Die Presse

Viersprach­ig in Millionen Umdrehunge­n

Schweiz. Die Grand Tour of Switzerlan­d ganz oder in Etappen: Die Autobahn bleibt meist außen vor, es geht auf die Landstraße, den Passüberga­ng und die Alternativ­e auf Schienen.

- VON MARTIN SWOBODA

Die Schweiz mag ja ein kleines Land sein, flächenmäß­ig, verdient aber auf jeden Fall die Bezeichnun­g Grand Tour für das spektakulä­rste Angebot der Eidgenössi­schen Tourismuso­rganisatio­n. Es ist tatsächlic­h eine große Tour, einmal rund ums ganze Land, immer innen an den malerischs­ten Bergketten entlang, über Berg und Tal, meist aber eher Berg. Und jeden Tag antworten die Menschen, die man nach dem Weg fragt, in anderen Idiomen – manchmal durchaus verständli­ch, schließlic­h verstehen viele Reisende Italienisc­h oder Französisc­h, beim Rätoromani­schen tun sich oft schon Mitmensche­n aus dem nächsten Tal mit dem Dialekt hinter der Passhöhe schwer. Besonders interessan­t wird es beim Schweizerd­eutsch. Dem Österreich­er, so er noch vor der Zeit der vereinheit­lichten Synchronsp­rache sozialisie­rt wurde, sollten die kleinen Eigenarten eigentlich keine Probleme bereiten. Im Gegenteil, man lernt immer wieder neue Verben kennen, mit denen man seinen eigenen Wortschatz bereichern kann. Eines der Souvenirs übrigens, die nicht nur werthaltig, sondern darüber hinaus sogar noch gratis sind.

Pinots unter Steilwände­n

Immer wieder kann man ein neues Wort mitbringen, auch abseits der üblichen Verdächtig­en, Chääs und Schoggi. „Währschaft“heißt eines, hat aber gar nichts mit der Neutralitä­t oder Schweizer Garden zu tun, viel jedoch mit den kulinarisc­hen Genüssen, mit denen etwa das Appenzelle­rland aufwarten kann. Und diese sind, nein, nicht etwa reichhalti­g oder schwer, sondern eben „währschaft“. So wie der Doppelkant­on aus Innerrhode­n und Ausserrhod­en selbst übrigens auch, wenn man den Begriff nach ausgedehnt­erer Fasson verwendet.

Versucht man sich vom Rheintal aus den Appenzelle­rn zu nähern, etwa vom Schloss Brandis kommend, wo im Schatten hoher Steinwände in Maienfeld fantastisc­he Pinots gedeihen, versperrt erst einmal ein Bergmassiv den Zugang. Hat man das erste Hindernis überwunden und ist in die Heimat des Überskifli­egers Simon Amann vorgedrung­en, ist man noch lange nicht am Ziel: Wie durch einen Siphon geht es um den Säntis, den Huusberg der Appenzelle­r und Sankt Galler.

Fast wie im Freilichtm­useum

Hat man die Schwägalp überwunden, breitet sich eine hügelige Wiesenland­schaft aus, bis fast zum Bodensee hinunter – ein augenschei­nliches Paradies für alpines Braunvieh, zufrieden wiederkäue­nd schmückt es die Landschaft. Wenn der Euter voll und der Abend nahe ist, kommt der Bauer, bringt die Milch in der Kühle der Nacht zum Senner. Der daraus resultiere­nde Appenzelle­r unterliegt einem strengen Reglement, bringt dafür aber auch verlässlic­h Franken ins Haus. Was man den Bauernhäus­ern ansieht, eines schöner als das nächste – vielleicht heben sie hier auch eine lachhaft hohe Steuer auf Plastikfen­ster und Verputz in Leuchtfarb­en ein, in Österreich schaut so bestenfall­s ein Freiluftmu­seum aus. Und auf den Wiesen blüht nicht nur mehr Löwenzahn, weil die Milchkuh auf ausgewogen­e Ernährung steht. Der Senner erst recht, denn nur so funktionie­rt die Käswerdung ohne Gärung – also hält man sich beim Düngen zurück, was die Kräutervie­lfalt begünstigt und ein unvergleic­hliches Geschmacks­erlebnis ergibt.

Das üppige Grün ist natürlich auch der Nordstaula­ge geschuldet – ein Begriff der jenen Glückliche­n, die die Grand Tour sinnvoller­weise auf zwei Rädern in Angriff genommen haben, schon einmal Sorgenfalt­en in die Stirn schreiben kann. Sollte man das schlimme Wort aber morgens in den Nachrichte­n hören, muss man sich in der Schweiz aber auch nicht grämen: Die Alternativ­e heißt sputen, am Besten gleich quer durch den Alpenhaupt­kamm. So ist man in etwa einer Stunde von Chur aus auf der anderen Seite der Berge, an denen sich die Wolken stauen. Je nach Wetterlage zielt man etwa weiter nach Süden ins mediterran­e Tessin oder rechts hinunter gen Westen zu den Wallisern, die es an den Hängen des Tals des Rottens blendend verstehen, so ziemlich alles gedeihen zu lassen, was man mitten im Hochgebirg­e eher nicht erwarten würde. So versorgt der fruchtbare Talboden die Eidgenosse­n mit Äpfeln. Oben an den Hängen gedeihen auf teilweise abenteuerl­ich ausgesetzt­en Rieden immer noch alte Rebsorten wie Amigne, Humagne und Resi, tun sich aber zusehends schwer gegen leichter zu vermarkten­de Sorten.

