Braucht Wasser, damit es siedet, mehr Energie als zuvor?
Um die Bindung zwischen den Teilchen aufzuheben, muss man kurzzeitig mehr Energie zuführen. Erst dann verwandelt sich Wasser in Dampf.
Wer sich Erdäpfel oder Nudeln auf einem Elektroherd kocht, meint mitunter, ein – etwas lästiges – physikalisches Phänomen zu beobachten: Das Wasser kocht entweder noch nicht oder es geht über. Unser Leser vermutete jedenfalls eine Eigenheit des Wassers, die es die 100-Grad-Grenze nur durch stärkere Energiezufuhr überwinden lässt, und fragte nach.
Tatsächlich braucht Wasser einen kleinen Kraftakt, damit sich seine Moleküle voneinander trennen und damit das Wasser vom flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand umgewandelt wird, also verdampft: Erwärmt man es, beginnen die Teilchen zu zittern. Sie wackeln, drehen sich und schubsen einander. Je mehr Wärme man zuführt, desto wilder werden die Bewegungen. Erreicht das Wasser Siedetemperatur, wird es nicht mehr wärmer. „Die gesamte zugeführte Energie geht dann in das Aufbrechen der Bindungen zwischen den Molekülen. Sie wird genutzt, um den Phasenwechsel zu vollziehen“, erklärt Heimo Walter vom Institut für Energietechnik und Thermodynamik der TU Wien.
Im Kochtopf Dampf machen
Dabei braucht man zum Sieden deutlich mehr Energie als vorher und nachher: Sind zum Erhitzen von einem Kilogramm Wasser von 99 auf 100 Grad Celsius etwa 4,2 Kilojoule notwendig, benötigt man zum anschließenden vollständigen Verdampfen rund 2256,5 Kilojoule (!). Danach, wenn das Wasser vollständig in Dampf umgewandelt ist und dieser weiter auf 101 Grad Celsius erwärmt wird (man spricht auch von überhitztem Dampf ), sind es lediglich 2,1 Kilojoule pro Kilogramm Dampf.
Bei Gas- oder Induktionsherden dreht man einfach zurück, weil man zum Halten der Siedetemperatur weniger Energie braucht als zum Erhöhen der Temperatur. Der Elektroherd reagiert aber träge, weil Heizspirale und Platte noch Energie gespeichert haben. Diese wird auch nach dem Abdrehen an das Wasser abgegeben, es sprudelt also noch einige Zeit weiter.
Die Temperatur hängt aber auch vom Umgebungsdruck ab. Bei Normaldruck von einem Bar kocht Wasser auf Meeresniveau bei 100 Grad Celsius. Auf einem Berg nimmt die Siedetemperatur aufgrund des fallenden Luftdrucks ab: Auf dem Mount Everest liegt sie bei circa 70 Grad Celsius. Auch unterschiedliche Wetterlagen, also etwa Hoch- oder Niederdruckwetter, können diese beeinflussen. Allerdings nur gering: „Der Koch sollte den Unterschied eigentlich nicht merken“, sagt Walter. Ein solcher ist aber zu spüren, wenn man einen Druckkoch- topf nutzt: Der erste Siedepunkt verändere sich zwar nicht. Vor dem Dampfablassen durch das Sicherheitsventil steige aber – nomen est omen – der Druck im Kochtopf, erklärt Walter. Und das verändere schließlich die Siedetemperatur, die bewirkt, dass Essen eine höhere Kochtemperatur hat.
Walters Forschungsfokus liegt an sich auf thermischer Energiespeicherung im großtechnischen Maßstab: „Ich möchte thermische Energie einspeichern, die dann, wenn sie in Industrie oder Kraftwerken gebraucht wird, wieder möglichst kostengünstig nutzbar ist.“Die Wissenschaftler testen dazu verschiedene Speicherkonzepte im Labor. Sie wollen u. a. wissen, wie schnell sich Energie in den Speicher einführen und später wieder abrufen lässt. Welche die beste Lösung ist, hänge aber stets vom jeweiligen Bedarf ab, sagt Walter.
„Auf dem Mount Everest siedet Wasser bei circa 70 Grad Celsius.“Heimo Walter, TU Wien