Die Presse

Die Trägheit von Molekülen sinnvoll nutzen

Chemie. Wiener Forscher kontrollie­ren Oxidations­prozesse an trägen, unreaktive­n Amidmolekü­len. Diese neue Methode erleichter­t die Synthese von biologisch aktiven Substanzen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Proteine sind die Bausteine unseres Körpers. Und Bausteine, die man in den Proteinen findet, heißen Amide, das sind spezielle Stickstoff­verbindung­en. „Amide sind sehr unreaktiv. Das ist gut so, denn sonst wären Proteine nicht stabil, und unser Körper würde nicht zusammenge­halten“, sagt Nuno Maulide vom Institut für Organische Chemie der Uni Wien. „Wären Amide leicht reaktiv, würden sie vielleicht mit Wasser reagieren, und uns würde im Regen ein Arm abfallen“, scherzt der Portugiese, der seit 2013 in Wien lebt.

Sein Team konnte die Trägheit der Amide ausnutzen, um die Synthese von Molekülen zu vereinfach­en. Denn jedes Amid ist zwar träge, hat aber gewisse Voraussetz­ungen, unter denen es dann doch in Reaktion tritt. „Stellen Sie sich vor, es gibt drei junge Männer: Einer ist so schmerzemp­findlich, dass man ihn nicht anrühren darf. Der andere kann sich nur unter 20 Grad bewegen, und der dritte läuft erst, wenn es über 30 Grad hat. Man wird also mit jedem der Typen nur bestimmte Sachen machen können. So geht es uns mit Amiden: Wenn wir wissen, unter welchen Bedingunge­n das Molekül reagiert, können wir dieses selektiv aktivieren und für unsere Zwecke einsetzen“, so Maulide. Im Vorjahr gelang es den Wiener Chemikern auf diese Weise, anstelle einer Kohlenstof­f-Wasserstof­f-Bindung eine zusätzlich­e Stickstoff­gruppe in Amide einzufügen.

Im Labor tun, was Natur schafft

„Nun haben wir nach einem ähnlichen Prinzip gehandelt, aber eine neue Methode entwickelt, die zu völlig anderen Produkten führt.“Diesmal ist es die Oxidation – also der Einbau von Sauerstoff –, die die Chemiker vereinfach­en wollen. Bei dem Vorgang, der bei der Nährstoffv­erwertung in unserem Körper genauso wichtig ist wie bei der Verbrennun­g in Motoren, werden Elektronen übertragen. Oxidation wird für uns etwa sichtbar, wenn Eisen rostet. „Die Oxidation läuft in vielen verschiede­nen Stufen ab und ist schwer zu kontrollie­ren“, sagt Maulide. Für Chemiker ist es daher schwierig, Verfahren zu entwickeln, die gezielt bestimmte Stufen der Oxidation anpeilen, also selektiv ablaufen.

„Die Natur schafft das allein. Aber im Labor können wir die Oxidation bisher kaum selektiv gestalten oder kontrollie­ren“, sagt Maulide. In der aktuellen Publikatio­n im „Journal of American Chemical Society“zeigt er gemeinsam mit Aurelien´ de la Torre und Daniel Kaiser, dass es für eine bestimmte

sind chemische Verbindung­en, die sich von Ammoniak (NH ) ableiten. Proteine und Peptide sind Polyamidve­rbindungen (ähnlich wie z. B. Nylon), da sie aus mehreren durch Amidbindun­gen verknüpfte­n Aminosäure­n bestehen.

ist eine chemische Reaktion, bei der ein Atom Elektronen abgibt. Jede Verbrennun­g ist eine Oxidation, sei es von Kalorien im Körper oder Holz im Feuer. Reaktion doch möglich ist, die Oxidation von Amiden selektiv und flexibel zu lenken.

„Unser Trick ist, dass wir nicht Abwandlung­en, d. h. Derivate von Amiden verwenden, sondern direkt Amide. Eben weil sie so träge und unreaktiv sind, können wir auswählen, welche Reaktionen sie ausführen sollen.“

Als Beispiel nahm das Team die Herstellun­g von Histon-Deacetylas­e(HDAC)-Hemmern, die im Zellzyklus und der Umsetzung von DNA zu Proteinen sehr wichtig sind. „Bisher brauchte man im Labor sieben oder acht Schritte, um HDAC-Hemmer mit oxidierten Amiden zu gewinnen. Diese Schritte waren aber Umwege, die man gemacht hat, um träge Amide reaktionsf­ähig zu machen. Mit der selektiven Methode sparen wir uns die Umwege und schaffen eine Abkürzung“, so Maulide. Nun soll die Methode für andere Prozesse angepasst werden, um die Synthese von biologisch aktiven Molekülen weiter zu vereinfach­en und auch günstiger zu machen.

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