Die Presse

100 Prozent Arbeitswil­le vorausgese­tzt

Lehre. In sieben Minuten zur neuen Lehrstelle. Das ermöglicht Bernhard Ehrlich Jugendlich­en mit seiner Initiative 10.000 Chancen. Am 28. Juni steigt das nächste Job-Speeddatin­g.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Wenn Salaheddin Farho seine Geschichte von den Zuständen in seiner Heimat Syrien und der Flucht im Jahr 2015 erzählt, dann bewegt das die Zuhörer. Besonders, wenn der 26-Jährige schildert, dass er seine Frau und seine Tochter schon zwei Jahre nicht mehr gesehen hat und er sich darauf freut, wenn sie in ein paar Wochen nach Österreich nachkommen. Und wenn er dann seinem jungen Publikum erzählt, wie er in Österreich eine neue Existenz aufbaut und warum er arbeiten und eine Lehre beginnen möchte, begeistert er erst recht. „Es gibt dir eine Funktion und Stabilität. Du bist nicht mehr von anderen abhängig, kannst eine Familie er- und zusammenha­lten und hast eine Perspektiv­e.“

Farho stimmt die rund 250 Jugendlich­e im Alter von 15 bis 23 Jahren ein, die zu einem Training der Initiative 10.000 Chancen eingeladen sind. Bei diesem Termin in einem Wiener Hotel können sie ihre Lebensläuf­e checken lassen, wird die Situation des Bewerbungs­gesprächs geübt und über scheinbare Nebensächl­ichkeiten wie den Dresscode gesprochen. Schließlic­h wartet auf die Jugendlich­en am 28. Juni eine große Herausford­erung – und eine ebenso große Chance: Beim zweiten JobSpeedda­ting-Tag haben die 250 Jugendlich­en die Möglichkei­t, 15 Bewerbungs­gespräche an nur einem Tag zu führen. Sieben Minuten haben sie pro Unternehme­n Zeit, sich den potenziell­en Arbeitgebe­rn als Persönlich­keiten zu präsentier­en.

Also gilt es, keine Zeit mit Papierkram, Lebensläuf­en und Zeugnissen zu verlieren – das will eben trainiert und die Unterlagen sollen entspreche­nd einheitlic­h vorbereite­t sein. Umgekehrt wissen auch die Unternehme­n, dass sie sich gleichsam bei den Jugendlich­en bewerben müssen – unter anderem mit Zusatzange­boten wie Diensthand­y oder Führersche­in.

Beim ersten Speeddatin­g Anfang Mai, erzählt Initiator Bernhard Ehrlich, hätten die Unternehme­n 300 Jobs vergeben. Viele der Kandidaten waren vom Tisch weg engagiert worden. Wobei an genau diesen Tischen zum Teil sogar die Personalch­efs der (großen) Unternehme­n gesessen waren.

Vor eineinhalb Jahren hatte Ehrlich die Idee geboren. Er wollte angesichts der Flüchtling­swelle Startjobs schaffen und verhindern, dass die jungen Menschen ein Fall für die Mindestsic­herung werden. Damals, sagt der Medienprof­i, der zuletzt Geschäftsf­ührer der Medianet-Agentur war, habe er nicht gewusst, wo die Reise hingehe, „aber ich wusste, ich mache es“. Und er wusste auch, dass etwa in Hotellerie, Gastronomi­e und im Handel Lehrstelle­n oft nicht besetzt wer- den können. Er nutzte seine Kontakte und begeistert­e große Unternehme­n, Schulen und Schulbehör­den und auch die Politik.

„Wer nicht will, steht auf“

Dabei machte er von Anfang an mehrere Punkte klar: Bei seiner Initiative sollen nur „saubere“Jobs vergeben werden, also solche, die mindestens auf Kollektivv­ertragsniv­eau bezahlt werden. Umgekehrt verlangt er von den Jugendlich­en – gleich ob mit oder ohne Migrations­hintergrun­d –, dass sie die neunte Schulstufe erreicht haben, Deutsch mindestens auf B1-Niveau sprechen und: „100 Prozent Arbeitswil­len zeigen“. Bei den Trainings, die für die Teilnehmer verpflicht­end sind, sage er das auch immer ganz deutlich: „Wer nicht will, steht auf.“Doch wer sich diesem Prozess unterziehe, der zeige ohnehin, wie willens er sei, ist Ehrlich überzeugt.

Willens ist auch Salaheddin Farho. Noch arbeitet er geringfügi­g bei einem Steuerbera­ter und hofft, am 28. Juni eine Lehrstelle zu bekommen, die einen rechtliche­n Einschlag hat. Schließlic­h hatte er in Damaskus Jus studiert. Zwei Semester fehlten ihm zum Abschluss, ehe er die Flucht ergriff. Die Lehrzeit möchte er nutzen, seine bereits guten Deutschken­ntnisse noch deutlich zu verbessern, um danach in Österreich sein Jus-Studium zu beenden. Und endlich Nietzsche auch auf Deutsch lesen zu können – auf Arabisch hat er das schon vor einigen Jahren.

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[ Stanislav Jenis ] Salaheddin Farho mit Bernhard Ehrlich (li), dem 10.000-Chancen-Initiator.

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