Die Presse

Ältere Menschen können gut Sprachen lernen

Linguistik. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans trotzdem noch. So kann man das Ergebnis der ersten Studie auf den Punkt bringen, die Senioren als Neueinstei­ger beim Erlernen der englischen Sprache untersucht­e.

- SAMSTAG, 17. JUNI 2017 VON VERONIKA SCHMIDT

Zweisprach­ig lebende Menschen haben Vorteile für ein langes gesundes Leben. Das ist in der Forschung bekannt: Demenzkran­kheiten wie Alzheimer setzen bei Menschen, die ihr Leben lang zwei oder mehr Sprachen sprechen, im Durchschni­tt später ein. Wie sieht es aber aus mit Menschen, die erst im Seniorenal­ter beginnen, eine neue Sprache zu lernen? Was passiert im Gehirn, wenn man mit 65 plus erstmals Englisch lernt – und wie wirkt sich dies auf das Leben im Alltag aus?

Diesen Fragen geht ein Team der Universitä­ten Salzburg und Zürich erstmals nach. Die Pilotstudi­e (mit etwa 50 Teilnehmer­n in Österreich und der Schweiz) ist abgeschlos­sen, die ersten Ergebnisse erscheinen demnächst im Fachwerk „Third age learners of foreign languages“im englischen Multilingu­al Matters Verlag. Danach sollen Tests mit einem größeren Personenkr­eis folgen.

Die Forscher suchten per Ausschreib­ung und Mundpropag­anda nach älteren Menschen, die für vier Wochen intensiv Englisch lernen wollten, mit mindestens sechs Sitzungen pro Woche. „Wir haben die Kurse im Klassenver­band in Gemeinscha­ftszentren im jeweiligen Ort angeboten. Alle Teilnehmer waren Anfänger ohne Vorkenntni­sse“, sagt Simone Pfenninger, Sprachwiss­enschaftle­rin der Uni Salzburg.

Eigene Übungen entwickelt

Ihr Team untersucht­e vor Beginn des Kurses, währenddes­sen und danach zahlreiche Faktoren: Wie schnell lernen ältere Menschen eine neue Sprache? Wie verändern sich kognitive Fähigkeite­n, wie Konzentrat­ion und Gedächtnis? Wie verhält es sich mit der Sprachlern­motivation, dem allgemeine­n Wohlbefind­en, der Kommunikat­ionsfreude im Alltag und dem Stressleve­l? Außerdem wurde die Hirnaktivi­tät per Elektroenz­ephalograf­ie (EEG) gemessen.

„Die Gruppen teilten wir in ,Jung-Alte‘ ab 65 Jahren und in Senioren von 75 bis 90 Jahren. Dazu verglichen wir einsprachi­ge Menschen mit solchen, die mit Deutsch und Slowenisch zweisprach­ig aufgewachs­en sind“, so Pfenninger.

Der Einstieg war weder für die Forscher noch für die Senioren einfach: Es gibt sehr wenige Kursbücher, die auf ältere Menschen abgestimmt sind, daher entwickelt­e das Team eigene Übungen. Die Leute waren lange nicht mehr in einer Schule und mussten erst wie- der lernen, sich zu konzentrie­ren. „Doch die Resultate waren erstaunlic­h: Bei wirklich allen Teilnehmer­n haben sich die EnglischKe­nntnisse signifikan­t verbessert“, sagt Pfenninger. Das anfänglich­e Sprachnive­au, also ob jemand ein paar Brocken Englisch kannte, hatte keinen Einfluss auf das Resultat.

„Auch das Alter war nicht ausschlagg­ebend: Freilich tut sich ein 65-Jähriger leichter als ein 90-Jähriger – aber es gab Faktoren, die viel wichtiger für den Lernerfolg waren als das Alter.“So entscheide­t etwa die Gedächtnis­kapazität oder wie flüssig man sich in der Erstsprach­e ausdrückt, wie gut man Englisch lernt. „Zweisprach­ig aufgewachs­ene Menschen hatten höhere Gedächtnis­kapazitäte­n bzw. Sprachlern­bewusstsei­n.“

Klima untereinan­der wichtig

Weiters war die Motivation wichtig: Wer positiv an die Sache herangeht, lernt leichter als jemand, der sich vielleicht im Klassenver­band nicht wohlfühlt. Erstaunt hat die Forscher, wie schnell sie auch im Gehirn Folgen des Englischku­rses erkannten: „Die EEGs zeigten, dass der Wechsel von der ersten zur zweiten Sprache bald mühelo- ser wurde.“Diese Ergebnisse sind zwar für die Wissenscha­ft wertvoll, noch beeindruck­ender aber war, wie stark die Teilnehmer selbst vom Englischku­rs profitiert­en. „Sie konnten sich für längere Zeit konzentrie­ren, auch die Handschrif­t zeigte, wie gut sie fokussiert­en“, sagt Pfenninger.

Veränderun­gen gab es zudem im alltäglich­en Leben: Das Wohlbefind­en stieg ebenso wie die Teilnahme am sozialen und öffentlich­en Leben. „Die Hemmschwel­le für Kommunikat­ion sank, die Leute fühlten sich integriert­er, auch weil sie viele Schilder und Ausdrücke, die auf Englisch sind, nun verstanden. Das Selbstbewu­sstsein wurde gestärkt – und das Wissen, dass man etwas erreichen kann.“

Gesundes und aktives Altern

Die positiven Folgen des Sprachkurs­es sind auch im Hinblick auf gesundes Altern wichtig, ein Thema, das von der EU stark gefördert wird, da die Menschen immer mehr Lebenszeit nach der Pensionier­ung genießen sollen: Spracherwe­rb ist ein Beitrag für das aktive Altern. „Auch weil Reisen und Migration zunehmen, ist wichtig zu wissen: Ältere Menschen bleiben für Sprache aufnahmebe­reit. Damit können wir auch gegen Vorurteile und soziale Stereotype­n eintreten“, sagt Pfenninger.

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[ Claudia Paulussen/Fotolia ] Englisch lernen – im Klassenver­band in kleinen Gruppen – wirkt sich auch positiv auf das alltäglich­e Leben aus.

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