Ohrfeigen im Griensteidl und ein zudringlicher Stefan George
Kaffeehauskultur. Ab Freitag gibt es in Wien kein Cafe´ Griensteidl mehr. Das neue hatte vom alten ohnehin nur den Namen. Der freilich ist legendär – verbunden mit einschneidenden Dichterbegegnungen, etwa von Schnitzler und Hofmannsthal. Und literarischen
Meyers Konversationslexikon gehörte zu den Dingen, mit denen das vor 17 Jahren er- und diesen Donnerstag zum letzten Mal geöffnete neue Cafe´ Griensteidl an das alte erinnerte: an Zeiten, in denen Kellner den Herren Schnitzler, Bahr, Salten und wie sie alle hießen, den jeweils gefragten Lexikonband an den Tisch brachte; ein Nachschlagewerk als Schiedsrichter in intellektuellen Fehden.
Nun sperrt das neue „Griensteidl“also zu. Auch wenn der Name auf dem vom Unternehmen Do & Co geführten Cafe´ am Michaelerplatz immer ein wenig Touristenfalle und Etikettenschwindel war (das Haus samt originalem Cafe´ wurde 1897 abgerissen) – es erinnerte Besucher an einen der wichtigsten Orte der österreichischen Fin-de-Si`ecle-Literatur. In den Jahren vor seiner Schließung war das Griensteidl gemeinsames Wohnzimmer von Autoren wie Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann, Hermann Bahr, Felix Salten oder Hugo von Hofmannsthal (den Schnitzler hier kennenlernte); von jenen Autoren also, die man ab 1890 „Jung Wien“zu nennen begann. Stefan Zweig nannte das Griensteidl rückblickend das „Hauptquartier der jungen Literatur“(er selbst besuchte lieber das Cafe´ Beethoven), andere nannten es „Cafe´ Größenwahn“.
Auch Egon Friedell, Alfred Kerr oder der junge Rudolf Steiner waren eine Zeitlang Stammgäste. Letzterer hatte als Student an der Technischen Hochschule sogar eine Zeitlang das Griensteidl als Postadresse (wie Peter Altenberg das Cafe´ Central); allerdings prägten andere Wiener Zirkel Steiner viel mehr als das dortige Literaten-Milieu.
Noch-Gymnasiast Hugo Hofmannsthal traf hier nicht nur auf die „Jung Wien“-Autoren, sondern auch auf den intensiv und nicht unerotisch um ihn werbenden Dichter Stefan George. Es war der Beginn einer schwierigen Beziehung, samt Duelldrohung und Eingreifen von Hofmannsthals Vater; George verließ schließlich Wien. Die Vorbehalte des priesterlich-autoritären Dichters gegen den Griensteidl-Kreis sagen viel über dessen freundschaftlich lockere Struktur aus: George missfiel dessen „Beliebigkeit“.
Peter Altenberg bevorzugte bald das Central, auch Karl Kraus, später schärfster Kritiker von „Jung Wien“, war nur anfangs dabei. Kraus war allerdings beim „Leichenschmaus“zur Griensteidl-Schließung anwesend, wo er von Felix Salten eine Ohrfeige bekam (Schnitzler: „Gestern abends hat Salten im Kaffeehaus noch den kleinen Kraus geohrfeigt, was allseits freudig begrüßt wurde“). Grund dafür war Kraus’ Aufsatz „Die demolirte Literatur“über die Schließung. „In Eile werden alle Literaturgeräthe zusammengerafft“, heißt es da, „Mangel an Talent, verfrühte Abgeklärtheit, Posen, Grössenwahn, Vorstadtmädel, Cravatte, Manierirtheit, falsche Dative, Monocle und heimliche Nerven.“Schnitzlers frühe Erzählung „Später Ruhm“ist voller Anspielungen auf die Griensteidl-Clique, und zeigt, dass auch die Autoren Anflüge zur Selbstkritik hatten. „Talentlos“, schrieb Schnitzler da etwa, „nennen wir im Allgemeinen diejenigen, welche an einem andern Tische sitzen als wir“. . .