Paradoxe Brüder
Wenn sich Jahreszahlen runden, lohnt ein Blick vom zeitlich Punktuellen zu den historischen Stationen einer Entwicklungsgeschichte. 300 Jahre Freimaurer sind ein gebührender Anlass, den Blick hinter den Spiegel zu wagen. In Kooperation mit der Großloge von Österreich findet in der Nationalbibliothek in Wien ab 23. Juni eine Ausstellung statt, die sich diesem Thema widmet. Begleitet wird die Schau von einem Katalog, der Auskunft gibt über die verschiedenen Aspekte einer Bewegung, die in reife Jahre gekommen ist.
Die Freimaurerei kann dabei auf viele Sternstunden blicken und auch mit ein paar Paradoxien aufwarten. Als Kind der Aufklärung geboren, ist sie zu einer weltweiten Organisation erblüht, überstand Verbote und Verschwörungstheorien, Diffamierungen ebenso wie Idealisierungen und zeigt sich trotz ihrer Widersprüche auch im 21. Jahrhundert als eine ständig wachsende Institution. Im Gegensatz zu den noch immer kursierenden Gerüchten einer Geheimverbindung kann man alles Wissenswerte nachlesen, sogenannte Geheimnisse der diskreten Gesellschaft leicht lüften.
Die „Königliche Kunst“, wie die Freimaurerei auch genannt wurde, entstand 1717 in England, so wird zumindest immer wieder tradiert. Sie formierte sich aus den operativen Dombauhütten und lieferte bald Herrschaftskritik am absolutistischen Staat. Inspiriert von den Ideen der Aufklärung, breitete sie sich im Eiltempo von England auf das europäische Festland aus. So kam es bereits 1743 in der Habsburgermonarchie zur ersten Logengründung. Obwohl Maria Theresia diese Loge schließen ließ, sammelten sich bald bürgerliche und adelige Vertreter erneut jenseits der engen Standesgrenzen und religiösen Verortungen in den der Egalität verpflichteten Werkstätten der Freimaurerei. Das breite Reformprogramm von Maria Theresia basierte schließlich auf einem kundigen Beraterstab, der zu weiten Teilen die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen besaß.
So war ihr Leibarzt, Gerard van Swieten, treibende Kraft für die Reform des Gesundheitswesens, Tobias von Gebler und Johann Melchior von Birkenstock reformierten das Schulwesen. Joseph von Sonnenfels zeichnete sich durch die Abschaffung der Folter aus. Ignaz von Born, das Vorbild für Sarastro in der „Zauberflöte“, begründete durch die Katalogisierung von Teilen des Naturalienkabinetts das Naturhistorische Museum. Wichtigster Fürsprecher und Protektor der Freimaurerei sowie aktiver Bruder aber war Maria Theresias Schwiegersohn Albert von Sachsen-Teschen, der Gründer der größten Kupferstichsammlung Europas, der Albertina.
Die „Königliche Kunst“war im 18. Jahrhundert nicht nur Mode, sondern wichtiges Modell, um zur allgemeinen Glückseligkeit beizutragen. Humanitäres und bildungspolitisches Engagement bildeten einen Wertekanon, der auf maßvolles, ehrliches und fleißiges Leben baute und Fundamentalismus und Intoleranz ablehnte. Als eifrige Lichtträger suchten die Proponenten Weisheit durch Rationalität und Wissen zu erlangen und Schönheit nicht nur als ästhetische Kategorie, sondern als Harmonie zwischen den Gegensätzen in die Welt zu bringen. kämpfe in der Öffentlichkeit nicht unumstrittenen und wurde immer wieder verboten. Zudem war sie inhomogen. In ihren verschiedenen Zweigen existierten die alchimistische Suche nach dem Stein der Weisen und die rationale Wissenschaftsfreude ebenso wie ritterliche Spiele und Eliteansprüche nebeneinander. Widersprüchlich war auch ihr Verhältnis zu Frauen, die sie nicht in ihr Gleichheitspostulat einschlossen. So produzierten die brüderlichen Mitglieder von Anfang an nicht nur Licht, sondern auch Schatten.
