Warum sich die Bildungspolitik um „Apartheid“-Schulen kümmern soll
In der Sondersitzung des Nationalrats wird der Zank um die Schulen wahlkampftechnisch fortgesetzt. Das wahre Problem liegt aber bei den Sechs- bis Zehnjährigen.
Wenn man sich mitunter wundert, warum sich Spitzenpolitiker kaum je für ihre Taten oder Unterlassungen genieren, gibt es meist eine gleichlautende Antwort: Sie hätten keine Kapazität fürs Schämen mehr. Diese sei auf dem Weg zur Spitze verkümmert. Man könnte es auch so sagen: Es ist ihnen nichts mehr peinlich.
Am Montag wird es im Nationalrat in der Sondersitzung zur Bildungspolitik wieder soweit sein. Die Neos haben sie beantragt. Allein der Titel bestätigt, dass es um Wahlkampf und Parteipolitik gehen wird: „Die gescheiterte Bildungsreform der Kern-Kurz-Regierung. Verantwortungslose Machtpolitik und Parteitaktik auf den Rücken unserer Kinder.“
Die Ereignisse, oh pardon: das Theater rund um die sogenannte Bildungsreform gibt den Neos recht. Dennoch hätte man auf einen Perspektivenwechsel gehofft – weg von der ÄtschPolitik hin zum Präsentationszwang konkreter Vorstellungen. Aber damit scheint man in diesen Zeiten alle Akteure zu überfordern. Dennoch: Was könnte es bewirken, hätten die Neos das Anliegen der Sondersitzung positiv formuliert?
So aber ist wieder nur das übliche Hickhack zu erwarten. Diese Er-hat-siehat-ihr-habt-Politik der gegenseitigen Vorwürfe interessiert wirklich niemanden mehr. Welcher normale Mensch kann und will denn das Gezänk um etwas − die sogenannten Modellregionen für Gesamtschulen − verstehen, das vielleicht in acht oder zehn Jahren Wirklichkeit wird? Aber wie gesagt: Es ist nichts zu peinlich.
Die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP behandeln seit Jahren die Bildungsreform nach der Methode Running-Sushi: Sie ziehen diverse „Einigungen“an der Öffentlichkeit vorbei, die dann doch aus den verschiedensten Gründen nicht halten. Interessant, dass da immer an der Seite der jeweiligen SPÖ-Bildungsministerin der Staatssekretär auf dem Weg zum Wirtschaftsminister, Harald Mahrer, für die ÖVP auftauchte.
Er wollte einmal die FPÖ als Beschaffer der notwendigen Zweidrittelmehrheit ins Boot holen, dann jüngst die Grünen. Diese wiederum wollen beim Schaulaufen der Peinlichkeiten nicht fehlen und sind auch nicht fähig, den Menschen zu erklären, worum es jetzt eigentlich gehen soll.
Wie aber sähen die politischen Entscheidungen in der Bildungsfrage aus, würden alle ideologisch verkrampften und taktischen Spielchen weggelassen? Zu Beginn würde das Hauptproblem definiert werden, das alle kennen und niemand bestreitet: Um sich in der Zukunft und einer veränderten Welt zurechtfinden zu können, müssen Sprache und Grundfähigkeiten beherrscht und Talente gepflegt werden. Dazu wäre es aber notwendig, in den nächsten Jahren die finanziellen und personellen Hauptressourcen in die Volksschulen zu lenken; alle Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass es bei den Sechs- bis Zehnjährigen nicht zu einem ApartheidSchulsystem für Kinder mit und ohne deutsche Muttersprache kommt. Wo es jetzt schon existiert, muss es aufgehoben werden. Man müsste auf die Mischung achten.
Keine Bildungseinrichtung ist so wichtig wie die Volksschule. Dort wird entschieden, ob Kinder später ihre Chancen wahrnehmen können oder nicht. Das können nicht immer die gleichen sein, aber die Grundvoraussetzungen müssen die gleichen sein.
Da können sich die Bildungspolitiker aller Parteien − inklusive Neos − noch so sehr über „Cluster“von Schulen, Clusterleiter oder Direktoren bei Mittelschulen oder Langzeitgymnasien, über Strukturen in der Schulverwaltung etc. erregen. Wenn die Basisfähigkeiten nicht bei allen Zehnjährigen „sitzen“, sind alle anderen Reformen wirkungslos.
Volksschulen sind Grundschulen. Basta! Die bildungspolitische Energie sollte vorerst einmal auf sie gelenkt werden. Es kann ja nicht sein, dass es Politikern nicht einmal peinlich ist, Kindern die Zukunft zu verderben.