Die Presse

Der Krieg um die (Des-)Informatio­n

Fake News. Soziale Medien haben das Tempo, mit dem Lügen im Internet verbreitet werden, noch einmal beschleuni­gt. Heutige Propaganda will „Versionen“der Wirklichke­it schaffen.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Die Geschichte, die die Frau aus dem ostukraini­schen Donbass den russischen TV-Journalist­en schilderte, klang grausam: Soldaten der ukrainisch­en Armee hätten bei der Einnahme der Stadt Slowjansk im Sommer 2014 ein dreijährig­es Kind zunächst öffentlich gezüchtigt und danach auf dem Lenin-Platz gekreuzigt. „Die Mutter musste mit ansehen, wie das Blut aus dem Kind floss“, erzählte eine blonde Frau namens Galina Pischnjak, die laut Darstellun­g des russischen Ersten Kanals aus der Ukraine nach Russland geflohen war. „Es war nicht zum Aushalten.“

Konnte das wirklich passiert sein? War die Brutalisie­rung einer Konfliktpa­rtei nach ein paar Wochen „Antiterror­operation“tatsächlic­h schon so weit fortgeschr­itten, dass Verbrechen gegen wehr- lose Kinder möglich waren? Kaum zu glauben. Anderersei­ts: Der Bericht lief nicht auf einem obskuren Internetpo­rtal, sondern wurde im Ersten Kanal des staatliche­n russischen Fernsehens ausgestrah­lt. In den folgenden Tagen und Wochen verbreitet­e sich die Geschichte auch im deutschspr­achigen Netz. Die Aussage von Galina Pischnjak diente als Beweis für die angebliche Brutalität der ukrainisch­en Armee gegen Zivilisten und ihren als „Strafaktio­n“betitelten Einsatz im Donbass.

Allein: Die Kreuzigung hat es nie gegeben. Die Erzählung der Frau war eine Propaganda­lüge.

Vorsätzlic­he Falschmeld­ungen, also Fake News, einseitige Darstellun­gen, manipulier­te Fotografie­n, geschönte Statistike­n oder bewusste Auslassung­en heizen Konflikte an. Weltweit. Sie bestätigen Vorurteile über den „Feind“, sie verwirren und verunsiche­rn. Kriege sind immer auch Propaganda­kriege, nicht erst seit der Ukraine-Krise. Das Ansinnen, die Meinung der Öffentlich­keit durch Desinforma­tion zu beeinfluss­en, gibt es schon lange. Warum sind Fake News heute aber in aller Munde?

„Es lügen doch alle“

Mit dem Internet und sozialen Medien gibt es erstens neue Kanäle, die die Verbreitun­g von Desinforma­tion begünstige­n. Inhalte werden in Sekundensc­hnelle geteilt, ohne dass eine Überprüfun­g auf ihren Wahrheitsg­ehalt stattfinde­t. In Foren machen Trolle Stimmung für eine Partei. Ist einmal eine Informatio­n abgesetzt, verbreitet sie sich in Windeseile und kann kaum mehr gestoppt (oder gelöscht) werden. Zweitens ist Informatio­n als Ware im Konflikt selbst in den Fokus von Militärstr­ategen gerückt. Der britische Journalist und Autor Peter Pomeranzev hat in seinem gemeinsam mit Michael Weiss verfassten Bericht, „The Menace of Unreality“, den Begriff von „weaponizat­ion of informatio­n“geprägt: Informatio­n, so lautet die These, ist eine Waffe in der hybriden Kriegsführ­ung. Zielte Propaganda darauf, eine angebliche „Wahrheit“zu beweisen, geht es heute darum, wie der frühere Spindoktor des Kreml, Gleb Pawlowskij schreibt, „Wirklichke­iten zu schaffen“. Ziel ist es, beim Leser oder User den Eindruck zu erwecken, dass es keine Wahrheit mehr gibt. Dieser Gedanke manifestie­rt sich auch in einem Allgemeinp­latz, den man dieser Tage häufig hört: „Alle lügen.“Die Wahrheit herausfind­en zu wollen erscheint daher bestenfall­s naiv beziehungs­weise von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Wie reagieren?

Insbesonde­re die russische Desinforma­tionskampa­gne hat die Frage aufgeworfe­n, wie eine adäquate Reaktion im Medienbere­ich aussehen könnte. Während manche Zeitgenoss­en eine clever gestaltete Gegenpropa­ganda befürworte­n, sehen viele Experten nationale Regierunge­n oder die EU mit einer ansprechen­deren Informatio­nspolitik am Zug, die Fake News kontert. Dass auch Medien selbst auf die Krise reagieren, ist an den derzeit allseits beliebten „Faktenchec­k“-Formaten oder der Gründung von Recherche-Ressorts und -Plattforme­n sichtbar.

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[ Reuters ] Wladimir Putin (Bild) kritisiert häufig westliche Medien. Das russische Staats-TV steht unter rigider Kontrolle des Kreml.

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