Geist und Rationalität waren männlich gedacht, Emotion und Intuition zunehmend den Frauen zugeordnet. Damit wurde der Triumph des Geistes über den Körper, also über die Natur, gleichzeitig zu einem Sieg des Männlichen über das Weibliche. Auch die freimaurerische Kultoper schlechthin, „Die Zauberflöte“des begeisterten Logenbruders Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Textbuch des Freimaurers Emanuel Schikaneder, machte dies für alle sichtbar auf der Bühne deutlich. In der Initiation Paminas und Taminos standen unter anderen die Ideale der „Königlichen Kunst“Pate. Von dunklen Wäldern führte der Weg von der Finsternis zu Sarastro, dem Priester des Lichts. Dass Mann und Frau gleichwertig den Weg der Einweihung gehen durften, war das revolutionäre Element. Dass die Königin der Nacht dabei geopfert wurde, zeigt die Ambivalenz eines aufklärerischen Gleichheitsprinzips.
Die Dualität von Tag und Nacht, von Emotion und Rationalität, zerfiel in jenem Moment, als sie postuliert wurde, unter dem eigenen Anspruch. Nur in der Anerkennung der Herrschaft des männlich gedachten Lichts in der Person von Sarastro und in der Vernichtung der weiblich zugeordneten Finsternis in der Person der Königin der Nacht durfte Pamina im freimaurerischen Bund die Partnerin Taminos werden. Die Tochter musste der Entmachtung der Mutter, der Zauberin und Hüterin alter Geheimnisse, zustimmen und ihren Mord zulassen, um in das neue Glaubenssystem des Mannes aufgenommen zu werden. Was auf der Bühne als Erkenntnis- und Freiheits-Utopia inszeniert wurde, etablierte eine neue, männlich definierte Norm. Ihr wurde die Frau untergeordnet. So hört man Sarastro sagen: „Ein Mann muss eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten.“
Das System des männlich gedachten und bürgerlich ausgeformten Disziplinierungsund Leistungsprinzips opferte alles, was seiner Durchsetzung gefährlich schien. Die Leidenschaften wurden in die Regionen des Unterbewussten verlagert, Frauen aus Bünden, Orden und Zünften aus- und in die Privatheit des bürgerlichen Haushaltes eingeschlossen.
Betrachtet man das Verhältnis der Geschlechter, so wird das Dilemma der Aufklärung und ihres bis heute unerreichten Zieles eines Gleichheitsanspruches offenkundig. Das englische Konstitutionsbuch von 1723, das formalistische Grundlagenwerk der Freimaurerei, verwehrte den Frauen von Anfang an den Zutritt. Historische Begründungen legitimierten ihren Ausschluss, theologische festigten ihn, da der Sündenfall im Paradies von Eva – und somit von einer Frau – verursacht worden sei. Die Männer waren zudem davon überzeugt, dass sie wegen möglicher erotischer Ablenkungen durch die Frauen von ihrer Arbeit am Bau des „Tempels der Tugend“abgehalten würden.
Im Gegensatz zu England war es in Frankreich bereits im 18. Jahrhundert in sogenannten Adoptionslogen zumeist adeligen Damen und Herren gestattet, gemeinsam nach einem dem freimaurerischen Zeremoniell nachgeahmten Ritual im Tempel zu arbeiten und sich außerhalb seiner Mauern der Wohltätigkeit zu widmen. Als sich Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich der Druck nach einer Zulassung der Frauen verstärkte, gründete die Schriftstellerin Maria Deraismes am 14. März 1893 gemeinsam mit dem Arzt Georges Martin die gemischte „Grande Loge Symbolique Ecossaise Mixte de France“, die in den Orden „Le Droit Humain“überging. Dadurch setzten sie einen Meilen-