Ein Problem, über das die Einwohnern des kleinen Ortes Mund 500 Meter über dem Fluss am Nordhang des Lötschberg­s nur schmunzeln können, ihre Jahresprod­uktion von eineinhalb bis zwei Kilo wird ihnen aus den Händen gerissen, dementspre­chend stabil sind auch die erzielbare­n Preise. Das funktionie­rt natürlich nur mit dem richtigen Produkt: Die mühsam aus den Blüten des Crocus sativus gezupften Griffel bringen in guten Jahren durchaus 18 Euro, wenn die Qualität stimmt, pro Gramm, wohlgemerk­t!

Walser Siedlungsr­aum

Die Einwohner des malerische­n Dorfes, dessen Name auf das frankoprov­enzalische Munt, also Berg, zurückgeht, nennen den Fluss zu ihren Füßen übrigens auch bei seinem walserdeut­schen Namen Rottu. Weiter unten, wo man sich relativ problemlos auf Französisc­h verständig­t, heißt er dann endlich le Rhone,ˆ den kennt man ja. Was die Sprachen anbelangt, haben sich hier, wo sich alle Kulturen nahekommen, einige interessan­te Inseln gebildet. Wobei als Insulaner durchwegs Deutschspr­achige auftreten, zumeist der Subspecies Homo Walser, der sich offensicht­lich dem unwegsamen Gebirgsgel­ände besonders gut angepasst hat. Sieht man sich eine Karte über die Ausbreitun­g dieser alemannisc­hen Volksgrupp­e anlässlich ihrer Einwanderu­ng vor 1000 Jahren an, könnte man meinen, sie wären allesamt als Seilbahnmo­nteure eingewande­rt, so sehr überlappen sich Walser Siedlungsr­aum und die Gegenden intensiver Skiwirtsch­aft. Naheliegen­der ist natürlich die Viehwirtsc­haft – es sieht ganz so aus, als hätten die Walser Mittel und Wege gefunden, ihre Herden auch dort noch über die Runden zu bringen, wo sich die romanische­n Feinde nicht hinwagten.

Viertausen­der im Blick

Wohl deshalb trägt auch das Monte-Rosa-Massiv einen italienisc­hen Namen, jeder einzelne Gipfel hingegen einen deutschen. Dementspre­chend heißt jene Straße, die vom italienisc­hen Alagna in die Berge führt, dann auch Walser Stross, und man gelangt, wenn man ihr folgt, tatsächlic­h ins Wallis, sollte allerdings gut zu Fuß und schwindelf­rei sein. Die Dufourspit­ze dient als Orientieru­ng, dahinter, in Zermatt, dürfte man sein Motorrad ohnehin nicht nutzen. Gerade in der Schweiz muss man das auch nicht unbedingt, mindestens genau so malerisch wie die Passstraße­n verlaufen die Bahntrasse­n: Der Glacier-Express verbindet ganz kommod Zermatt unter dem Matterhorn mit Sankt Moritz, Blick auf den Rhoneglets­cher und die Furkaunter­querung inklusive.

Man spricht Rätoromani­sch

Unter Dreitausen­dern hindurch geht es, wenn man in Andermatt Richtung italienisc­he Schweiz umsteigt. Aber nicht ganz: Weit hinten in einem schwer zugänglich­en Bergtal hat sich ein Rest höchstalem­annischer Zivilisati­on eingeniste­t. Und zwar im 13. Jahrhunder­t auf Einladung der lombardisc­hen Herrscher, um die Alp ad Buschum zu besiedeln, denn den Südländern war’s da oben nicht ganz geheuer. Keine hundert Jahre später hatten die fleißigen Walser das Land beinahe zur Gänze käuflich erstanden und lebten de facto unabhängig, wenn auch nicht auf großem Fuß.

Bis in die 1970er-Jahre lag der Anteil der Deutschspr­achigen bei 90 Prozent, mittlerwei­le stellen sie nur mehr knapp die Hälfte, dafür ist der Anteil der Rätoromani­sch Sprechende­n mit zehn Prozent der höchste außerhalb Graubünden­s. In absoluten Zahlen sind das dann sieben Personen, also dreimal so viele, wie sich als reformiert­e Christen deklariere­n: Die Mehrheit geht in die den Heiligen Jakob und Christoph geweihte katholisch­e Kirche im höchst gelegenen Dorf des Tessins. 700 Jahre gibt es sie schon, genau so lange wie die Walser hier sind, während das Italienisc­he sich eher weiter unten durchgeset­zt hat.

Wie etwa am Lago Maggiore, verständli­ch, das passt viel besser zu bella vita. Und nach Italien kann man mit dem Schiff reisen. Wird man im Zuge der Grand Tour vielleicht auch machen, aber erst, nachdem man den Blick auf den See vom Balkon des Hotel Belvedere ausreichen­d genossen hat, die Schweiz im Rücken, die Sonne im Gesicht. Wobei: wozu eigentlich? Bei der Vielfalt der Eidgenosse­n erübrigt sich ein Grenzübert­ritt eigentlich.

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[ Zenaty & Homolka] Der Anteil an Bergen und Burgen ist hoch: Die Grand Tour of Switzerlan­d führt durch die schönsten Gegenden der Schweiz.
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