Schlaue Kunststoffe mit viel Gefühl
Kann Plastik intelligent und zugleich elegant sein? Durchaus, meinen Grazer Forscher. Sie haben die erste 3-D-Bedienkonsole mit integrierten Sensoren geschaffen. Diese eröffnet neue Möglichkeiten für Design und Anwendungen.
Der Finger berührt sanft die Taste der dreidimensionalen Bedienkonsole, sie leuchtet. Kein Schalter muss umgelegt werden, keine Erhebung stört das Design, alles ist aus einem Stück. Was für den Laien relativ simpel klingen mag, ist technisch hochkompliziert. Dahinter stecken drei Jahre gemeinsamer Entwicklungsarbeit von österreichischen und deutschen Forschungseinrichtungen und Firmen. „Uns ist erstmals gelungen, elektronische, optische und sensorische Folien in dreidimensional geformte Spritzgussteile zu integrieren“, sagt Projektleiterin Maria Belegratis vom Institut für Oberflächentechnologien und Photonik der Joanneum Research.
Die von der oberösterreichischen Smart-Plastics-Initiative mitgetragene Idee war, die Basis für künftige Produkte zu schaffen, die „ein bisschen anders sind als die alteingesessenen“, so Belegratis. Die Forscher wollten die benutzten Kunststoffe aber nicht nur intelligenter machen, also mit Sensoren, Elektronik und Licht versehen, sondern auch in eine beliebige dreidimensionale Form gießen. Das war neu.
Den Zugkräften standhalten
Was aber ist daran so schwierig? „Leiterbahnen müssen den Zugkräften beim Verformen standhalten“, erklärt die Forscherin. Denn eine Leiterbahn entsteht im Siebdruckverfahren, sie kann an jeder
Auch Kunststoffe sollen intelligenter werden. Dazu bestückt man sie mit Sensoren, die unterschiedliche Funktionen ermöglichen. Im Projekt 3D-MEOD gelang es Wissenschaftlern der steirischen Forschungsgesellschaft Joanneum Research, diese in eine dreidimensionale Form zu bringen. Wissenschaftliche Partner waren u. a. die Uni Linz, die Montanuni Leoben, das Polymer Competence Center Leoben. Darüber hinaus kooperierten die Forscher mit Firmen in Österreich und Deutschland. Stelle reißen. Es galt also, Tinten, Pasten und Lacke zu finden, die den extremen Belastungen standhalten, wenn man sie verbiegt. „Auch ein normaler Kleber schmilzt beim Verformprozess, die Bauteile verschieben sich.“
Das gelang im über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützen Projekt 3D-MEOD (Threedimensional Molded Electro Optical Device) in mehreren Schritten. Zunächst wurden die Sensoren auf eine ebene Folie aufgedruckt, dann kam diese zum „Pick and Place“, also zum automatischen Platzieren der Bauteile, zu einem Firmenpartner. Ein weiterer schützte das Werk mit Lack, ein weiterer laminierte es.
Der wichtigste Schritt aber erfolgte in Deutschland: „Unser Firmenpartner nutzt einen einzigartigen, schonenden Hochdruckformprozess, der mit höherem Druck arbeitet, aber mit tieferen Temperaturen auskommt“, erzählt Belegratis. So nimmt die Konsole Form an, ohne dass das Material oder die eingebauten Sensoren leiden. Durch ein Spritzgussverfahren bleibt das Werk schließlich stabil.
Zwei Modelle, sogenannte Funktionsmuster einer modernen Bedienkonsole mit integrierten dekorativen und funktionalen Elementen, wurden so geschaffen. Auf dem Weg dorthin gab es zunächst noch einen Strategiewechsel: Die Wissenschaftler wollten ursprünglich jede Funktion auf eine Folie drucken, erkannten aber, dass das weitere Hürden mit sich brachte. Jetzt drucken sie alles auf eine Folie. Auch die Platzierung der Sensoren wurde immer wieder verändert und verbessert.
Verrückte Dinge ermöglichen
Die möglichen Anwendungen sind vielfältig: Die Autoindustrie hat bereits großes Interesse angemeldet, sie ortet mehr Komfort und besseres Design für die Konsole im Fahrzeug. Aber auch Spielzeughersteller und Produzenten dreidimensionaler Designprodukte, etwa Lampen, könnten die neue Technologie verwenden, um völlig unterschiedliche Funktionen in eine gewünschte Form zu bringen. Weil sie nahtlose Oberflächen erzeugt, wären etwa Haushaltsgeräte weit einfacher zu reinigen als bisher.
Für die Versuche im kürzlich abgeschlossenen Projekt nutzte man Polycarbonat und PET, aber auch andere Materialien könnten umgeformt werden. Aus heutiger Sicht völlig verrückte Dinge könnten entstehen, schwärmt Belegratis. Nun sind interessierte Unterneh- men am Zug: „Wir wissen jetzt, was möglich ist, und können Wege finden, Produktideen umzusetzen“, so Belegratis. Um ihre Entwicklung bekannt zu machen, präsentieren die Wissenschaftler sie nun auf Messen. „Die Firmen sollen sagen, was sie sich wünschen, wir zerbrechen uns dann den Kopf darüber, wie es sich umsetzen lässt.“
Dabei ließe sich vieles, beispielsweise auch ein Babyfon, schon heute mit weit weniger Material gestalten: Eine Folie mit eingebautem Mikrofon und Lautsprecher könnte flach wie ein Bild an der Wand lehnen. Aber: „Manchmal wollen wir das gar nicht. Manchmal wollen die Menschen ein Stück in der Hand haben. Daher verwenden wir das 3-D-Verfahren“, sagt Belegratis.
Von Kieselalgen zu Kunststoff
Die in Wien geborene Forscherin ist eigentlich Meeresbiologin. Am Beginn ihrer wissenschaftlichen Arbeit suchte sie in der Ägäis nach neuen Arten von Kieselalgen. In Österreich wechselte sie den Fokus. Der gemeinsame Nenner mit der Materialforschung? Die Werkzeuge. „Da wie dort arbeiten wir mit dem Rasterelektronenmikroskop, um Strukturen zu bestimmen.“Und auch um Kunststoff „wie Wurst“zur Untersuchung in feine Scheiben zu schneiden, nutze man eine Methode, mit der man in der Biologie Zellen zerteilt. „Das geht, weil beides weiche Materialien sind“, erklärt Belegratis.