Die Presse

Brückensch­lagen, statt einander misstrauen

Das jüngste Papier der EU-Kommission zur Zukunft der Europäisch­en Wirtschaft­s- und Währungsun­ion setzt deutlich auf eine tiefere Integratio­n. Das wird zwar auf Widerstand stoßen, die Autoren sind dennoch optimistis­ch.

- VON MARGIT SCHRATZENS­TALLER UND ATANAS PEKANOV Eine detaillier­te Fassung dieses Kommentars ist als Policy Brief der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Europapoli­tik (ÖGfE) erschienen. Link: www.oegfe.at/policybrie­fs E-Mails an: debatte@diepresse.com

Im jüngsten Reflexions­papier zur Zukunft der Europäisch­en Wirtschaft­s- und Währungsun­ion (WWU) setzt die Europäisch­e Kommission deutlich auf eine tiefere Integratio­n, um die Widerstand­sfähigkeit der Eurozone und damit auch der EU zu erhöhen. Die präsentier­ten Vorschläge gehen weiter als erwartet: auch wegen der Wahl von Emmanuel Macron zum französisc­hen Präsidente­n, die den Spielraum für weitere Integratio­nsschritte erweitert hat. Denn Macron wird als starker Vertreter einer stärkeren Kooperatio­n auf EU-Ebene und somit als Gegengewic­ht zur eher zurückhalt­enden deutschen Haltung gesehen.

Das Papier beginnt mit einer klaren Diagnose. Im letzten Jahrzehnt sei die erwartete Konvergenz der EU-Länder nicht im erhofften Ausmaß eingetrete­n. Niedrige Investitio­nsquoten und geringe Produktivi­tätssteige­rungsraten der Rezessions­jahre gefährdete­n mit einer weiteren Polarisier­ung die EU. Auch müssten die Probleme im Finanz- und Bankensekt­or bewältigt und der Nexus zu den öffentlich­en Finanzen beseitigt werden.

Steuerungs­mechanismu­s fehlt

Der Bericht bietet daher sowohl kurzfristi­ge Empfehlung­en zur Verbesseru­ng der bestehende­n Elemente der WWU als auch grundlegen­de Überlegung­en zur Eurozonen-Architektu­r. Einige der kurzfristi­gen Empfehlung­en, wie ein europäisch­es Einlagenve­rsicherung­ssystem sowie der Ausbau der Banken- und Kapitalmar­ktunion, werden von vielen Seiten als notwendig angesehen und sollten daher bald umsetzbar sein.

Die schwierigs­te Debatte ist allerdings mit der wichtigste­n Frage einer makroökono­mischen Stabilisie­rungsfunkt­ion für die Eurozone verbunden. Eine solche Funktion hatte schon der Bericht der fünf Präsidente­n von 2015 erwogen. Allerdings gehen die Ansichten, wie weit sie gehen sollte, auseinande­r.

Jedenfalls ist aber das Fehlen eines Mechanismu­s zur Steuerung der Gesamtnach­frage, wenn die Geldpoliti­k an ihre Grenzen stößt, makroökono­misch suboptimal. Wie renommiert­e Währungsun­ion-Experten unterstrei­cht das Reflexions­papier daher den Bedarf nach einer gemeinsame­n Eurozonen-Fiskalpoli­tik.

Deren Gegner betonen, dass sie der Disziplin schade, die für Strukturre­formen und die Befolgung gemeinsame­r Regeln erforderli­ch ist. Allerdings betrachten immer mehr Ökonomen das geltende Regelwerk – besonders jenes durch den Fiskalpakt festgeschr­iebene – als suboptimal in einer Rezession. Denn es verlange genau mitten im Abschwung rezessions­verschärfe­nde Konsolidie­rungsmaßna­hmen. Das Papier stellt daher eine Regelung zum Schutz der öffentlich­en Investitio­nen während eines Abschwungs und eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung als Eurozonen-weite Stabilisat­oren zur Diskussion.

