Die Presse

Ein Präsident im Strudel des Korruption­sskandals

Brasilien. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist ein amtierende­r Staatschef wegen Korruption angeklagt worden. Weitere Anklagen könnten folgen. Ob es zu einem Prozess gegen Temer kommt, entscheide­t der Kongress.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Bras´ılia. In weniger als 14 Monaten an der Staatsspit­ze hat Michel Temer erreicht, was noch keiner seiner Vorgänger bewerkstel­ligt hat: Er wurde am Montag offiziell der Korruption im Amt angeklagt. In seinem Schriftsat­z an das oberste Tribunal der Nation erklärte der Generalsta­atsanwalt Rodrigo Janot, dass Temer, „in seiner Amtskraft als Regierungs­chef und nationaler Führer, für sich und über einen Mittelsman­n einen unberechti­gten Vorteil von 500.000 Reais annahm.“Die Summe, umgerechne­t etwa 140.000 Euro, stammte von Joesley Batista, dem Chef des weltgrößte­n Fleischkon­zerns JBS.

Gegen Temer ermittelte die Justiz, seit am 17. Mai der Mitschnitt eines fragwürdig­en Dialogs zwischen dem Präsidente­n und dem Fleischbar­on in die Öffentlich­keit gelangte. Das Stelldiche­in fand am späten Abend des 7. März im Keller von Temers Residenz statt. Batista schilderte dem Präsidente­n seine Mühen, der Justiz zu entkommen und erwähnte unter anderem, dass er Temers verhaftete­m Parteifreu­nd Eduardo Cunha ein hohes Schweigege­ld zahle, was Temer deutlich begrüßte. In einem anderen Gesprächsa­bschnitt erklärt der Unternehme­r, zwei Richter und einen Staatsanwa­lt bestochen zu haben, was Temer mit „optimal, optimal“begrüßte.

Es war wohl vor allem diese Reaktion, die das Oberste Gericht bewog, die Klage gegen den Staatschef anzunehmen. Nachdem die technische Überprüfun­g der Audiodatei keine Anzeichen für Manipulati­onen ergeben hat, wird damit gerechnet, dass der Generalsta­atsanwalt in den kommenden Tagen weitere Klagen gegen Temer formuliere­n wird. Wahrschein­lich wird dem Präsidente­n die Behinderun­g der Justiz und die Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g vorgeworfe­n.

Eine solche Zwiebeltak­tik wäre für Temer unangenehm, denn die Präsidenti­n des obersten Gerichtsho­fs muss jede der Anklagen einzeln an den Kongress weiterleit­en, der über ein Verfahren entscheide­t. Stimmen zwei Drittel der Abgeordnet­en dafür, würde Temer für 180 Tage abgesetzt. In den Abstimmung­en müssen die Abgeordnet­en ihr Votum öffentlich erklären. Nun dürften viele, die vor einem Jahr noch im Namen der Demokratie, der Familie und sogar der Religion den Rückzug der Präsidente­n Dilma Rousseff gefordert hatten, Temers Verbleib im Amt verlangen.

Im Regierungs­palast Planalto ist man sicher, eine Zwei-DrittelMeh­rheit gegen Temer, dessen Beliebthei­tswerte auf sieben Prozent gesunken sind, zu verhindern.

Die größte Gefahr für Temer droht von seinem bisher engsten Alliierten. Die Sozialdemo­kraten sind uneins, ob eine weitere Unterstütz­ung Temers mit Blick in die Zukunft nicht kontraprod­uktiv sei. Vor allem die Jungen in der Partei, deren bisheriger Chef Aecio´ Neves ebenso der Korruption angeklagt wurde, verlangen einen schnellen Schlussstr­ich.

Appell des Ex-Präsidente­n

Am Montag war es Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, der Temers Rücktritt forderte: „Ich appelliere an den Präsidente­n, über die Möglichkei­t einer großzügige­n Geste nachzudenk­en. Das wäre eine Ermunterun­g für die Gesellscha­ft, eine Reform der Politik einzuleite­n und Neuwahlen anzustrebe­n.“Sollten die Abgeordnet­en Temer absetzen, würde Kongresspr­äsident Rodrigo Maia für maximal 180 Tage die Amtsgeschä­fte übernehmen, während das oberste Gericht über den Präsidente­n verhandelt. Sollte Temer schuldig gesprochen werden, muss das Parlament einen Übergangsp­räsidenten wählen, der bis zum Ende der Legislatur­periode zu Silvester 2018 regiert.

 ?? [ Reuters ] ?? Angeklagt: Brasiliens Präsident Temer.
[ Reuters ] Angeklagt: Brasiliens Präsident Temer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria