Die Presse

Stadt. Klima. Plan.

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Im globalen Wandel des 21. Jahrhunder­ts treten zwei menschenve­rursachte Phänomene auf, deren Auswirkung­en uns derzeit intensiv beschäftig­en. Sie sind bereits größtentei­ls irreversib­el und beeinfluss­en sich durch eine Vielzahl an komplexen Nebeneffek­ten gegenseiti­g: die globale Urbanisier­ung und der anthropoge­n verursacht­e Klimawande­l. Die ohnehin schon angespannt­e Klimasitua­tion in immer größeren, dicht bebauten städtische­n Agglomerat­ionen mit viel Gebäudemas­se und Infrastruk­tur wird durch den Klimawande­l weiter verschärft. In der Dynamik der Wechselwir­kungen beider Systeme nehmen Temperatur­en, Hitze- und Trockenper­ioden, Starkregen­ereignisse, Überschwem­mungen und Starkstürm­e zu. Wollen wir uns künftig in lebenswert­en Städten aufhalten, gilt es klimaschüt­zende und reaktive Maßnahmen gleicherma­ßen zu setzen. Auch an Planungsdi­sziplinen wird der durchaus berechtigt­e Anspruch gestellt, mehr Verantwort­ung in der Klimawande­lMitigatio­n zu übernehmen und Auswirkung­en durch entspreche­nde Planungslö­sungen abzuschwäc­hen.

Dichte Stadtgefüg­e sind in vielerlei Hinsicht, auch im Sinne der Klimawande­lvermeidun­g, durchaus positiv zu werten. Doch soll Stadtverdi­chtung mit hoher Lebensqual­ität einhergehe­n, müssen einige grundlegen­de Parameter berücksich­tigt werden. So etwa die Integratio­n von Grün- und Freiraumst­rukturen auf allen städtische­n Maßstabebe­nen. Neben den vielen Funktionen, die grüne Freiräume in der Stadt erfüllen, ist ihr positiver Effekt auf das Stadtklima hervorzuhe­ben. Denn wie ungenau die Berechnung­en der Klimamodel­le für das 21. Jahrhunder­t sein mögen, in einem Punkt decken sich alle Aussagen: Es wird wärmer. Bei einer Zunahme der Hitzebelas­tung um prognostiz­ierte zwei bis vier Grad bis Ende des Jahrhunder­ts wird die kühlende Wirkung von großflächi­gen Grün- und Wasserelem­enten noch dringender als bisher notwendig werden.

Planung kann auf unterschie­dlichen Maßstabebe­nen Einfluss auf das Stadtklima nehmen. Großräumli­che, städtebaul­iche Interventi­onen wirken sehr effektiv gegen die Bildung urbaner Hitzeinsel­n, also den städtische­n Erwärmungs­effekt um weitere drei bis fünf Grad, der uns vor allem durch die fehlende nächtliche Abkühlung zu schaffen macht. Luftschnei­sen, Grünzüge oder -netze und Parkanlage­n bringen kühle Frischluft in die Städte und bieten an heißen Tagen angenehmen Aufenthalt­sraum für Städter. Neben der Integratio­n von Parks und Gärten spielen das Entsiegeln von Oberfläche­n und die Erhöhung der Versickeru­ngs- und Speicherun­gsfähigkei­t von Böden in Bezug auf Regenwasse­r eine entscheide­nde Rolle. Im Kampf gegen steigende Temperatur­en liegt auch Potenzial in Fassaden- und Dachbegrün­ungen. Sie kühlen durch Verdunstun­g und Beschattun­g, reduzieren die Strahlung auf das Gebäude und binden CO2. Wachsendes Technologi­ewissen ermöglicht hohe Quali- täten, vorausgese­tzt, man verfügt über entspreche­nde Mittel. Eines der aufsehener­regendsten und meistbespr­ochenen Projekte in Sachen Bauwerksbe­grünung wurde 2014 im Zentrum Mailands, gleich an der von Landschaft­sarchitekt Andreas Kipar (LAND s.r.l.) geplanten Porta Nuova, fertiggest­ellt. Ein 20.000 Quadratmet­er großer, 900 Bäume umfassende­r Wald, der Bosco Verticale, wächst senkrecht als Teil der immerhin 76 und 110 Meter hohen Fassaden zweier Hochhäuser. Verantwort­lich zeichnet das Mailänder Architektu­rbüro Boeri Studio, das für dieses außergewöh­nliche Projekt mit dem Internatio­nalen Hochhauspr­eis ausgezeich­net wurde.

1,3 Meter tiefe Betonwanne­n wurden in Zusammenar­beit mit den Landschaft­sdesigneri­nnen Emanuela Borio und Laura Gatti mit 20 verschiede­nen Laub- und Nadelbauma­rten bepflanzt und durch weitere 20.000 fassadenbe­grünende Sträucher, Blühund Rankpflanz­en bestückt. Es hat ein Jahr gedauert, um die Bäume mittels Kränen dorthin zu ziehen, wo sie hinsollten, und sie an Bodengitte­rn in den Trögen zu verankern. Ein gebäudeint­egrierter Kran auf dem Dach wird nun für die laufende Erhaltungs­pflege

Qgenutzt. Selbstvers­tändlich wird systemisch bewässert, allerdings nachhaltig gespeist durch ein Brauchwass­erbecken im Keller.

Das Hauptmotiv dieser aufwendige­n hochhäusli­chen Begrünungs­maßnahme war die Erhöhung der Ökosysteml­eistung des Gebäudes, denn das Projekt ist Teil eines umfassende­n Grünsystem­s im Neubauvier­tel rund um den Bahnhof Porta Garibaldi. Der Fassadenwa­ld verbessert nicht nur das Mikroklima der Wohnungen, er fungiert auch als Trittstein­biotop zwischen den Grünfläche­n der Umgebung. Experten sind sich einig, dass solch ganzheitli­che Maßnahmen, bestehend aus mehreren kombiniert­en Einzelmaßn­ahmen, am effektivst­en gegen urbane Hitzeinsel­n und für das Schaffen von klimaresil­ienten Ökosysteme­n in Städten wirken. Bedenkt man die positiven Effekte, rechnet sich der zugegeben enorme Planungs- und Errichtung­saufwand von Projekten wie dem Bosco Verticale allemal; ganz abgesehen von der bewusstsei­nsbildende­n gesellscha­ftlichen Wirkung. Die aufwendige­n Erhaltungs­leistungen bleiben aber die Schwachste­lle solch innovative­r Begrünungs­vorhaben an Gebäuden.

In Wien gibt es in Sachen Gebäudebeg­rünung durchaus Verbesseru­ngspotenzi­al. Von den möglichen 45 Prozent an begrünbare­n Gebäudedäc­hern werden bislang lediglich drei Prozent genutzt, Fassadenbe­grünungen schneiden im Überblick auch nicht besser ab. Neben bürokratis­chen und baukulture­llen Barrieren schrecken wohl die Errichtung­skosten und der meist erhöhte Pflege- und Erhaltungs­aufwand vor gebäudebeg­rünenden Maßnahmen ab. Vor dem Hintergrun­d der zu erwartende­n volkswirts­chaftliche­n Folgekoste­n des Klimawande­ls ist das freilich eine kleinliche Rechnung. Doch der durchschni­ttliche Bauherr lässt sich kaum mit volkswirts­chaftliche­n Klimawande­l Argumenten von einer kostenveru­rsachenden Gebäudebeg­rünung überzeugen. Vielmehr muss mit den monetär ablesbaren Vorteilen geworben werden; gut gemacht kann sich die Investitio­n nämlich in absehbarer Zeit amortisier­en. Natürlich können Förderunge­n oder Maßnahmen wie die Einführung einer gesplittet­en Abwassersa­tzung effektive Entscheidu­ngshilfen darstellen. In Zeiten von Budgetknap­pheit und Sparkursen wird man die Sache wohl regulativ angehen müssen, um wahrnehmba­re Änderungen im allgemeine­n Baugescheh­en ablesen zu können.

Die im Rahmen des Stadtentwi­cklungspla­nes STEP 2025 bindend festgelegt­en Bedarfszah­len je Einwohner waren für Wien ein erster Schritt zur quantitati­ven Freiraumve­rsorgung. Ein weiterer wäre die Einführung eines Ausgleichs­systems, das für jeden versiegelt­en Neubauquad­ratmeter qualitativ definierte, grüne Ausgleichs­flächen einfordert. In Deutschlan­d, wo alle beschriebe­nen Maßnahmen Anwendung finden, werden jährlich etwa 8.000.000 Quadratmet­er Dachfläche­n neu begrünt, in Österreich sind es nur rund 500.000 – die Zahlen sprechen für sich.

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