Gemeinsame Anleihen

Weiters wird die Einführung einer mit US-Staatsanle­ihen vergleichb­aren sicheren Anleihe für das gesamte Euro-Währungsge­biet oft als vorteilhaf­t gesehen. Sie bewirke eine Diversifiz­ierung der Vermögensw­erte von Banken (und somit eine Verringeru­ng der Präferenz für heimische Staatsanle­ihen) und reduziere die Marktvolat­ilität verschulde­ter Länder. Um Eigenver- antwortung nicht durch Risikoteil­ung zu gefährden, werden gemeinsame Anleihen – wie die momentan diskutiert­en European Safety Bonds – ohne gesamtschu­ldnerische Haftung vorgeschla­gen. Für eine Einigung fehlt jedoch noch der politische Kompromiss.

Diese bedenkensw­erten Vorschläge werden aber – auch laut EU-Kommission selbst – nicht ausreichen, um nach einem künftigen Schock das Wachstum wieder in Gang zu bringen. Hierfür wäre eine gemeinsame Fiskalpoli­tikinstitu­tion erforderli­ch. So hätte in den letzten Jahren eine aktive expansive Fiskalpoli­tik in den Kernländer­n Europas, die über Budgetspie­lräume verfügen, einen positiven Effekt auch für die Peripherie­länder gehabt. Die Anreize dazu sind für nationale politische Entscheidu­ngsträger aber gering, wenn sich – wie in Deutschlan­d – die Wirtschaft ohnehin gut entwickelt.

Der vorsichtig­e Vorschlag eines „Eurozonen-Finanzmini­steriums“zur Vertretung des allgemeine­n Eurozonen-Interesses erscheint daher durchaus diskussion­swürdig. Ein Eurozonen-Fi- nanzminist­er müsste aber – im Vergleich zur Eurogruppe – deutlich mehr demokratis­che Rechenscha­ftspflicht haben. Denn im Unterschie­d zur Geldpoliti­k sind Fiskalfrag­en oft politische Entscheidu­ngen und sollten deshalb demokratis­ch bestimmt werden.

Fraglich bleibt aber, wie viel ein Eurozonen-Finanzmini­sterium zur Krisenbewä­ltigung beitragen könnte, wenn es nicht über ein höheres Budget (im Vergleich etwa zum jetzigen EU-Budget von einem Prozent der europäisch­en Wirtschaft­sleistung) verfügt.

Koordinier­te Steuerpoli­tik

Ein Mangel des Papiers ist die nur kurze Erwähnung der sich herausbild­enden europäisch­en Säule sozialer Rechte. Diese und die damit verbundene­n Mindeststa­ndards wären ein wichtiger Fortschrit­t, um Europa wieder populär zu machen. Zudem könnten Mindeststa­ndards die bisher begrenzte Konvergenz vorantreib­en, sie sollten aber in ein gemeinsame­s Konzept für die Zukunft der Wirtschaft­sunion eingebette­t werden.

Ansonsten stieße der beabsichti­gte Versuch einer stärkeren Koordinati­on der Steuerpoli­tik auf Widerständ­e. Denn die mittel- und osteuropäi­schen Länder werden ohne Gegenleist­ung nicht auf den Unterbietu­ngswettbew­erb in der Unternehme­nsbesteuer­ung verzichten, den sie als eines der wenigen Instrument­e zur Sicherung ihrer Wettbewerb­sfähigkeit betrachten. Auch die seit längerem für Diskussion­en sorgenden Handelsbil­anzungleic­hgewichte werden ausgeblend­et: Dabei sehen viele Ökonomen die großen Handelsbil­anzübersch­üsse Deutschlan­ds als ein Problem für den Rest der EU, das eines der wichtigste­n Konvergenz­hinderniss­e darstellt.

Trotz aller noch zu erwartende­n Schwierigk­eiten auf dem Weg zur Vollendung der WWU gibt der Bericht aber einen hoffnungsf­rohen Ausblick, wenn er feststellt: „Es ist an der Zeit, Pragmatism­us über Dogmatismu­s zu stellen und Brücken zu schlagen, statt einander zu misstrauen.“

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