Die Presse

Perle der EU

Weit von Brüssel: Endlich tut sich was in Französisc­h-Guayana.

- Von Gerhard Drekonja-Kornat

Suche und finde auf den EuroSchein­en (besonders hervorgeho­ben nun auf den neuen) Guyane francaise¸ (Französisc­h-Guayana), früher die übel beleumdete Sklaven- und Gefängnisk­olonie der Franzosen (haben wir seinerzeit nicht alle „Papillon“gelesen?), heute eine Perle der Europäisch­en Union, deren „Weltraumba­hnhof“Korou für unseren untadelige­n Satelliten­empfang sorgt.

Ja, schau, links unten am äußersten Rand des Geldschein­s ein südamerika­nisches Quadrat, das inzwischen uns allen gehört und auch gleich NATO-Territoriu­m ist, vom Umfang etwas größer als Österreich, eingezwick­t von Brasilien und Surinam.

Ich halte eine sentimenta­le Erinnerung an diesen surrealen Ort, wo ich am 24. Dezember 1979 den ersten Start der europäisch­en „Ariane“-Weltraumra­kete miterlebte (und wo ich vorher sogar die „Brüste“, die Alu-Wölbungen im oberen Teil des eleganten Trägers, betasten durfte). Viele Korrespond­enten-Kollegen waren nicht da, denn erstens konnte man alles unkomplizi­ert auf Bildschirm­en im Kommandoze­ntrum der European Space Agency (ESA) in Paris miterleben; und viele zweifelten damals überhaupt am Erfolg der französisc­h-europäisch­en Weltraumin­itiative, die ursprüngli­ch in Algerie´ francaise¸ begonnen hatte und dann, mit Algeriens Unabhängig­keit, nach Südamerika verlagert wurde, zum Vorteil der ESA, weil politisch unkomplizi­ert und wegen der Nähe zum Äquator mit bedeutend stärkerer Schubkraft.

Heuer im Frühjahr: Generalstr­eik

In der Erinnerung haften mir auch die Bilder der mehrfachen Busfahrt aus der damals noch fast pariserisc­h anmutenden Hauptstadt Cayenne nach Kourou, vorbei am Camp der Fremdenleg­ionäre, dort keine drahtigen Fighterfig­uren, sondern Männer im vorgerückt­en Alter in kurzen Hosen, mit Wohlstands­bäuchen, ihre Wäsche zum Trocknen hängend.

Kourou, ganz klar, war spannend und historisch wichtig. Immerhin konnte die ESA – wir Österreich­er gehören als Mitglied dazu – das russisch-nordamerik­anische Duopol der Trägerrake­ten brechen, erfolgreic­hst bis heute. Aber mehr als Kourou, diese fast gespenstis­che Insel einer technische­n Zivilisati­on im Dschungel, interessie­rte mich der verlottern­de Zustand der Hauptstadt Cayenne, wo Frankreich­s geizige Zuwendunge­n nicht mehr als einen prekarisie­rten Lebensund Arbeitsmar­kt am Leben hielten.

Ein junger Franzose, Ian Hamel, schlug sich damals als Freelancer für „Le Monde“durch den schwierige­n und doch auch betörend schönen tropischen Alltag. Nur interessie­rten in Paris nicht wirklich die von Rassismus gegen die kreolische­n Einheimisc­hen geprägten Umstände. „Wenn man mich alle paar Wochen druckt“, seufzte Ian Hamel, als ich ihn besuchte, „muss ich schon zufrieden sein.“

Und siehe da, heuer im März und April ging den zivilgesel­lschaftlic­h organisier­ten Einheimisc­hen in Cayenne der Hut hoch, wegen skandalöse­r Vernachläs­sigung aus Paris, Arbeitslos­igkeit, Zerfall, brutaler Mordrate. Ein paar Hitzköpfe schrien sogar nach Unabhängig­keit. Ein „Kollektiv der 500 Brüder gegen die Kriminalit­ät“organisier­te erfolgreic­h einen Generalstr­eik. Segol`´ene Royal, Frankreich­s Umweltmini­sterin, die zur Schadensbe­grenzung herbeieilt­e, ergriff sehr rasch die Flucht zurück nach Paris.

Der Aufstand zeitigte Wirkung, denn wegen des blockierte­n Hafens mussten „Ariane“-Starts verschoben werden, mit einer Verlustquo­te für die ESA in Höhe von einer Million Euro pro Tag. Plötzlich berichtete­n Frankreich­s Zeitungen täglich über Guyane. Es öffneten sich Finanzschl­eusen aus der Entwicklun­gshilfe. Cayennes überfällig­e Kanalisier­ung soll endlich in Angriff genommen werden. Textbücher für die vernachläs­sigten Schulen treffen ein. Endlich bewegt sich was in Cayenne!

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