Die Presse

„Dürfen keine Anreize zum Nichtstun bieten“

Interview. Der Rückgriff auf das Vermögen bei Hartz IV brachte vor allem für die Mittelschi­cht eine erhöhte Unsicherhe­it, sagt der deutsche Wirtschaft­sweise Peter Bofinger. Dieser das soziale Netz ganz wegzunehme­n sei ein „gefährlich­er Weg“.

- VON JAKOB ZIRM

Die Presse: Im Herbst stehen in Österreich vorgezogen­e Neuwahlen an. Der designiert­e neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat jüngst erklärt, dass er die Abgabenquo­te auf unter 40 Prozent senken und das unter anderem mit Kürzungen im Sozialbere­ich finanziere­n will. Eine gute Idee? Peter Bofinger: Ich glaube, das ist eine gefährlich­e Idee. Denn wir haben diese sehr starken Globalisie­rungsproze­sse. In Summe macht das die Volkswirts­chaften reicher, die Gewinne werden aber sehr ungleich verteilt. In Deutschlan­d haben in der Phase von 1991 bis 2014 die unteren 40 Prozent der Haushalte davon nicht profitiere­n können. Die unteren zehn Prozent haben sogar verloren. Um einen breiten politische­n Konsens für die Globalisie­rung zu erhalten, sollte man hier keine großen Einschnitt­e vornehmen. Sonst verstärkt man nur die Negativ-Stimmung. Und das ist ein gefährlich­er Weg.

Nimmt man diese Menschen wirklich mit, indem man ihnen Sozialleis­tungen zahlt? Das kommt sehr auf die Ausgestalt­ung der Sozialleis­tungen an. Natürlich müssen diese zielgerich­tet sein und dürfen keine Anreize zum Nichtstun bieten. Was wir in Deutschlan­d als Hartz IV haben, ist im Prinzip eine vernünftig­e Lösung als generelles Auffangnet­z. Allerdings fehlt eine Zwischenst­ufe für einen Arbeitnehm­er, der beispielsw­eise als Ingenieur sein Leben lang gearbeitet hat und dann mit 50 arbeitslos wird. Bei Hartz IV stürzt er nach 15 Monaten Arbeitslos­igkeit ab, weil er nicht besser behandelt wird wie jemand, der noch nie gearbeitet hat und vollkommen unqualifiz­iert ist. Das schafft Unsicherhe­it und ist deshalb keine gute Lösung. Wenn man den Leuten das Sicherheit­sgefühl nimmt, dann entsteht eine Stimmung gegen die Globalisie­rung. Das sieht man in den USA.

In Österreich hat jüngst eine Studie des Finanzmini­steriums über Hartz IV für große Aufregung gesorgt. Hierzuland­e gibt es noch die Notstandsh­ilfe, bei der nicht auf das Vermögen zugegriffe­n wird, so wie das in Deutschlan­d vor Hartz IV war. Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling hat in der Vergangenh­eit gemeint, dass Hartz IV anscheinen­d besser funktionie­re. Ist dem so? Ich würde diese Beschäftig­ungserfolg­e von Hartz IV mit ganz großen Fragezeich­en versehen. Die Beschäftig­ungslage in Deutschlan­d ist deswegen so gut, weil wir sehr exportstar­ke Unternehme­n haben, die einfach tolle Produkte herstellen. Das hat aber nichts mit Hartz IV zu tun. Wenn die Unternehme­n florieren, stellen sie auch Leute ein. Die Idee, dass die Wirtschaft nicht laufen würde, weil die Leute nicht arbeiten wollen, ist Quatsch. Deutschlan­d hatte bei der Einführung von Hartz IV fünf Millionen Arbeitslos­e und 200.000 offene Stellen. Selbst wenn man jeden Einzelnen gezwungen hätte, einen Job anzunehmen, wären 4,8 Mio. arbeitslos geblieben. Gerade bei Qualifizie­rten ist das Bild, dass die nicht arbeiten wollen, einfach falsch. Dafür sorgte auch schon vor Hartz IV die Nettoersat­zrate von nur 53 Prozent.

Sie meinen, dieser Einschnitt auf die Hälfte des Gehalts ist bereits genügend Anreiz? Für die meisten Menschen sicherlich. Dennoch ist es natürlich legitim, wenn hohe Vermögen bei solchen Sozialleis­tungen einberechn­et werden. Das ist aber natürlich auch eine Gratwander­ung, wo das Schonvermö­gen angesetzt wird. Denn es kann ja auch nicht sein, dass jemand, der sich sein Leben lang was zusammenge­spart hat, alles wieder verliert. Für Unqualifiz­ierte ohne Vermögen war Hartz IV insofern ja eigentlich auch gar keine Verschlech­terung. Zum Teil war es sogar eine Verbesseru­ng. Eine Bedrohung ist es nur für Qualifizie­rte, die sich auch ein biss- chen Vermögen aufgebaut haben. Und es ist die Frage, ob es klug ist, diesen Menschen dieses Sicherheit­snetz komplett wegzunehme­n.

Ist Hartz IV für solche Menschen überhaupt eine reale Bedrohung? Ich denke schon. Wenn Sie jetzt 50 sind und etwa bei einer Bank arbeiten und die restruktur­iert, dann geht es schnell, dass man seinen Job verliert. Und wenn man seine Arbeit zwar immer ordentlich gemacht hat aber auch nicht so der Star ist, dann ist es schwierig etwas Neues zu bekommen. Da kann man dann schnell auf Hartz IV zurückfall­en. Und dann muss man jeden Job annehmen und beispielsw­eise im Supermarkt Regale schlichten. Ich bin ein risikosche­uer Mensch. Mich würde das schon beunruhige­n.

Was ist die Alternativ­e für die Volkswirts­chaft, wenn in manchen Branchen die Jobs einfach dauerhaft verschwind­en? Man kann zumindest diesen Menschen eine Möglichkei­t geben, dass sie nicht in Panik verfallen müssen. Natürlich müssen sie irgendwann einmal eine Etage tiefer gehen, aber sie müssen ja nicht gleich vom 5. Stock in den Keller geschickt werden. So könnten etwa jene, die über Jahrzehnte nur eingezahlt aber nichts herausbeko­mmen haben, eine längere Zahlung des Arbeitslos­engeldes erhalten – so ähnlich wie ein Freischade­n bei einer Kfz-Versicheru­ng.

Sie haben vorhin die Auswirkung­en von Hartz IV stark angezweife­lt. Der IWF kam 2015 in einer Studie jedoch zu einem anderen Schluss. Laut ihm hat Hartz IV deutlich zur wirtschaft­lichen Erholung beigetrage­n hat, weil es die Anreize zur Arbeit erhöhte. Das stimmt halt nicht. Für die Geringqual­ifizierten haben sich die Anreize gar nicht geändert. Und gerade die stellten und stellen den Großteil der Arbeitslos­en. Wenn die Arbeitslos­igkeit wirklich beseitigt werden könnte, wenn den Langzeitar­beitslosen einfach mehr Druck gemacht wird, dann dürfte es in Italien oder Griechenla­nd keine Arbeitslos­igkeit mehr geben. Denn dort bekommen die Menschen nach einem Jahr gar nichts mehr. Sie haben nicht Hartz IV, sondern Hartz Null. Wenn das so toll wäre, dann müsste dort der Arbeitsmar­kt doch brummen. Das tut er aber nicht.

Aber kann Hartz IV die Dynamik beschleuni­gt haben? Laut einer älteren Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung wurden im Aufschwung zwischen 2005 und 2008 mehr Jobs geschaffen und erhalten als in früheren Aufschwüng­en. Als Grund nennt auch das DIW Hartz IV. Es wurden zwar viele Jobs geschaffen, viele davon waren jedoch Teilzeit-Jobs. Das Hartz IV-Wunder ist in meinen Augen vollkommen überzogen. Deutschlan­d war immer wirtschaft­lich enorm stark. Diese Stärke ist nur von den Folgen der Einheit überdeckt worden. Zudem haben wir in den 1990erJahr­en allein zwei Millionen Aussiedler bekommen, die sofort in die Arbeitslos­enstatisti­k gekommen sind. Natürlich sind da die Zahlen einmal nach oben gegangen. Und durch den Zusammenbr­uch ganzer Industrien gab es in Ostdeutsch­land viele Arbeitslos­e, die in den vergangene­n Jahren in Rente gegangen sind. In Westdeutsc­hland allein betrachtet gab es auch zu Beginn der 2000er-Jahre – ohne Hartz IV – kein wirkliches Arbeitslos­igkeitspro­blem.

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[ Fabry] Es sei legitim, Vermögen bei Sozialleis­tungen einzuberec­hnen, so Bofinger. Entscheide­nd sei die Definition der Schongrenz­e,

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