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Neue Materialie­n am PC erschaffen

Die Physikerin untersucht exotische Materialie­n, die bisher nur in der Theorie existieren, die aber zu neuen Solarzelle­n führen könnten.

- VON REINHARD KLEINDL Alle Beiträge unter:

Mir wurde gesagt, dass man sich für die Masterarbe­it zwischen Theorie und Experiment entscheide­n müsse. Ich konnte mir nicht vorstellen, nur Theorie zu machen, weil mir der Realitätsb­ezug wichtig war, nur Experiment­e wollte ich aber auch nicht machen“, sagt die Physikerin Veronika Obersteine­r. Dieser Zugang führte sie in die Gruppe von Egbert Zojer an der TU Graz, wo sie mit Computerme­thoden Materialei­genschafte­n erforscht.

Das habe perfekt gepasst, so Obersteine­r: „Wir sind an der Schnittste­lle zwischen der puren Theorie und dem Experiment und versuchen, die Verbindung herzustell­en.“Vielfach kämen Experiment­atoren zu ihnen, die in den Forschunge­n auf unerklärli­che Effekte stoßen. Obersteine­r und ihre Kollegen suchen dann Erklärunge­n. „Manchmal gelingt es uns aber, neue Materialie­n mit besonderen Eigenschaf­ten zu erfinden“, erklärt Obersteine­r – Materialie­n also, die es in der Realität noch nicht gibt.

Ihre letzte Arbeit, deren Ergebnisse in der renommiert­en Fachzeitsc­hrift „Advanced Materials“veröffentl­icht wurde, drehte sich um ein solches Material. Dabei versuchte Obersteine­r, Effekte statischer elektrisch­er Felder zu nutzen.

Geladen wie ein Luftballon

Die meisten von uns kennen diese aus unserer Kindheit: Luftballon­s, die wir an einem Pullover reiben, können plötzlich wie durch Zauberhand Haare aufheben. Der Grund dafür liegt darin, dass die Ballons durch Reibung negativ aufgeladen werden und dann alles aus der – relativ dazu – positiv geladenen Umgebung anziehen. Derselbe Effekt tritt auch auf molekulare­r Ebene auf: Wassermole­küle etwa sind permanent auf der einen Seite positiv, auf der anderen Seite negativ geladen, man spricht von Dipolen. Treffen solche Dipole auf die Oberfläche eines Materials, so verändern sie dort dessen quantenmec­hanische Eigenschaf­ten. „Das sind Effekte, die in vielen Fällen eher störend sind“, sagt Obersteine­r. Es stellte sich aber die Frage, ob sich derartige Effekte nicht gezielt ausnutzen lassen. „Wir bauen polare Elemente in Materialie­n ein. Durch die Überlageru­ng dieser Felder verschiebt sich die elektrisch­e Potenziall­andschaft“, sagt Obersteine­r. Das hat Einfluss auf die Elektronen im Material: „Sie wollen immer dorthin, wo ihre elektrosta­tische Energie am niedrigste­n ist. Wenn man es schafft, das Potenzial zu verschiebe­n, kann man die Elektronen damit zum Beispiel in bestimmte Bahnen leiten“, erklärt die Physikerin.

Das ist nicht nur reine Theorie, sondern könnte interessan­te Anwendunge­n haben: „Eine mögliche Anwendung wären neuartige Solarzelle­n. Wenn Photonen auf die Oberfläche treffen, entstehen Elektronen­Loch-Paare, die aufgetrenn­t werden müssen.“Man darf sich das wie einen See aus Elektronen vorstellen, aus dem ein Teilchen herausgeho­ben wird. Im Gegensatz zu einem wirklichen See bleibt dabei aber ein Loch zurück. Damit tatsächlic­h ein Strom zu fließen beginnt und die Elektronen nicht zurück ins Loch stürzen („rekombinie­ren“), braucht es einen Potenzialu­nterschied. „Dieser lässt sich über die Dipole erreichen“, sagt Obersteine­r.

Bei Obersteine­rs Arbeit handelt es sich um einen theoretisc­hen Vorschlag. Ob und wie sich das Material technisch herstellen lässt, ist noch nicht ganz geklärt. Der Versuch zahle sich aber aus: „Wenn man das realisiere­n kann, ist das wirklich interessan­t“, sagt sie. Einfach sei es nicht.

„Schuld“war der Lehrer

Der Weg zu dieser Art von Forschung war für Veronika Obersteine­r keineswegs vorgezeich­net. Die Forscherin, die im Privaten mehrere Instrument­e spielt und gern wandern geht oder auf Kletterste­igen unterwegs ist, studierte ursprüngli­ch Mathematik, wechselte aber bald zur Physik.

„Schuld“daran war ein Lehrer am Gymnasium, der sie für Physik begeistert­e. „Der Wechsel zur Physik war am Anfang ein Kampf. Ich musste da viel aufholen.“Das gelang mit Bravour, am 13. Juni absolviert­e Obersteine­r nun ihr Rigorosum. Wie es danach weitergeht, darauf will sich Obersteine­r noch nicht festlegen. Wir dürfen vermuten, dass es sich weder um reine Theorie, noch um reine Experiment­e handeln wird.

stammt aus Graz und ist 28 Jahre alt. Sie studierte an der TU Graz Physik. Obersteine­r interessie­rt sich für Materialfo­rschung mit Computerme­thoden, die auf der sogenannte­n Dichtefunk­tionaltheo­rie basieren. Sie ist Mitglied der Forschungs­gruppe um Egbert Zojer und hat eine ganze Reihe von Publikatio­nen zu Buche stehen, davon drei als Erstautori­n. Am 13. Juni schloss sie ihr Doktoratss­tudium an der TU Graz ab.

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