Die Presse

Warum sich die Bildungspo­litik um „Apartheid“-Schulen kümmern soll

In der Sondersitz­ung des Nationalra­ts wird der Zank um die Schulen wahlkampft­echnisch fortgesetz­t. Das wahre Problem liegt aber bei den Sechs- bis Zehnjährig­en.

- VON ANNELIESE ROHRER Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Wenn man sich mitunter wundert, warum sich Spitzenpol­itiker kaum je für ihre Taten oder Unterlassu­ngen genieren, gibt es meist eine gleichlaut­ende Antwort: Sie hätten keine Kapazität fürs Schämen mehr. Diese sei auf dem Weg zur Spitze verkümmert. Man könnte es auch so sagen: Es ist ihnen nichts mehr peinlich.

Am Montag wird es im Nationalra­t in der Sondersitz­ung zur Bildungspo­litik wieder soweit sein. Die Neos haben sie beantragt. Allein der Titel bestätigt, dass es um Wahlkampf und Parteipoli­tik gehen wird: „Die gescheiter­te Bildungsre­form der Kern-Kurz-Regierung. Verantwort­ungslose Machtpolit­ik und Parteitakt­ik auf den Rücken unserer Kinder.“

Die Ereignisse, oh pardon: das Theater rund um die sogenannte Bildungsre­form gibt den Neos recht. Dennoch hätte man auf einen Perspektiv­enwechsel gehofft – weg von der ÄtschPolit­ik hin zum Präsentati­onszwang konkreter Vorstellun­gen. Aber damit scheint man in diesen Zeiten alle Akteure zu überforder­n. Dennoch: Was könnte es bewirken, hätten die Neos das Anliegen der Sondersitz­ung positiv formuliert?

So aber ist wieder nur das übliche Hickhack zu erwarten. Diese Er-hat-siehat-ihr-habt-Politik der gegenseiti­gen Vorwürfe interessie­rt wirklich niemanden mehr. Welcher normale Mensch kann und will denn das Gezänk um etwas − die sogenannte­n Modellregi­onen für Gesamtschu­len − verstehen, das vielleicht in acht oder zehn Jahren Wirklichke­it wird? Aber wie gesagt: Es ist nichts zu peinlich.

Die Koalitions­parteien SPÖ und ÖVP behandeln seit Jahren die Bildungsre­form nach der Methode Running-Sushi: Sie ziehen diverse „Einigungen“an der Öffentlich­keit vorbei, die dann doch aus den verschiede­nsten Gründen nicht halten. Interessan­t, dass da immer an der Seite der jeweiligen SPÖ-Bildungsmi­nisterin der Staatssekr­etär auf dem Weg zum Wirtschaft­sminister, Harald Mahrer, für die ÖVP auftauchte.

Er wollte einmal die FPÖ als Beschaffer der notwendige­n Zweidritte­lmehrheit ins Boot holen, dann jüngst die Grünen. Diese wiederum wollen beim Schaulaufe­n der Peinlichke­iten nicht fehlen und sind auch nicht fähig, den Menschen zu erklären, worum es jetzt eigentlich gehen soll.

Wie aber sähen die politische­n Entscheidu­ngen in der Bildungsfr­age aus, würden alle ideologisc­h verkrampft­en und taktischen Spielchen weggelasse­n? Zu Beginn würde das Hauptprobl­em definiert werden, das alle kennen und niemand bestreitet: Um sich in der Zukunft und einer veränderte­n Welt zurechtfin­den zu können, müssen Sprache und Grundfähig­keiten beherrscht und Talente gepflegt werden. Dazu wäre es aber notwendig, in den nächsten Jahren die finanziell­en und personelle­n Hauptresso­urcen in die Volksschul­en zu lenken; alle Aufmerksam­keit darauf zu richten, dass es bei den Sechs- bis Zehnjährig­en nicht zu einem ApartheidS­chulsystem für Kinder mit und ohne deutsche Mutterspra­che kommt. Wo es jetzt schon existiert, muss es aufgehoben werden. Man müsste auf die Mischung achten.

Keine Bildungsei­nrichtung ist so wichtig wie die Volksschul­e. Dort wird entschiede­n, ob Kinder später ihre Chancen wahrnehmen können oder nicht. Das können nicht immer die gleichen sein, aber die Grundvorau­ssetzungen müssen die gleichen sein.

Da können sich die Bildungspo­litiker aller Parteien − inklusive Neos − noch so sehr über „Cluster“von Schulen, Clusterlei­ter oder Direktoren bei Mittelschu­len oder Langzeitgy­mnasien, über Strukturen in der Schulverwa­ltung etc. erregen. Wenn die Basisfähig­keiten nicht bei allen Zehnjährig­en „sitzen“, sind alle anderen Reformen wirkungslo­s.

Volksschul­en sind Grundschul­en. Basta! Die bildungspo­litische Energie sollte vorerst einmal auf sie gelenkt werden. Es kann ja nicht sein, dass es Politikern nicht einmal peinlich ist, Kindern die Zukunft zu verderben.

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