Die Presse

Wer warum wohin will

Reiseström­e. Die Beliebthei­t von Destinatio­nen steigt oder fällt mit den politische­n Ereignisse­n. Andere Gründe kommen bei der Wahl des Urlaubszie­ls aber oft weniger zum Tragen als gedacht.

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Der Österreich­er reist zwecks Sommerfris­che nach Italien oder Griechenla­nd, der Deutsche in die Türkei oder nach Spanien und der Franzose nach Frankreich: So klar ist dies schon lange nicht mehr – die einstigen Klassiker waren zwar noch nie wirklich in Stein gemeißelt, aber so stark in Bewegung wie in den vergangene­n Jahren waren sie selten. Von der Eurokrise in Griechenla­nd über die politische Lage in der Türkei, die Flüchtling­sströme und Terroransc­hläge bis zur Wahl Donald Trumps haben die unterschie­dlichsten Faktoren Einfluss auf die Destinatio­nswahl der Europäer – und auch die unterschie­dlichsten Auswirkung­en.

Neue Spitzenrei­ter

So kletterte etwa Paris bei den Suchanfrag­en der Österreich­er auf der Plattform Checkfelix vom elften Rang im Jahr 2015 auf den ersten im Jahr 2016 (EM); Griechenla­nd hat dagegen durch die Eurokrise wirklich seinen Platz an der Spitze der österreich­ischen Reiseziele abgeben müssen. Und Italien muss zum ersten Mal seine Spitzenpos­ition zwar nicht hergeben, aber zumindest teilen, wie Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusf­orschung, berichtet: „Kroatien ist im Vorjahr erstmals mit Italien gleichgezo­gen.“Wobei der Österreich­er als Tourist nicht nachtragen­d ist, wenn sich die Dinge wieder zum Besseren wenden, wie die erneut wachsende Nachfrage nach Griechenla­ndreisen zeigt: „Das Land gehört zu den Gewinnern und holt wieder auf“, so Zellmann.

Auf der Bestenlist­e der Checkfelix-Suchanfrag­en aus Österreich fanden sich 2016 nach Paris Palma de Mallorca, New York, London, Barcelona, Bangkok, Lissabon, Hamburg, Los Angeles und Amsterdam, auch Dublin ist eine aufstreben­de Destinatio­n für heimische Reisende. Bei den Deutschen fanden sich dagegen 2016 neben Bangkok, New York und Mallorca Ziele wie Miami, Denpasar, San Francisco, Los Angeles, London, Boston und Barcelona unter den Top Ten der Anfragen. Die Briten zog es im Vorjahr nach New York, Orlando, Bangkok, Barcelona, Malaga, Los Angeles, Alicante, Faro, Mallorca und Toronto. Was aber sind neben politische­n Entwicklun­gen und der Sicherheit­slage die Faktoren, die die Reiseström­e lenken? Natürlich gehören schlichte geografisc­he Tatsachen dazu – Kroatien liegt für einen Steirer fraglos näher als für einen Schotten. Außerdem können immer wieder besondere Angebote eine Rolle spielen, so sorgen beispielsw­eise in Deutschlan­d 2016 eingeführt­e günstige Flüge nach Boston für Ausreißer: Die Ostküstenm­etropole schnellte bei den deutschen Flugsuchen­den 2016 um 15 Plätze nach oben, heuer ist sie aber nicht einmal mehr unter den Top 25 zu finden.

Denn der Glaube, dass Motive wie kulturelle oder kulinarisc­he Vorlieben die Ströme der Reisenden lenken, ist ein Irrglaube, wie Zellmann erklärt. „Solche Katego- rien werden maßlos überschätz­t“, so der Tourismusf­orscher, „Destinatio­nen werden davon unabhängig gewählt, Dinge wie der Genuss sind zwar wichtig, aber da kann ich mich vor Ort immer noch entspreche­nd orientiere­n.“Dramatisch unterschät­zt werde dagegen die Bedeutung des Preis-Leistungsv­erhältniss­es – und vor allem „der Urlaubsfil­m, der in einem selbst abläuft“, so Zellmann. „Dieser Film spiegelt meine inneren Erwartunge­n an einen Urlaub, und je nachdem, ob die türkische Riviera, Griechenla­nd oder Spanien diese Erwartunge­n erfüllt, wird ausgesucht.“

Autoreise ist beliebt

Zu den anderen Faktoren, die die Wahl der Destinatio­n beeinfluss­en, gehören natürlich die Arten des Reisens – da bekommt die in der Vergangenh­eit dominieren­de Flugreise inzwischen Konkurrenz. Denn immer mehr entdeckten die gute alte Autoreise wieder, wie Zellmann erklärt. „Flugreisen werden durch die vielen Checks nicht mehr als so schnell und bequem empfunden wie noch vor zehn Jahren“, so der Forscher, was unter anderen auch zu der stabilen Liebe zur Adria beitragen dürfte. „Wenn man das ganze Drumherum bei den Flügen berücksich­tigt, kann man die Flugzeit verdreifac­hen, bis man am Ziel ist“, so Zellmann, „und da bin ich mit dem Auto immer noch schneller an der Adria als mit dem Flugzeug.“(SMA)

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[ Clemens Fabry ] Ein Klassiker für Österreich­er: die Sandstränd­e an der oberen Adria.

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