Ein Präsident im Strudel des Korruptionsskandals
Brasilien. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist ein amtierender Staatschef wegen Korruption angeklagt worden. Weitere Anklagen könnten folgen. Ob es zu einem Prozess gegen Temer kommt, entscheidet der Kongress.
Buenos Aires/Bras´ılia. In weniger als 14 Monaten an der Staatsspitze hat Michel Temer erreicht, was noch keiner seiner Vorgänger bewerkstelligt hat: Er wurde am Montag offiziell der Korruption im Amt angeklagt. In seinem Schriftsatz an das oberste Tribunal der Nation erklärte der Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot, dass Temer, „in seiner Amtskraft als Regierungschef und nationaler Führer, für sich und über einen Mittelsmann einen unberechtigten Vorteil von 500.000 Reais annahm.“Die Summe, umgerechnet etwa 140.000 Euro, stammte von Joesley Batista, dem Chef des weltgrößten Fleischkonzerns JBS.
Gegen Temer ermittelte die Justiz, seit am 17. Mai der Mitschnitt eines fragwürdigen Dialogs zwischen dem Präsidenten und dem Fleischbaron in die Öffentlichkeit gelangte. Das Stelldichein fand am späten Abend des 7. März im Keller von Temers Residenz statt. Batista schilderte dem Präsidenten seine Mühen, der Justiz zu entkommen und erwähnte unter anderem, dass er Temers verhaftetem Parteifreund Eduardo Cunha ein hohes Schweigegeld zahle, was Temer deutlich begrüßte. In einem anderen Gesprächsabschnitt erklärt der Unternehmer, zwei Richter und einen Staatsanwalt bestochen zu haben, was Temer mit „optimal, optimal“begrüßte.
Es war wohl vor allem diese Reaktion, die das Oberste Gericht bewog, die Klage gegen den Staatschef anzunehmen. Nachdem die technische Überprüfung der Audiodatei keine Anzeichen für Manipulationen ergeben hat, wird damit gerechnet, dass der Generalstaatsanwalt in den kommenden Tagen weitere Klagen gegen Temer formulieren wird. Wahrscheinlich wird dem Präsidenten die Behinderung der Justiz und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Eine solche Zwiebeltaktik wäre für Temer unangenehm, denn die Präsidentin des obersten Gerichtshofs muss jede der Anklagen einzeln an den Kongress weiterleiten, der über ein Verfahren entscheidet. Stimmen zwei Drittel der Abgeordneten dafür, würde Temer für 180 Tage abgesetzt. In den Abstimmungen müssen die Abgeordneten ihr Votum öffentlich erklären. Nun dürften viele, die vor einem Jahr noch im Namen der Demokratie, der Familie und sogar der Religion den Rückzug der Präsidenten Dilma Rousseff gefordert hatten, Temers Verbleib im Amt verlangen.
Im Regierungspalast Planalto ist man sicher, eine Zwei-DrittelMehrheit gegen Temer, dessen Beliebtheitswerte auf sieben Prozent gesunken sind, zu verhindern.
Die größte Gefahr für Temer droht von seinem bisher engsten Alliierten. Die Sozialdemokraten sind uneins, ob eine weitere Unterstützung Temers mit Blick in die Zukunft nicht kontraproduktiv sei. Vor allem die Jungen in der Partei, deren bisheriger Chef Aecio´ Neves ebenso der Korruption angeklagt wurde, verlangen einen schnellen Schlussstrich.
Appell des Ex-Präsidenten
Am Montag war es Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso, der Temers Rücktritt forderte: „Ich appelliere an den Präsidenten, über die Möglichkeit einer großzügigen Geste nachzudenken. Das wäre eine Ermunterung für die Gesellschaft, eine Reform der Politik einzuleiten und Neuwahlen anzustreben.“Sollten die Abgeordneten Temer absetzen, würde Kongresspräsident Rodrigo Maia für maximal 180 Tage die Amtsgeschäfte übernehmen, während das oberste Gericht über den Präsidenten verhandelt. Sollte Temer schuldig gesprochen werden, muss das Parlament einen Übergangspräsidenten wählen, der bis zum Ende der Legislaturperiode zu Silvester 2018 regiert.