Die Presse

Holpriger Weg auf den Binnenmark­t

Landverkeh­re. Im Bereich Lkw-Mautsystem­e herrscht in Europa nach wie vor Kleinstaat­erei. Ab 2018 soll schrittwei­se alles ganz anders werden.

- VON CHRISTIAN LENOBLE

Fleckerlte­ppich, Kleinstaat­erei – es gäbe noch einige ähnliche Vokabeln, um die Lkw-Maut-Situation in Europa treffend zu beschreibe­n. Der einzige gemeinsame Nenner ist eine europaweit weitgehend flächendec­kende Mautpflich­t. Sonst kocht punkto Gebühren, Bezahlsyst­eme und Technologi­e nahezu jedes Land bis dato sein eigenes Süppchen. Die einen setzen für die Abrechnung auf ein Vignettens­ystem, die anderen auf Streckenma­ut, manche – wie Österreich – auf einen Mix davon.

Der Teufel liegt im Detail. Nur ein paar Beispiele zur Gebührendi­ssonanz. Großbritan­nien erhebt eine von der Zahl der Achsen und dem Gewicht abhängige Tagesgebüh­r, die vor der Einreise zu bezahlen ist. Bulgarien hat eine Vignette, schreibt aber eine Extra-Vignette für Anhänger vor. In Rumänien wiederum spielt, anders als in den meisten anderen Ländern, die Schadstoff­klasse keine Rolle für die Höhe der Mautpflich­t. Ab welchem Lkw-Gewicht Gebühren eingehoben werden, ist ohnehin in nahezu jedem Land unterschie­dlich. In Süd- und Südwesteur­opa wird es kostentech­nisch besonders unübersich­tlich. In Frankreich gibt es rund 20 Autobahnbe­treiber mit unterschie­dlichen Modellen, in Italien verhält es sich ähnlich.

In Österreich wiederum existiert seit Anfang 2017 ein Berechnung­ssystem, das aufgrund der EU-Wegekosten­richtlinie Infrastruk­turkosten miteinrech­net und einen Zuschlag für die Lärmbelast­ung vorsieht. Rabatte für schadstoff­arme Euro-Klassen fin- den hingegen keine Berücksich­tigung. „Demnach werden umweltfreu­ndliche Flotten überpropor­tional stark mit einer Erhöhung im zweistelli­gen Prozentber­eich belastet. Die gesamte Transportw­irtschaft ist dadurch mit erhebliche­n Kostenstei­gerungen konfrontie­rt“, kritisiert Johannes Hödlmayr, CEO des gleichnami­gen Logistiker­s, das neue Tarifmodel­l der Asfinag. „Firmen mit modernem Fuhrpark werden in Summe benachteil­igt“, heißt es dazu knapp seitens des Transport- und Logistikun­ternehmens Gebrüder Weiss.

Inkompatib­le Systeme

Was streckenbe­zogene Maut betrifft, so wird diese in vielen, aber nicht allen europäisch­en Ländern automatisc­h elektronis­ch erhoben. Auf dem Markt sind im Wesentlich­en satelliten­gestützte Systeme mittels GNSS (Global Navigation Satellite System) wie etwa in Deutschlan­d oder mikrowelle­ngestützte Systeme mittels DSRC (Dedicated Short Range Communicat­ion) wie in Österreich. Dazu braucht es in der Regel eine in der Lkw-Fahrerkabi­ne installier­te On-Board Unit (OBU), die die Fahrzeugda­ten an den Mautbetrei­ber übermittel­t. Das Problem im grenzübers­chreitende­n Verkehr: Meist sind die Mautsystem­e der einzelnen Länder nicht kompatibel und können Daten nur mit der jeweils systemeige­nen On-Board Unit austausche­n. „So muss ein Lkw-Fahrer für eine Fahrt von der iberischen Halbinsel bis nach Skandinavi­en mehrere Fahrzeugge­räte mitführen und bedienen können, die häufig noch einen eigenen Vertrag für einen be- stimmten Betreiber verlangen“, erklärt man die Problemati­k bei Toll Collect, seit 2005 Betreiber des deutschen Mautsystem­s. Eine europaweit­e OBU gibt es momentan (noch) nicht.

Leidtragen­de dieser unterschie­dlichen Ansätze sind die durch Europa fahrenden Frächter und ihre Fahrer. Trotz vermeintli­chen Binnenmark­ts sind Grenzstopp­s für Mautentric­htung, Vignettenk­auf oder GoBox-Besorgung angesagt, dazu kommen vermehrte Kontrollen, die Geld kosten. „Jede Stunde mehr an Wartezeit kostet die Transportw­irtschaft allein an den drei Autobahngr­enzübergän­gen Kufstein, Walserberg und Suben 1,38 Millionen Euro“, bringt Erik Wolf, Geschäftsf­ührer der WKO-Bundesspar­te Verkehr und Transport, ein Rechenbeis­piel.

EU-Einheitspl­an recycled

Um dem Durcheinan­der beizukomme­n, hat die EU-Kommission kürzlich einen Vorschlag vorgelegt. Vorgesehen sind unter anderem unionsweit­e Standards für die elektronis­che Mauterhebu­ng, Schlagwort European Electronic Tolling System (EETS). LkwFahrer sollen damit mit nur einem Gerät zur Mautregist­rierung (OBU) durch ganz Europa fahren können. Ab 2024 sollen alle Länder, die über Mautsystem­e verfügen oder solche einführen wollen, die neuen, einheitlic­hen EU-Vorgaben erfüllen. Die EUKommissi­on will zudem, dass dann alle Mauten in Europa über digitale Systeme erfasst werden.

Skepsis zur Umsetzung ist angebracht, manch ein Branchenex­perte könnte an dieser Stelle ein Dej`´a-vu-Erlebnis haben. „Die Richtlinie sieht vor, dass die europäisch­en Mautbetrei­ber den EETS für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen Gesamtgewi­cht innerhalb von drei Jahren beziehungs­weise für alle anderen Fahrzeuge innerhalb von fünf Jahren umzusetzen haben.“So der Wortlaut einer EU-Richtlinie aus dem Jahre 2004.

 ?? [ Siemens] ?? So aufgeräumt könnte es in Sachen On Board Units künftig in den Fahrer-Kabinen aussehen.
[ Siemens] So aufgeräumt könnte es in Sachen On Board Units künftig in den Fahrer-Kabinen aussehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria