Wenn Geräusche zu Lärm werden
Forscher der Uni Wien ergründen die Eigenschaften von Musik und Schall. Sie wollen wissen, was lieblichen Klang von lästigem Lärm unterscheidet.
Sonntagmorgen. Frühstück auf der Terrasse des Lieblingscafes.´ Leichtes Blätterrauschen, Menschengemurmel und entferntes Besteckklirren schaffen gehörte Wohlfühlatmosphäre. Bis die gewaltige Beschleunigungskraft eines passierenden Motorrades die Geräuschkulisse in Fetzen reißt. Ein großes Ärgernis für lärmempfindliche Frühstücker. Dem Menschen auf dem Motorrad wiederum verleiht das Kolbenknattern ein Gefühl von Freiheit, Kraft und vielleicht Erhabenheit.
Das unterschiedliche Empfinden gegenüber derselben Schallquelle führt Christoph Reuter, Vorstand des Instituts für Musikwissenschaften der Uni Wien, auf mehrere Ursachen zurück. Zum einen hänge es wesentlich mit der emotionalen Bindung, in diesem Fall zum Motorrad, zusammen.
Motorradfahrer steuert Aufheulen
Zum anderen gehe es um Kontrolle. „Derjenige, der auf dem Motorrad sitzt, kann im Gegensatz zum Passanten über Lautheit und Schärfe des Aufheulens bestimmen“, stellt der Wissenschaftler fest. „Das kann als ungebührliches Dominanzgebaren gedeutet werden und den Motorradklang für Unbeteiligte zu Lärm werden lassen. Schall wird vor allem dann zu Lärm, wenn man keine Möglichkeit hat, ihn zu kontrollieren“, erklärt Reuter.
Er hat gemeinsam mit seinen Kollegen Isabella Czedik-Eysenberg und Denis Knauf mehrere Studien durchgeführt, in denen Versuchsteilnehmer die Lästigkeit von 60 typischen Motorradgeräuschen beurteilen sollten. Motorradfans beurteilten diese durchschnittlich wesentlich milder. Dabei kam auch das sogenannte Music Informa- tion Retrieval zum Einsatz. Bei dieser Methode werden Musik und Geräusche mittels Software am Computer auf bestimmte Merkmale wie Tempo oder Tonart hin analysiert. „Für die musikwissenschaftliche Forschung bieten die Algorithmen des Music Information Retrieval ein ungeheures Potenzial“, schwärmt Reuter. „Eigenschaften, welche die Klangfarbe ausmachen, wie Helligkeit, Rauigkeit, Fluktuationen oder der Anteil perkussiver, sprich schlagzeugähnlicher Energie, werden so in Zahlen bestimmbar und vergleichbar.“Eher schwammig verwendete Adjektive a` la „geschmeidig“oder „hölzern“lassen sich so ersetzen.
Musikstücke beurteilen
Zusätzlich zu dieser automatisierten Merkmalsanalyse beurteilen Testpersonen in Hörversuchen Geräusche oder Musikstücke nach bestimmten Eigenschaften. Auf einer Skala von ein bis zehn sollen sie beispielsweise festlegen, wie hell oder dunkel der jeweilige Klang klingt. Schließlich schauen sich die Wissenschaftler an, wie die Computeranalyse mit den Hörerurteilen korreliert. „Mit diesen Techniken lassen sich Musik und Geräusche nach Ähnlichkeiten und menschlichen Hörempfindungen untersuchen“, erklärt Musikwissenschaftler Reuter. „Wir können auch gleich Rückschlüsse darüber aufstellen, welche physikalischen Klanganteile für welche Bestandteile der Hörwahrnehmung verantwortlich sind.“
Im Falle des Motorradklangs sind es etwa die Lautheit und der starke Energiegehalt im Frequenzbereich zwischen 2000 und 4000 Herz, die ihn lästig machen. Hinzu kommen den Forschern zufolge das abrupte Auftreten, eine ausgeprägte Rauigkeit sowie ein hohes Maß an schlagenden Signalkomponenten.
Warum Menschen unterschiedlichste Musik als angenehm oder zermürbend empfinden, ist derzeit auch für die Wissenschaft schwierig zu beantworten. Auch hier dürften Kontext, klangliche Vorerfahrung und emotionale Verfassung eine Rolle spielen. Klar ist, dass bestimmte Geräusche einhellig als besonders unangenehm empfunden werden: das Kratzen von Fingernägeln auf einer Wandtafel oder das Schaben mit der Gabel auf einem Porzellanteller sind Schauertöne, die jeder kennt.
Eine Kreissäge ist kein Meeresrauschen
Vor allem zwei Merkmale sind es, die Reuter gemeinsam mit Michael Oehler (Universität Osnabrück) und Jörg Mühlhans (Universität Wien) als entscheidend identifiziert hat. Neben dem schon in Sachen Motorrad wichtigen starken Energieanteil bei 2000 bis 4000 Hertz ist es die deutlich erkennbare Tonhöhe. „Geräusche ohne erkennbare Tonhöhe, wie Meeresrauschen oder Blätterrascheln, werden nahezu immer als angenehm empfunden“, so Reuter. „Geräusche, die eine dezidierte Tonhöhe aufweisen, wie Kreissäge, Mückensummen oder Zahnarztbohrer, werden in der Regel als besonders unangenehm empfunden.“Sind die Tonhöhen allerdings harmonisch in ein Musikstück eingebettet, schaut die Welt wieder ganz anders aus.