Magdala hat Glück gehabt. Sieben Dämonen fesselten und plagten sie, schnitten sie von einem erfrischen­den Strom gesunden und schönen Lebens ab und machten aus ihr eine einsame, unsympathi­sch wirkende, beziehungs­unfähige, verwahrlos­te Frau. Sie ist biografisc­h belastet, krank, aber keine Sünderin.

In einem langen therapeuti­schen Prozess gelingt es Jesus, den Dämonen die Person und den Raum für ihr destruktiv­es Wirken zu nehmen. Er macht Maria aus Magdala groß, gibt ihr Selbstvert­rauen, bindet sie ein in die innerste Freundesgr­uppe seiner Gemeinscha­ft, verwandelt sie in eine selbstbewu­sste und attraktive Frau.

Sie wird zu seiner wichtigste­n Mitarbeite­rin in seinem Werk. Geduldige Nähe, großes Vertrauen, die Kraft der Freundscha­ft haben dieses Wunder der Liebe bewirkt. So ist Maria aus Magdala auch die Erste, die den Weg zum Grab ihres Geliebten wagt. Umso größer der Schock, das Erschrecke­n, die Ratlosigke­it: Das Grab ist leer.

Sie läuft mit dieser aufwühlend­en Entdeckung zu jenen beiden Menschen, die so wie sie Jesus besonders nahestande­n, zu Petrus, der Führungsge­stalt, und zu Johannes, Jesu Lieblingss­chüler. Der innerste Kreis der Freunde wird für Maria zur Herberge, zum Ruheplatz, zum Raum des Erzählens. Welche sind mir geschenkt?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria